Die Kunst, sich unbemerkbar zu machen

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Paris, today

Es tat irgendwie gut zu wissen, dass ich jetzt wieder zu Hause war. Oder zumindest an dem Ort, der über die letzten Wochen zu meinem Zuhause geworden war. Und mit den Menschen hier die ich liebte hatte ich auch kein Bedürfnis, jemals wieder nach Richmond zurückzukehren. Dass dieses Gefühl vielleicht nur für einen kurzen Moment andauerte, war mir egal. Sandra konnte uns wegen eines Arzttermines nicht vom Flughafen abholen und selbst wenn, hätte ich es nicht gewollt. Es war besser, wenn sich meine Adoptiveltern erst einmal unter dem Radar aufhielten und sich nicht für alle sichtbar an öffentlichen Plätzen aufhielten.

„Es ist ja so schön endlich mal wieder Französisch zu sprechen!", frohlockte Philine als wir unser Gepäck ausgehändigt bekamen. Natürlich nicht in einem normalen Terminal sondern separat, weil wir ja privat geflogen waren. Ich warf einen Blick nach hinten und betrachtete missmutig unsere anderen Begleiter, die ebenfalls mit über den Atlantik gekommen waren. Jackson und Peyton, seine Tochter, die ich offiziell zu meiner Erzfeindin erklärt hatte. Stop, dieser Platz war bereits von Viola belegt worden. Aber Peyton kam direkt dahinter. Warum sie unbedingt mitkommen musste war mir ein Rätsel, dass es noch zu knacken galt.

„Wohin geht die Reise denn jetzt?", fragte ich Emanuel, der der einzige ohne Jetlag zu sein schien. Vielleicht war er das Reisen ja gewöhnt.

„Wir drei checken im Hotel ein." Er zeigte auf Jackson, dessen Tochter und sich selbst. „Morgen melden wir uns. Oder wir treffen uns irgendwo." Das dieses irgendwo nicht in Estellas Haus sein würde, war selbstverständlich. Ich wollte nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf meine Adoptiveltern ziehen als nötig. Gemeinsam bahnten wir uns einen Weg durch die Massen an Reisender am Flughafen und ich hielt Ausschau nach Estella, die hier auf uns warten musste. Ob sie wohl aufgeregt war? Wenigstens ein bisschen? Schließlich war das jetzt das erste Mal nach... einer langen Zeit, nach der sie Emanuel wiedersehen würde. Was genau die Geschichte zwischen den beiden jetzt war, wusste selbst ich nicht genau, aber die Story mit dem alten Freund kam mir etwas seltsam vor. Schon klar, Emanuels Liebe hatte Viola gegolten, aber bei Estella war ich mir da nichts so sicher. Das best friends Label nahm ich den beiden immer noch nicht so ganz ab.

„Da ist sie ja!" Emanuel hatte Estella entdeckt und strahlte sie an, während er seinen bizarr kleinen Koffer in einem schlichten schwarz neben sich herzog. Entweder er war extrem sparsam oder er hatte einen zweiten Koffer bereits einfliegen lassen.

„Estella, quelle joie de te revoir après tant de temps!" Estella grinste zurück und zog Emanuel in eine feste Umarmung.

„Merci d'avoir pris soin de ma fille!" Ich war selbst überrascht, als ich den Satz verstand. Sah so aus als würde Philines ununterbrochene Versuche, mich mit ihrer Sprache vertraut zu machen, endlich Früchte tragen.

„Ich kann auf mich selbst aufpassen, Estella", meinte ich leicht schmollend. Das Estella hier war hieß, das sie einen Babysitter für meine Adoptiveltern gefunden hatte, der die beiden nicht schutzlos alleine in ihrem Haus zurücklassen würde. In diesem Fall war das wohl er Großonkel, von dessen Ankunft sie mir vor meiner Reise nach Amerika berichtet hatte. Sah ganz so aus als würde ich noch einen Teil meiner lang verschollenen Familie kennenlernen.

„Wie lange haben wir uns nicht gesehen... zwei Jahre?" Aha, dann hatten die beiden also doch mehr Kontakt gehabt. Aufenthalte in Salem waren für Estella wie Urlaub gewesen, hatte sie mir erzählt. Auch wenn das Reisen ein Risiko darstellte, von Viola und ihrer Sekte wahrgenommen zu werden und damit ihr Leben undercover zu gefährden.

„Ça fait trop longtemps!" Noch mehr Geplänkel auf Französisch dass ich nicht verstand, bis Emanuel sich wider Willen verabschiedete, um sich ein Taxi zu seinem Hotel zu nehmen. Jackson und Peyton, die die ganze Zeit mit etwas Abstand hinter Emanuel gestanden hatten und die Estella ebenfalls kurz begrüßt hatte, folgten ihm. Ich runzelte die Stirn und spielte mit dem Gedanken, Emanuel zurückzuhalten. Schließlich stand er auf Violas Mordliste ganz oben und spazierte durch den Flughafen, als hätte er nichts zu befürchten. Aber dann erinnerte ich mich, dass er zwei bestens ausgebildete Magier an seiner Seite hatten, die wahrscheinlich ihr Leben geben würde, um ihn zu beschützen. Na ja, bei Peyton war ich mir da nicht so sicher.

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