Betreten verboten

687 71 7
                                    

Paris, today

Der nächste Tag hing mir schon beim Frühstück bis zum Hals raus. Nicht nur, dass das Wetter zu wünschen übrig ließ und sich gerade heute dazu entschlossen hatte, Temperaturen bis in die Minusgrade und dazu passende, weiß- graue Flocken vom Himmel herabregnen zu lassen, nein. Als ich gerade eine Scheibe Toast in mein Frühstücksei dippte verkündete Estella lautstark, sie habe mit Emanuel besprochen dass wir uns alle in der Lounge seines Hotels zum Nachmittagstee treffen würden. Dass das nicht nur ein belangloses Teegeplauder werden würde, war ja von vornherein klar. Und damit waren meine Pläne, mich bis in alle Ewigkeiten in meinem Bett zu verkriechen, auch schon wieder gescheitert. Meine Mundwinkel hingen mir bis zum Bauch, wenn ads überhaupt möglich war und ich ließ meinen Blick gelangweilt nach draußen schweifen und verfolgte die Bahn der weißen Flocken vom Himmel bis zur Erde, wo sie sich zu ihren Kompagnons gesellten und Teil einer riesigen weißen Schneemasse wurden.

„Louise?" Obwohl ich nicht zugehört hatte und so in Gedanken versunken war, dass ich nicht einmal mitbekommen hatte dass das Tischgespräch überhaupt unterbrochen worden war, wusste ich ohne viel nachzudenken wer mich da angesprochen hatte. Es gab nur eine, die mich bei meinem vollen Namen nannte und sich nicht mit der Abkürzung Lou zufrieden gab. Ich hatte den Verdacht dass es damit zusammenhing, dass Estella dieser Name sehr am Herzen lag, sie hatte mich schließlich nicht umsonst so genannt. Und vielleicht konnte sie noch immer nicht ganz glauben dass aus dem kleinen Baby Louise eine fast erwachsene Frau mit einer eigenen Lebensgeschichte geworden war.

„Sorry, was?", krächzte ich und verschluckte mich gleichzeitig fast an einem Brocken Toast.

„Wir beide könnten heute einen kleinen Ausflug unternehmen, bis wir uns am Nachmittag mit den anderen treffen." Ich legte den Kopf schief und verstand zuerst nicht ganz. Wohin? Estella musste mir die Frage von den Augen abgelesen haben.

„Wir fahren ein Stück aus der Stadt hinaus. Da können wir in Ruhe üben. In der Stadt sind zu viele Leute, die sich im ungünstigsten Moment an die falschen Orte verwirren." Ich kapierte.Emanuel musste mit Estella über das Teleportieren geredet haben und nun war es anscheinend an der Zeit für mich, meine Fähigkeiten nochmals unter Beweis zu stellen. Obwohl ich schon jetzt wusste, dass ich mich mal wieder unglaublich blamieren würde. Ich konnte die Magie einfach nicht auf Anweisung kontrollieren, davon, mich in Abermillionen kleine Atome aufzulösen, ganz zu schweigen.

„Falsch im Sinne von wir könnten aus Versehen den Falschen auflösen?", hakte ich mit Gänsehaut nach. Lieber nicht. Trotzdem hatte ich Bedenken, die Stadt zu verlassen. „Aber da draußen ist es für Viola doch viel leichter, uns zu entdecken. Hier in Paris tauchen wir in der Menge unter und haben viel mehr Möglichkeiten, sie abzulenken", wandte ich ein.

„Das hat sie letztes Mal auch nicht daran gehindert, dich fast zu entführen." Philines Stimme klang ernst und ungewöhnlich erwachsen. Ich wusste, dass ihr sonst so heiteres Wesen keine Fassade war und Philine einfach in ihrer eigenen kleinen Welt lebte, die sie sich in Paris aufgebaut hatte. Eine kleine Welt aus Zuckerwatte und Designerhandtaschen, manchmal auch ein Crêpe hier und dort. Es war erschreckend, auf einmal dieser anderen Person zu begegnen.

„Das wird nicht noch einmal passieren. Wenn sie Louise wollen müssen sie erst einmal an mir vorbeikommen", erklärte Estella mit entschlossener Miene und mir kamen fast die Tränen bei dieser wenn auch etwas unkonventionellen Liebeserklärung.

„Danke. Aber ich denke, ich kann diese wahren Magier jetzt soweit einschätzen, dass es nicht mehr dazu kommen wird. Ich war naiv zu glauben, dass Viola jemals einfach so aufgeben könnte. Selbst ihr Tod muss anscheinend ein Jahrhundertereignis sein." Und damit meinte ich nicht, dass ich sie gerne sterben sehen würde. Aber das damals in Australien war zu einfach gewesen um wirklich ein Ende zu sein. Denn das Leben war niemals einfach.

Something like powerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt