Sternenspiegel

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Salem, America, today

Als ich die Augen aufschlug, war es draußen dunkel. Laut meinem Handy war es halb vier Uhr morgens und ich registrierte, dass ich zwölf Stunden geschlafen hatte. Jetzt war ich hellwach und dass es draußen trotzdem dunkel war kam mir einfach nur verkehrt vor. Wir hatten die Fensterläden nicht geschlossen und so fiel das weißliche Licht des Mondes in den Raum und sorgte dafür, dass ich wenigstens nicht blind wie ein Maulwurf war.

„Philine?" Aber von ihr kam nur ein Schnaufen. Sie hatte ihren Kopf unter die Bettdecke gesteckt und ihre Haare waren wie ein Fächer auf ihrem Kissen ausgebreitet. Natürlich sah sie sogar im Schlaf perfekt aus. So leise wie es nur ging schlug ich die Bettdecke beiseite und schnappte mir meinen Pullover vom Vortag, den ich unordentlich über eine Stuhllehne gehängt hatte.

Als ich die Tür hinter mir zuzog fiel gedämmtes Licht aus dem Treppenhaus in den Flur. Ich wunderte mich, ob Emanuel wohl noch immer hier war, aber es waren nur Nachtlichter, die unter den Treppenstufen installiert waren und und auch nachts den Weg nach unten erleuchteten.

Als ich einen Fuß auf die weiß angestrichenen Holzstufen setzte hatte ich Angst, dass sie knarzen könnten wie die Stufen in unserem Reihenhaus wie Richmond. Aber es stellte sich heraus, dass das Haus genauso neu war wie die Einrichtung es versprach. Ich passierte den zweiten Stock und und wollte mich schon nach Emanuels Privaträumen umsehen als ich mich daran erinnerte, dass er nicht hier wohnte. Das Haus war nur eine perfekte Fassade und im zweiten Stock befanden sich nur leere Büroräume. Auch ganz unten war niemand und ich hätte wohl Mühe gehabt den Lichtschalter zu finden, wenn das Wohnzimmer mit der Couch und den hellen Regalen nicht schon von einem bläulichen und leicht flackernden Licht erhellt worden wäre. Wie in einem Flashback gefangen hielt ich mir meine Hände vors Gesicht und erinnerte mich an die Zeiten, in denen ich noch nicht gewusst hatte dass dieses mysteriöse blaue Licht meiner Hände besonders starke Kräfte veranschaulichte. Estella hatte mir zudem erklärt, dass dieses Phänomen ziemlich einfach zu erklären war. Laut ihr war ich also wie ein fluoreszierender Fisch, der seine überschüssige Energie durch das Licht abgegeben hatte. Das war ziemlich einleuchtend, denn seit ich meine Magie fast täglich benutzte war das Leuchten verschwunden und ich hatte damit ein Problem weniger.

Aber dieses Licht hier kam eindeutig nicht von meinen Händen sondern von draußen. Neugierig folgte ich dem Schein durchs Wohnzimmer und riss überrascht die Augen auf, als ich durch die bodenlangen Fenster auf der straßenabgewandten Seite des Zimmers einen kleinen mit Fliesen ausgelegten Garten erblickte, in dessen Mitte ein ebenfalls kleiner aber eindrucksvolle beleuchteter Swimmingpool thronte. Den hatte ich vorhin bei all meinem Schlafmangel völlig übersehen. Das Wasser bewegte sich wie durch eine leichte Brise und zauberte funkelnde Muster an die Wand des Wohnzimmers. 

Den kleinen Garten umspannte eine steinerne Mauer und ich vermutete, dass sich dahinter weitere Gärten der Nachbarschaft verbargen. Mir war zuerst schleierhaft, wie dieses Gartenwunder trotz der eisigen Temperaturen draußen ohne Schnee und Eis bedeckt war, aber dann sah ich, dass eine dünne Glasschicht den Garten von der Mauer bis zur Hauswand überdachte und so einen eigenen Raum schuf. Einen Wintergarten mit Pool. Philine würde begeistert sein und ich konnte es ebenfalls nicht erwarten, einen Fuß in den fast schon magisch wirkenden Pool zu tauchen. Einen Moment lang war ich drauf und dran die Temperatur des Wassers jetzt sofort zu testen, doch dann scheiterte ich am Schloss der Terrassentür, die mich von diesem funkelnden Wasser trennte. Frustriert legte ich mich auf die Couch und begnügte mich damit, das Funkeln von hier aus zu betrachten.

Ich hätte wohl noch Tage hier liegen und dem Wasser zusehen können, wenn ich nicht die Papiere auf dem Couchtisch bemerkt hätte, die Emanuel in diesem aufgeräumten Haus eindeutig nicht einfach aus einer Laune heraus herumliegen hatte lassen. Und ich war mir ziemlich sicher dass sie bei unserem Gespräch gestern noch nicht hier gelegen hatten. Was konnte das also sein? Ich spähte im gedämmten Licht des Pools auf den Tisch und ehe ich mich versehen konnte hatte ich meinen Arm ausgestreckt und die Papiere vom Couchtisch geangelt. Zu meiner Überraschung waren die einzelnen Papiere mit einem Umschlag zusammengefasst, auf dem mein Name stand. Lou, das wird dich interessieren. Mein Puls beschleunigte sich. Das konnte nur von Emanuel sein. Und ich glaubte auch zu wissen, was er da für mich zusammengetragen hatte. 

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