Der Umzug

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Die Sonne spiegelte sich auf dem wunderschönen, azurblauen Meer, das genau vor unserem Haus lag, wieder. Ich liebte das Meer und das Rauschen der Wellen vor meinem Fenster. Ich glaube, ich könnte niemals ohne dieses Geräusch einschlafen. Das Meersrauschen war mein Wiegenlied, das mich schon zum Schlafen gebracht hatte, als ich noch ein Baby gewesen war. Und genau das, was ich so sehr liebte, musste ich jetzt aufgeben. Ich liebte unser Haus, dass hier auf einer Klippe an der schönen Cote d'Azur stand. Ich war hier aufgewachsen. Es war im mediterranen Stil gebaut, war weiß, hatte drei Balkone, eine herrliche Terrasse, war von Palmen umgeben und hatte einen gigantischen Swimmingpool, in dem ich jeden Morgen und jeden Abend meine Bahnen zog. Wenn ich denn zuhause und nicht in der Schule war. Ich ging auf ein Internat: die l'académie de magie de Beauxbâtons oder besser gesagt, die Beauxbatons-Akademie für Zauberei. Ja, ich war eine Hexe und konnte zaubern, genau wie meine Eltern. Ich war vor einer Woche, genauer gesagt am 15. August, 16 Jahre alt geworden. Leider war ich erst nach dem Stichtag (31.07.) geboren worden und so würde ich dieses Schuljahr erst in die fünfte, anstatt in die sechste Klasse kommen. Das hieß für mich dieses Jahr büffeln ohne Ende, da ich meine ZAG Prüfungen schreiben würde. Und das auch noch an einer neuen Schule. Na super, ganz toll.
Tja, meine Eltern hatten - leider ohne mich zu fragen - beschlossen, nach England umzuziehen, da mein Vater, André Duchesse, ein gaaaaanz tolles neues Jobangebot in London bekommen hatte, auf der geschlossenen Station des St. Mungo's Hospital für magische Krankheiten und Verletzungen. Mein Dad war nicht nur ein Heiler, sondern auch ein Experte auf seinem Fachgebiet, schweren psychischen Erkrankungen. Kurz: er war ein Seelenklempner. Für mich war das besonders schlimm, denn ich wurde immer gern Opfer seiner Analysen. Jede noch so kleine Bewegung oder Äußerung meinerseits wurde registriert, analysiert und ausgewertet. Ich hasste das. Ich fühlte mich dadurch in meiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Aber ich hatte sowieso relativ wenige Freiheiten, wenn mein Dad zuhause war, denn er war ziemlich streng. Er sorgte sich halt einfach um das Wohl seiner einzigen Tochter, mich. Da musste ich doch glatt die Augen verdrehen. Das klang jetzt vielleicht so, als würde ich meinen Vater nicht leiden können, aber so war es nicht. Ich mochte ihn schon, irgendwie. Er war immerhin mein Vater. Aber er war... Franzose. Muss ich mehr dazu sagen? Manchmal war er einfach... ein arrogantes, zynisches Arschloch.
Meine Mutter Caroline mochte ich dagegen viel lieber. Sie war Engländerin und eine Muggelgeborene. Als einzige in ihrer Familie hatte sie magische Fähigkeiten geerbt. Doch anstatt nach der Schule einem magischen Beruf nachzugehen, hatte sie sich für Ihre Leidenschaft entschieden. Sie war Schneiderin mit Leib und Seele. Sie liebte es einfach, wunderschöne Kleider zu entwerfen und zu nähen. Sie tat das von zuhause aus und hatte mir schon sehr viele Klamotten angefertigt. Sie und mein Vater hatten sich bei einem Schüleraustausch zwischen Hogwarts, meiner neuen Schule, und Beauxbatons, meiner alten Schule kennen und lieben gelernt. Wie er sie herum gekriegt hatte, fragte ich mich heute oft, denn er war einfach so... Keine Ahnung, wie ich das ausdrücken soll... einfach nicht ihr Typ trifft es, glaube ich, am besten. Er hatte graue, kinnlange Locken und einen kleinen Spitzbart am Kinn, wie man es hier in Frankreich sehr oft sah. Meine Mutter hingegen war mit ihren langen blonden Haaren eine wahre Schönheit. Und genau die hatte mir sie vermacht. Ich sah überhaupt so aus wie sie, nur die Augen, grün und strahlend, hatte ich von meinem Vater geerbt.
