Prolog

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Mein Blick lag wie gebannt auf dem oval förmigen Spiegel. Langsam und recht vorsichtig zog ich den langen Reißverschluss an meiner Taille hoch. Für das Atmen sollte es gerade noch reichen. Das schwarze Samtkleid reichte mir, körperbetont, beinahe bis zu den Zehen. Doch die hohen Schuhe konnten das praktischerweise ausgleichen. Ich fühlte mich wohl darin. Fühlte mich reif und selbstbewusst. Die dunkle Farbe des Kleides widerspiegelte insgeheim mein Inneres wieder.

Während ich ein dunkles Rot auf meinen Lippen verteilte, spürte ich ein merkwürdiges Bauchdrehen. Und dieses kam ganz sicher nicht vom morgendlichen Frühstück hier im Hotel, denn es war mittlerweile schon Abend. Tiefe Sommernacht. Ich wusste ganz genau woher dieses Gefühl kam. Was und wer der Grund dafür war. Ich wusste es und trotzdem wollte ich es meinem stolzen, neuen Ich nicht offenbaren. Einfach verdrängen. Für immer und ewig.

Das Taxi fuhr in ein Industriegebiet. Links neben mir Logan - der unwiderstehliche Engländer. Meine Begleitung. Mein Kriegsverbündeter. Der leuchtende Hochzeitsaal schien unglaublich groß und gefüllt zu sein. Wie erfreulich. Ich liebte ja Menschenmengen. Wirklich..Nein. Und noch mal nein. Ich hasste es. Hass, Hass, Hass und nichts anderes. Doch wieso ich mich nun, heute, nach so viel Zeit, in die Höhle des Löwen begab, konnte ich mir immer noch nicht erklären.

Aber das war es wohl - Mein neues, vor nichts zurückschreckendes Ich.

Nachdem ich dem Taxifahrer das Geld gereicht hatte, stieg ich vorsichtig aus. Mit koordinierten Schritten liefen wir auf den prachtvoll geschmückten Eingang zu. Meinen Arm hatte ich bei meiner groß gebauten Begleitung eingehakt. Und wie erwartet empfingen uns laute Menschenstimmen. Beinahe Gebrüll. Die dröhnende Musik schien einen Ich-Kann-Am-Lautesten-Reden Wettbewerb auszulösen. Die Menschen wirkten unbekannt. Und uninteressant dazu. Doch vorne erkannte ich es. Den Mittelpunkt dieses Geschehens. Das Brautpaar. Ich legte meine Haare auf eine Seite und zog meine kleine Tasche fester an mich heran. Meine Lippen pressten sich fest aufeinander. Jeder Schritt möglichst koordiniert. Ein Blick in Logans tiefbraunen Augen gab mir ein wenig mehr Kraft. Nach mehreren Schritten blieb ich stehen. Diesen Moment hatte ich gedanklich schon oft durchspielt. Schon so oft.

Die Blicke des Brauttisches blieben irgendwann bei mir haften. Ich wusste nicht recht ob ich über die Gesichtsausdrücke lachen oder weinen sollte. Lachen zog ich dann doch vor und diesen verdutzten Gesichtern entgegnete ich nun das am meist gehasste - ein aufgesetztes Lächeln, welches beinahe Provokation zuzuordnen war. Ein Lächeln was verraten sollte, glücklich zu sein. Überglücklich zu sein, auch wenn ich in derer Augen ein schreckliches, unmoralisches Monster war. Ein verdammtes Miststück war.

,,Herzlichen Glückwunsch ihr beiden. Danke für die persönlich gestaltete Einladung.'', sprach ich mit einem oskareifen Lächeln und auch mit einer guten Prise von Ironie. Der Bräutigam, ein ehemaliger Freund, welcher immer schon so ziemlich als Egoist galt, schien bei meinem Anblick am Liebsten auf mich losgehen zu wollen. Seine angespannte Körperhaltung verriet jeden seiner verabscheuenden Gedanken für mich. Die Braut, meine ehemalige Seelenverwandte, ließ mich aus ihrem rätselhaften Blick wenig deuten. Vor zwei Jahren war ich mir noch ziemlich sicher an diesem einem Tag neben ihr zu sitzen. Jedoch war das damals, vor allem, vor jeglicher Begegnungen. Vor jeglichem Verrat.

Ihre Augen glitten kurz zu meinem Begleiter rüber. Alle vor mir schienen geschockt zu sein. Alle hatten sicher nur eines im Kopf - Nämlich, dass ich der Inbegriff von weiblicher Hurerei war. Dass ich so eine widerliche Person war. Ich war schuld - Nein. Mein verdammtes Herz war es. Mein Verlangen. Denn alle hier kannten nur eine Perspektive. Sie kannten mich im Endeffekt nicht. Sie wussten eigentlich nichts.

Ob dies nun meinen Charakter verraten hatte? Wohl möglich - Doch jeder hier hatte Dreck am Stecken. Jeder.

Scheinheiligkeit, Vertrauensbruch, Ignoranz - Alle. Auch diese Hochzeit
- auch das traditionelle rote Band, welches an der Taille der Braut schimmerte und ihre Herkunft und Tradition kennzeichnete, welche sie mir stets versuchte näher zu bringen als wir spaßeshalber unsere Kulturen verglichen – Fake.

Denn ich erkannte es. Ich erkannte die Wölbung an ihrem Bauch. Ich wusste, dass alle hier, genauso wenig rein waren wie ich. Und mein lang haftender Blick auf ihrer Körpermitte, sollte es ihnen beweisen.

Ich war provokant. Ich war so dreist. Ich war skrupellos. Ich war der Inbegriff eines umgangssprachlichen Miststückes.

Denn ich war verdammt noch mal verletzt. Meine Seele wurde zerstört und misshandelt.

Wieso? Weil nur ich als Teufel bezeichnet wurde, als Sündiger, als Pest – Nur ich. Keiner dieser Menschen schien ähnliches durchgemacht zu haben. Besonders die Person, die schien mein Leben in ein neues Paralleluniversum zu kapitulieren, welche ich noch immer nicht erblickt hatte, scheinheilig wie alle hier, denn besonders diese abgefuckte Person - genau diese - hasste ich. Ich hasste sie abgrundtief. Auch wenn in meinem Inneren alles zitterte – wie damals – war meine äußere Fassade kühl wie Eis. Ohne jeglichen Anschein von Scham, Bange oder Nervosität. Ich war eiskalt.

Nach einem kleinen Moment Fassungslosigkeit meiner gegenüber, hakte ich mich erneut bei meiner attraktiven Begleitung ein. Zuletzt schenkte ich der verdorbenen Tischmitte ein leichtes Kopfnicken, unterstützt durch eine höchst selbstbewusste Körperhaltung.

,,Das war es? Nicht mal ein kleine Geschmacksprobe des köstlichen Buffets?'' Ich lachte auf. Logans sympathische Ader musste überall zum Vorschein kommen.

,,Hoffen wir mal, dass einzelnen Personen nicht das Essen aus dem Mund fällt, wenn sie genau jetzt dein Rückendekolletee betrachten.'' ,,Logan, hör bitte auf.'', sprach ich beschämt und doch leicht schmunzelnd. Und bevor ich mich versehen konnte, stand der neugierige Engländer am langen, bunten Buffet. Ich musste mir das Lachen schwer verkneifen. Und doch war dieses innere Zittern irgendwo vorhanden - ich überspielte es bloß. Die Tanzfläche füllte sich. Menschen feierten ausgelassen
– feierten eigentlich den Untergang einer ehemaligen Liebesbeziehung.
Wie absurd. Wie ironisch.

,,Und da tauchst du einfach auf, nach so viel Zeit, als neue Leila?''

Mein Atem schien im selben Moment die Funktionsfähigkeit zu verlieren. Und als diese vorerst erneut zu funktionieren schien, entfachten sich aus mir bloß kurze und schnelle Atemzüge. Gänsehaut zog über meine nun glühende Haut.

Ich hasste es. Ich verabscheute es. Mich. Meinen Körper. Meine Seele. Ihn.

,,Und immer noch zeigt dein Körper die gleiche Reaktion auf mich. Diese kannst du nicht durch eine neue Frisur, nicht durch dieses reizvolle Kleid, und auch nicht durch deine äußerst heiß wirkende Fassade verstecken.''

Seine warmen Fingerspitzen fuhren über meine Schulter. Es brannte. Jede weitere, einzelne Sekunde in welcher seine Haut meine berührte. Jede der folgenden Sekunden, in welcher sein warmer Atem meine Halsbeuge traf machte mich verrückt. Er hatte keinerlei Recht dazu. Er verdiente nicht mal, dass ich ihn mit meinem Hintern betrachtete. Mit einem Schwung drehte ich mich um. Unsere Blicken trafen sich. Nach unendlich langer Zeit. Zeit, in welcher ich litt, hasste, und all möglichen Mist tat um zu vergessen. Um zu verändern. Mich zu verändern. Geschehenes vergessen zu machen. Eine Person zu werden - die ich immer sein wollte. Seine maskulinen Gesichtszüge die gleichen – die selben, die mich damals verrückt machten. Mich vollkommen in sich bannten. Seine Gesichtszüge im selben Moment völlig verhärtet, eisig, vielleicht auch überrascht über mein Auftreten - und verdammt! Er sah immer noch so gut aus wie damals, vielleicht sogar noch besser.

,,Meine neue Zukunft ist um Welten besser als alles was ich hier zurück gelassen habe. In jeglicher Hinsicht.'' Ich lächelte ihm ins Gesicht - provokativ und selbstbewusster denn je – und während ich dass tat, sprudelten alle Ereignisse durch meinen Kopf – alle.

Auch die, die ich heute am meisten verdrängte, weil sie unglaublich waren. Unglaublich unmoralische, falsche und doch unglaublich leidenschaftliche.

...

Ich konnte es euch nicht weiter vorenthalten. Diese Geschichte wird was neues für euch als auch für mich.

Ich hoffe viele von euch werden auch bei dieser Story dabei sein.

🌹

EISBLAUWo Geschichten leben. Entdecke jetzt