16. Teil - ,,Entscheide du"

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Meine Augen bohrten sich in den Desktop-Bildschirm meines Laptops. Stundenlang durchsuchte ich das Internet nach Zukunftsplänen. Wie konnten so viele Menschen so genau wissen, was aus ihnen werden sollte? Wo sie in wenigen Jahren stehen wollten?

Wieso konnte ich nicht so sein?

Irgendwie hörte sich alles leichter an, als es dann doch tatsächlich war. Es geschah auf einmal alles viel zu schnell, viel zu ungenau, viel zu ungeplant.

Als sich meine Augen auf ein Bachelorstudium-Angebot in London fixierten, klingelte es plötzlich an der Tür. Es war Vorabend und irgendwie erwartete ich in dem Moment auch nur meine Eltern. Doch es kam anders. Meine Augen erblickten die unschuldigen Kinderaugen meines 3-Jährigen Neffen. Als er bereits kichernd um meine Füße herumsprang, erkannte ich über ihm auch meine Schwester.

,,Was macht ihr den hier?'', brachte ich gerade noch so überrumpelt über meine Lippen. Mit dieser Aussage kassierte ich einen Schlag auf den Hinterkopf.

,,Begrüßt man etwa so seine ältere Schwester nach vielen Wochen des nicht Sehens?''

Nachdem ich den kleinen mehrmals mit Küssen übersät hatte, widmete ich mich seiner Mutter. Wir lagen uns lange in den Armen, bis wir merkten, dass wir immer noch wie Idioten an der Türschwelle standen.

Medina und ich sahen uns optisch überhaupt nicht ähnlich.

Gut, vielleicht gab es ein paar identische Gesichtszüge oder das ein oder andere ähnliche Körpermerkmal, doch im Gesamtpaket waren wir ziemlich verschieden. Das Braun ihrer Haare war um einiges heller als meins. Sie trug sie kürzer und mit einem Seitenscheitel. Ihre Augen waren beinahe schwarz, meine hingegen viel heller, welche im Licht sogar sehr grün wirkten. Zudem musste man die Ungerechtigkeit der Gene betonen - denn sie konnte essen wie Zwei-Mann - entbunden haben - und trotzdem war sie stets sehr schlank und absolut Speck frei. Ich hingegen schien nach unserem Vater und seinem Stamm zu kommen - denn ich war um einiges kurviger.

,,Also auf deine Reaktion hin zu deuten, muss Idris wirklich die Zähne zusammen gebissen haben. Respekt dafür.''

,,Warte..Idris? Wie meinst du das, Medina?''

Während sie unseren ungeduldigen Munib von seiner dicken, ungemütlichen Jacke entledigte sah sie mich lachend an.

,,Dann ist die Überraschung ja wirklich gelungen. Und dann war er auch noch so charmant und wollte nicht mit hochkommen, damit wir erst mal etwas Zeit zum quatschen haben.''

,,Euer Kommen hat Idris geplant..'', stellte ich zögerlich fest.

,,Ja ganz genau. Er erzählte du seist in den letzten Tage etwas schlecht gelaunt und er glaube, dass Munib und ich die Sache wieder hinbiegen könnten.''

Sie drückte mich kurz, ehe sie die Jacken aufhing. Währen dessen widmete ich mich dem kleinen Engel - wobei ich aus den Erzählungen meiner Schwester wusste, dass das äußere von dem kleinen oft täuschte. Er grinste mich hinreißend an und quietschte laut vor sich hin.

Es war beinahe wie früher, bloß das uns hin und wieder mein Neffe mit Töpfchen, Hunger oder einfacher Langweile vom pausenlosen Reden abhielt. Medina machte dieses „Mutter-Ding" lobenswert. Bei ihr wirkte alles so einfach und unbeschwert.

Studium, Mann, Umzug, Kind - und dann fand sie neben all dem noch Zeit für mich. Neben ihrem ausgefüllten Leben fühlte sich meins so leer an. Aber nicht im Sinne von, ich bräuchte ihren Lebensablauf - nein. Ganz im Gegenteil.

Ich sehnte mich nicht nach Heirat oder sonstigem festen - es war mehr die Sehnsucht nach den Glücksgefühlen. Dem unbeschwerten. Der Erfüllung.

,,Na sag mal, wie läuft es zwischen Idris und dir?''

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