Verrat

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Sibirien, today

Und dann ging es auch schon los und ich wusste nicht mehr, wohin zuerst zu schauen war. Ich sah meine Familie angreifen, auf mich zulaufen und dann an mir vorbei, bis sie auf einen von Violas Magiern trafen, die alarmiert von allen unteren Geschossen herausströmten und mitkämpfen wollten. Viele, viel zu viele, als das ich sie hätte zählen können. Ich wollte auch nicht und wollte mich selbst im Kampf beteiligen, aber ich konnte meinen Blick nicht abwenden, als Estella mit grazilen Bewegungen auswich und ihren Gegner auf den Boden schmetterte. Außerdem hatte ich eigentlich eine Aufgabe: Alex und Selian zu finden und sie zu befreien. Aber ich wurde hier viel dringender gebraucht, wenn wir die Frontlinie nicht halten konnten, war ich unten sowieso verloren! 

Mein neuer Plan, den ich im Bruchteil einer Sekunde beschloss, war also: Meine Leute hier oben so lange zu unterstützen, bis sich ein Schlupfloch in der Linie unseres Feindes ergab, und ich mich ohne schlechtes Gewissen auf die Suche nach meinem Freund und meinem Vater machen konnte. Der Gedanke an beide erfüllte mich mit einer derartigen Wiedersehensfreude, dass ich so stark wie zehn Pferde fühlte. Entschlossen sprang ich also auf, gab meine Deckung auf, und stürzte mich ins Getümmel. Eine richtige Schlacht mit Schwertern, Kanonen und Pfeilhagel war es ja nicht, dafür aber hatten die Magier ihre ganz eigene Art, den Feind einzuschüchtern und zu schwächen, bis es zum Tod führen konnte. Und das war so wahr.

Schon im nächsten Moment wurde ich angegriffen und damit eindeutig als eine von Violas Gegnern identifiziert. Aber ich glaubte nicht, dass es an meiner fehlenden Gabe lag, mit der Menge zu verschwimmen. Nein, mein Ruf eilte mir hier wortwörtlich voraus, besser gesagt mein Gesicht, mit dem ich fast schon eine Berühmtheit unter den wahren Magiern war. Eine verhasste Berühmtheit, die gefahndet wurde. Und hier war ich, auf dem Präsentierteller. Mein Angreifer war älter als ich, weiser, erfahrener im Kämpfen. Aber ich war eben Louise Cartier und ich hatte die leise Vermutung, dass ihm auch ein siebzehnjähriges Mädchen ganz schön viel Respekt einflößen konnte. Er arbeitete mit allen möglichen Tricks und bereitete mir ganz schöne Kopfschmerzen, als ich ungelenk vom Boden abhob, nur um gleich darauf wieder mit vollem Gewicht darauf zu zu rasen. Jemand, der seine Kunst verstand, also. 

Ich schlug hart auf dem Boden auf und konnte mich gerade noch mit den Handgelenken abfangen und beiseite rollen, ehe ein Stück Metall, woher auch immer, an die Stelle in den Boden schlug, an der ich gerade eben noch gelegen hatte. Wer das Metall per Telekinese dorthin gelenkt hatte, war ja wohl klar. Hinterhältig. Aber das konnte ich auch, ich konnte gewissenlos Leute verletzen, wenn er das so wollte. Jetzt war ich es, die angriff und meinen Gegner bis an den Rand der Galerie jagte, wo er sich während unserer Auseinandersetzung mehrmals am Geländer festhalten musste, um nicht über die Brüstung zu stürzen. Ich attackierte ihn mit Luftmassen, lockeren Gegenständen und ein Mal sogar mit einem anderen Magier. Vom gegnerischen Team, verstand sich natürlich. Keinem der beiden passierte dabei großartig etwas, aber immerhin zeigte ich, das ich bereit, mich wenn nötig mit den bloßen Fingernägeln zu verteidigen. 

Und er machte einen Fehler, er zögerte seine Niederlage hinaus, so lang, bis er schließlich wehrlos auf dem Boden lag und keinen Finger mehr rühren konnte. Ohnmächtig. Allerdings hatte ich nichts damit zu tun, er selbst war gestolpert und hatte sich dabei eine übel aussehende Platzwunde zugezogen. Ein Gegner ausgeschaltet, Dutzende weitere verbleibend. Ich machte mich auf zum nächsten, der mit ein paar anderen von Estella in einer Ecke der Galerie in Schach gehalten wurde. Gemeinsam verteidigten wir uns gegen die Überzahl und es fühlte sich fast so an, als hätten wir schon öfter Seite an Seite gekämpft.

„Ich mach Kleinholz aus dir!", brüllte sie einen stämmigen Russen an, der wahrscheinlich kein Wort verstand. Aber immerhin schüchterte sie ihn genug ein, um einen unnatürlich schnellen Kinnhaken platzieren zu können, der ihn aus seinem Dilemma befreite.

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