„Marie", ertönte die Stimme meiner Mutter hinter mir. „Können wir los?"
Ich seufzte und ließ meinen Blick noch einmal über das türkisfarbene Meer schweifen. Wie sehr es mir doch fehlen würde. Warum musste ich denn alles aufgeben, nur weil mein Dad, oh Entschuldigung, mon père, eine neue Stelle annehmen musste? Ich würde alles hier vermissen: das Meer, das Haus, meine Freunde, ja, sogar meine Schule. Ich begriff es einfach nicht. Ich hätte genauso gut hier bei meiner Tante Jade, der Schwester meines Vaters, wohnen können. Sie hatte es mir sogar angeboten, aber mein Vater hatte da leider einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wir hatten uns richtig gefetzt deswegen, aber am Ende hatte ich verloren. Den Worten „Ich bin Dein Vater und damit Schluss" hatte ich einfach nichts entgegen zu setzen. Aber wisst ihr, was sein Hauptargument war? Achtung, jetzt kommt's: „Ich möchte Dich einfach in meiner Nähe wissen, ma chérie." Guter Witz, wirklich. Ha ha, ich lach mich wirklich gleich tot. Wenn ihr mich jetzt für verrückt haltet, dann lasst es mich euch kurz erklären. Mein Vater wollte mich in seiner Nähe haben, alles schön und gut, aber wie lange war ich denn noch zuhause? NEUN glorreiche Tage. Und dann? Schieben wir die ach so liebe Tochter, die alles aufgeben muss, einfach ab in eine vollkommen neue und fremde Schule. Ist doch scheißegal, dass sie wieder komplett von null anfangen muss, was das Thema Freunde angeht. Ist doch nicht weiter wichtig, Hauptsache ER verdient einen Haufen Kohle und ist wieder einmal der große Pascha. Typisch Männer. Wichtig war, dass sie ihr Ego befriedigen konnten, alles andere war Wurst! Ist doch so, oder nicht? Ich meine, was war an seinem alten Job denn so schlecht gewesen? Ich meine, gut, es war nur ein kleines Hospital in St. Tropez gewesen, aber immerhin war er dort der Leiter der Psychiatrie gewesen. War das denn gar nichts?
„Mimi?"
Die Stimme meiner Mutter klang jetzt deutlich näher. Wahrscheinlich war sie wieder einmal unerlaubt in mein Zimmer gekommen.
Ich drehte mich zu ihr um und strich mir das weiße Sommerkleid glatt, das ich heute trug. Es war schulterfrei und luftig leicht. Kein Wunder, immerhin hatte es 28 Grad im Schatten. Mein hüftlanges, goldblondes Haar wehte in der leichten Brise, die immer vom Meer her blies.
„Ja, Mum", gab ich auf Englisch zurück.
Das war noch so eine Sache, die mir tierisch auf den Sack ging, den ich natürlich nicht hatte. Aber ihr wisst, was ich meine. Meine Mutter wollte von mir, dass ich Englisch mit ihr redete, mein Vater bestand auf Französisch. Konnten die sich nicht einmal entscheiden? Wer würde da nicht durcheinander kommen? Gut, das war schon immer so gewesen, aber manchmal bekam ich das einfach nicht auf die Reihe. Es war schon vorgekommen, dass ich meinem Vater auf Englisch geantwortet hatte und er war dann immer explodiert. Und wenn ich richtig aufgeregt war oder mit jemandem stritt, dann verfiel ich automatisch ins Französische. Es war einfach nervig. Gut, aber man soll ja nicht immer nur das Schlechte in den Dingen sehen, sondern auch ab und zu auch mal das Positive. Immerhin sprach ich beide Sprachen fließend und das würde mir später, wenn ich mal einen Beruf ausübte, enorme Vorteile bringen. Aber ich war nun einmal der geborene Pessimist, für Optimisten war es definitiv eine schlechte Zeit.
„War das ein 'Ja, Mum, wir können los' oder ein 'Ja, Mum, aber was ist denn jetzt schon wieder los'", wollte meine Mutter wissen.
