Der letzte Bunker

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Sibirien, heute

Der Kampf ging weiter und fast schon wenige Minuten später war es, als wäre Jacksons Tod niemals geschehen. Obwohl ich wusste, dass uns dieser Einschnitt verfolgen würde, bis wir alt und grau waren, war von beiden Seiten keinerlei Mitleidsbonus zu spüren und wenn, dann kämpften wir nur noch verbissener und schalteten einen wahren Magier nach dem anderen aus. Und Jacksons Tod würde nicht der einzige bleiben, kam mir, als ich neben Marléne eine Gestalt auf dem Boden entdeckte, die sich ganz offensichtlich das Genick gebrochen hatte. Mehr wollte ich auch gar nicht wissen. Aber jetzt war es genug, es war Zeit, dass ich mich auf die Suche nach Alex und meinem Vater machte. Viola ließ sich immer noch nicht blicken und schickte nur noch ab und zu eine neue Truppe wahrer Magier aus den unteren Stockwerken herauf, die aber gegen unseren eisernen Willen schier nicht ankamen. Ich wusste nicht, warum und wie lange sie sich noch zu verstecken suchte, aber jetzt war der perfekte Zeitpunkt, um mich heimlich vom zentrierten Kampf weg und tiefer in das Gebäude zu schleichen. Und ich wusste auch schon genau, wo ich zu suchen hatte.

Mein Weg führte mich wie bei meinem ersten Besuch in der Höhle des Löwen tiefer und hinein in den ausgeklügelten Gebäudekomplex. Ich war mir ziemlich sicher, dass Viola selbst die Pläne entworfen hatte. Die Festung war nämlich all das, was ich auch in ihr gesehen hatte- eisig, verwinkelt, und immer für einen Hinterhalt bereit. So wie jetzt.

Ich war nicht weit gekommen, als Schritte vor mir erklangen. Noch war niemand zu sehen, aber die Treppen hinderten mich daran, weiter als auch nur eine Treppenecke vorauszuplanen. Ich verlangsamte mein Tempo augenblicklich und huschte fast lautlos weiter, lauschte auf das Stapfen der Füße, das sich eindeutig in meine Richtung bewegte. Als ich mein Ziel fast atmen hören konnte, stolperte mir eine Gestalt entgegen. Die vom Licht der Lampen verdeckte Nische des Treppenhauses verbargen die Identität der Person und meine Reflexe reagierten automatisch und warfen die Person auf den Boden, ehe sie auch nur Zeit hatte einen Angriff zu landen. Daran, dass es vielleicht kein Angreifer war, der mir da so leichtfüßig entgegensprang, verschwendete ich keinen einzigen Gedanken, sondern sah mit Erleichterung, wie mein Gegner, meine Gegnerin, wie ich jetzt erkannte, die Treppen hinunterstürzte. Nicht weit, nur ein paar Stufen, aber weit genug, um mich nicht weiter zu belästigen und so weit, dass ich keinen Zweifel daran hatte, dass mein Angreifer ziemlich hinüber war.

Erst, als die Gestalt mit einem dumpfen Schlag auf der Mitte der Treppe liegen blieb, ihre Arme kraftlos über das Gefälle der Stufen gestreckt, sog ich schockiert Luft ein. Blonde Haare stahlen sich unter ihrer zu großen Jacke hervor, die den Großteil ihres Körpers und ihre weibliche Figur vermummte und hoffentlich auch den Sturz abgefangen hatte. Ich kam mir vor wie in einem Deja-Vu, in dem sich meine traumatischen Erfahrungen und Alpträume in einer Endlosschleife wiederholten.

„Emily Waves, was zur Hölle machst du hier?" Meines Wissens nach saß die Emily, die Ex-Beste-Freundin Emily, der ich mich über die letzten Monate wieder etwas angenähert hatte, doch gerade in einer therapeutischen Anstalt, um ihre nicht vorhandene Drogenabhängigkeit zu bekämpfen. Und selbst wenn nicht, dürfte sie auf keinen Fall hier sein. Vielleicht war das ja gar nicht Emily, sondern nur jemand der exakt wie sie aussah und Emily genau studiert hatte, um jetzt wie sie mit ihrem Handrücken ihre Schläfe massierte, wenn sie Kopfweh hatte. Während ich darüber nachdachte, wurde mir klar wie winzig astronomisch kleine diese Chance war, dass es genau zwei Emilys auf dieser Welt gab. Dann musste es wohl doch meine Emily sein.

„Viola?", riet ich kurzentschlossen und wusste schon bevor sie antwortete, dass ich damit ins Schwarze getroffen hatte. „Nein, oder?"

„Lou?", krächzte Emily etwas angeschlagen, während sie sich unter Fluchen von den Stufen aufrappelte. „Heilige Scheiße, du kannst kämpfen."

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