Ach, ich liebte sie einfach über alles. Sie war witzig, sprühte vor Charme und war eher wie eine Freundin, als eine Mutter. Gut, sie konnte auch manchmal streng sein, aber im Großen und Ganzen kamen wir gut miteinander klar, was vielleicht auch daran lag, dass sie sehr verständnisvoll war, was die Probleme mit meinem Dad anging. Aber auch wegen so Kleinigkeiten, die ein Mädchen in meinem Alter zweifelsohne quälten, konnte ich immer zu Mum kommen. Sie hörte mir zu und gab mir immer einen guten Rat. Zu meinem Vater hätte ich deswegen gar nicht erst zu kommen brauchen. Der flippte schon aus, wenn ich das Wort „Jungs", nur in den Mund nahm. Er hätte es auch nie gut geheißen, wenn ich in meinem Alter („Gerade einmal süße 16") schon einen Freund gehabt hätte. Aber da brauchte er sich keine Sorgen zu machen. Noch war weit und breit nicht der Richtige in Sicht gewesen. Gut, auf unserer Schule waren schon ein paar süße Typen, die auch eindeutig Interesse an mir gezeigt hatten, aber die waren mir alle definitiv zu blöd. Franzosen halt, arrogant und furchtbar eitel. Nee, nee, nicht mit mir. Ich konnte einfach keinen Jungen gebrauchen, der schöner war als ich und mich das auch noch spüren ließ. Da blieb ich lieber eine ewige Jungfrau und gehe in ein Muggelkloster, wenn ich mit der Schule fertig bin. Gesetzt den Fall es klappt mit meiner Karriere als Lehrerin nicht. Denn das wollte ich: Ich wollte unbedingt Lehrerin werden. Ihr mögt mich für verrückt halten, aber ich mag Kinder und ich liebe es, anderen Leuten etwas beizubringen. Und ich war auch richtig gut in der Schule, außer in einem Fach. Zaubertränke, aber das konnte ich ja Gott sei Dank nächstes Schuljahr ablegen. Keine zehn Pferde würden mich dazu bringen, dies weiter zu belegen. Gut, konnte ich wahrscheinlich auch gar nicht, weil ich in hohem Bogen durch die ZAG-Prüfung fallen würde. Ich konnte von Glück reden, wenn ich noch ein Mies schaffte, aber wahrscheinlich würde es auf ein Schrecklich oder Troll hinaus laufen. Ich verstand einfach nicht den Sinn darin, irgendwelche Gifte und andere Gebräue zu brauen. Wozu gab es denn eine Apotheke, bitteschön?
„Hallo, Erde an Mimi", riss mich die Stimme meiner Mutter ins Hier und Jetzt zurück „Lebst Du noch oder bist Du zu einer Statue mutiert?"
Mimi war mein Spitzname. Eigentlich hieß ich Marie Lucie Duchesse, aber Mimi passte einfach besser zu mir. Klein und putzig, genau das war ich. Gut, und ich hatte es faustdick hinter den Ohren. Wenn meine Eltern gewusst hätten, was ich in der Schule schon so alles angestellt hatte... Die würden mir glattweg den Kopf abreißen, vor allem Dad. Nein, nein, lieber schön die Klappe halten. Reden ist Silber und Schweigen bekanntlich Gold. Stimmt's oder hab ich Recht? Ich könnte hier ja ein paar Beispiele aufzählen, aber ich wage es nicht, denn das würde mein Vater sicher noch heraus finden. Der hatte einfach ein Gespür für so was. Gut, es war ja auch schließlich sein Beruf, heraus zu finden, was in den Köpfen anderer Menschen vorging... Aber aus meinem sollte er sich gefälligst raus halten.
„Schön wär's, Mum", seufzte ich und ging zurück in mein Zimmer. Ich hatte ja auf meinem herrlichen Südbalkon gestanden und die Gegend ein letztes Mal in mich aufgesaugt. „Vielleicht müsste ich dann nicht mitkommen."
„Ist es denn so schlimm für Dich, Sweetheart?"
„Schlimmer. Ich würde so gerne hierbleiben. Mum, wieso lässt mich Dad nicht? Ich könnte doch wirklich genauso gut bei Tante Jade leben und weiterhin hier auf die Schule gehen. Hier kenne ich alles, hier habe ich meine Freunde. Könnt ihr es euch nicht noch einmal überlegen? Bitte, Mum!"
„Mimi, das hatten wir doch alles schon. Daddy und ich hätten Dich einfach gern in unserer Nähe."
„Es geht doch nur um neun verfickte Tage."
„Nicht in diesem Ton, Marie!"
Ach, jetzt war ich auf einmal wieder Marie? Das war ich nur, wenn sie sauer wurde. Also sollte ich wohl besser aufpassen, was ich jetzt sagte.
„Ich wäre doch gar nicht so weit weg..."
„Du wärst in einem anderen Land."
„Aber in England bin ich doch auch weit weg von euch. Die Schule ist genauso ein Internat wie Beauxbatons. Was spielt es da für eine Rolle ob ich dort oder in Frankreich bin? Ich würde euch auch in den Ferien immer besuchen kommen."
„Du hast doch Deinen Vater gehört. Und jetzt will ich nicht mehr mit Dir darüber diskutieren. Deine Sachen sind eh schon alle im neuen Haus. Die werden wir jetzt nicht mehr zurück schicken. Bitte, Marie, sei vernünftig und fange nicht wieder einen Streit an. Geh und hol Deine Tasche. Das Taxi kommt jeden Moment."
„Müssen wir denn wirklich schon los?"
„In drei Stunden geht unser Flieger."
„Ich verstehe immer noch nicht ganz, warum wir nicht apparieren können."
„Weil Du noch keine siebzehn bist."
„Noch nie etwas von Seit-An-Seit-Apparieren gehört?"
„MARIE!"
„Ja, ja, Mum, ist ja schon gut. Entschuldige, ich bin nur ein bisschen durch den Wind. Das mit dem Umzug geht mir doch ziemlich nah. Ich habe mein ganzes bisheriges Leben hier an der Cote d'Azur verbracht. Und das mit der Schule ist auch furchtbar. Was ist, wenn ich in Hogwarts keine neuen Freunde finde, die Lehrer doof sind oder die einen ganz anderen Schulstoff haben, wie wir? Ich möchte meinen Durchschnitt nicht versauen."
„Du kriegst das bestimmt prima hin, Moonpie!"
So hatte mich meine Granny immer genannt, wenn sie mich trösten wollte und Mum hatte dieses Wort in ihren Wortschatz übernommen, nachdem meine Oma letztes Jahr gestorben war. In ihr Haus würden wir jetzt ziehen, doch Mum und Dad hatten es Gott sei Dank umbauen lassen. In der kleinen Hütte hätte ich mich nie wohl fühlen können. Also, ich war nicht eitel, arrogant oder sonst irgendetwas in der Art, ich war einfach einen anderen Standard gewohnt. Und wer würde sich schon in einem acht Quadratmeter großem Loch wohlfühlen? Ich mit Sicherheit nicht.
„Ich warte unten im Wohnzimmer auf Dich, okay? Sieh Dich noch einmal in Ruhe um und verabschiede Dich von allem. Aber beeile Dich bitte."
„Ja, Mum."
Sie verließ das Zimmer und ich blieb alleine zurück. Ich schaute mich noch einmal um. Mein Zimmer war gewaltig. 50 Quadratmeter groß, mit angrenzendem Bad und Balkon. Die Wände waren in einem hellen Creme gestrichen, die Möbel weiß. Ein paar Accessoires, wie die Vorhänge oder die Tagesdecke auf meinem Bett waren aquamarin gewesen. Ich liebte dieses Zimmer einfach, doch jetzt war es leer. Nur das Bett und der riesige Wandschrank waren noch da, aber meine ganzen anderen Sachen waren schon im neuen Haus. Gott sei Dank hatten meine Eltern das Haus nicht verkauft, sodass ich in den Ferien immer wieder hierher zurückkehren konnte.
Ich seufzte und schnappte mir meinen Rucksack vom Bett, dass jetzt mit einem weißen Tuch abgedeckt war. Die Tränen stiegen mir in die Augen. Ich wollte einfach nicht hier weg. Doch jeder Widerspruch war zwecklos. Oh Mann, wenn ich doch schon siebzehn wäre, dann hätten meine Eltern machen können, was sie gewollt hätten, meinetwegen auch toben, zornen, schreien, aber ich wäre hier geblieben. Aber nöööö, ich musste ja erst verdammte 16 sein.
Noch ein letzter Blick zurück, dann verließ ich das Zimmer. Ich schloss die Tür hinter mir, die mit einem endgültigen Klang ins Schloss fiel.

Come fly with me loving batWo Geschichten leben. Entdecke jetzt