36. Teil - Wundester Punkt

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Es war eine komische Nacht. Eine viel zu kurze Nacht, in welcher ich nicht wie zuvor wirres Zeug träumte. Ich träumte nichts konkretes. Nichts, was mich belastete, nachdem ich meine Augen geöffnet hatte. Der warme, große Körper an meinem Rücken, welchen ich nach einer kurzen Sekunde Tarik zuordnete, ließ bereits in den frühen Morgenstunden meinen Puls spürbar reagieren.

Ich bewegte mich nicht. Keinen Millimeter. Bewegte mich nicht, um ihn nicht zu wecken. Um diese sowieso nicht mehr lang anhaltende Magie ja nicht zu brechen. Tariks große Hand, welche bereits wie beim Einschlafen um meine Hüfte gelegt war, füllte sich ungewöhnlich sicher und geborgen an. Ich würde lügen, wenn es nicht bis jetzt eins der intensivsten Gefühle in meinem Leben war. Diese magische Emotion, welche mich von innen erwärmte und mit Lebenslust füllte, war unbeschreiblich. Und doch wusste ich, dass all dies vergänglich war. Dieser Moment war vielleicht magisch - Magisch für mich allein.

Für die Leila, die stets gegen diesen Mann sprach. Gegen seinen Lebensstile und seine Verführungsqualitäten. Ich hasste ihn damals. Hasste wirklich alles an ihm. Von seinen einzigartigen Augen bis hin zu seinem taktlosen Humor. Und nun war alles anders. Tränen stiegen in meine morgendlich trockenen Augen und rollten quälend langsam über meine Wangen, während ich stumm die weiße Wand betrachtete. In welchem Zustandsgrad war ich bloß angekommen? War es noch gesund? Noch gesund dieses Brennen in der Brust? Dieses Verlangen nach mehr? Nach etwas, was nie zustande kommen würde?

Ich konnte alles leugnen. Von Anfang an bis heute. Ich konnte mich selbst belügen. Jeden morgen aufs neue wenn ich in den Spiegel sah und auf etwas besseres hoffte. Aber es war nun kristallklar. Kristallklar wie die blauen Augen des Verursachers. So sehr es meinem inneren Ich auch nicht passte. So sehr ich mich dafür auch hasste und am Liebsten zerstören wollte.

Ja verdammt, ich gab es zu. Ich gestand es mir am heutigen Tage ein.

Ich hatte mich in diesen Mann verliebt.

Ich liebte Tarik Hodzic.

Und diese verdammte Emotion würde mich mein Leben kosten, wenn ich nichts dagegen unternehmen würde. Denn er empfand nichts dergleichen für mich. Nach seiner Kindheitsgeschichte könnte er das auch nie. Und ich war keine Frau, die um einen Mann und seine möglichen Gefühle kämpfen würde. Egal was für Emotionen mich leiten würden - dieses Elend würde ich mir mit Sicherheit ersparen.

Vorsichtig legte ich den Arm von Tarik von meinem Körper weg. Dabei hörte ich ihn etwas nuscheln, doch er musste träumen. Mein Blick glitt während dem Aufrichten zu ihm. Konnte ein Mensch während des Schlafs wirklich so gut ausschauen? Seine Gesichtskonturen waren genau so attraktiv wie sonst. Die Haare wirkten kindlicher aufgrund ihrer chaotischen Struktur und doch empfand ich auch das als viel zu anziehend. Waren diese männlichen Gesichtszüge wirklich damals so hilflos gewesen? Es war undenkbar. Undenkbar, dass so ein selbstbewusst wirkender Verführungsmeister als Kind solches schreckliches miterleben musste. Eine weitere Träne verließ nach dieser Vorstellung meinen Augenwinkel.

Still wie möglich verließ ich das Zimmer und verschwand im Bad. Nachdem ich meine Zähne geputzt- und mein Gesicht gewaschen hatte, blieb ich minutenlang vor dem Wandspiegel stehen. Meine Augenlider waren wegen den verlorenen Tränen rötlich geschwollen und unterstrichen meine miserable Situation nur noch mehr. Als ich plötzlich dichte Schritte hörte hielt ich meinen Atem an. So als ob mich dieser verraten könnte. Wie dumm.

Er war wach. Und als ich das Geräusch eines Reisverschlusses vernahm, wusste ich, dass er gehen würde. Er war sicher dabei seine Jacken zu schließen. Meine Fingerspitzen bohrten sich in das Material der Raumtür. Ich war versteift. Versuchte diese merkwürdige Spannung in meinen Körper zu bändigen und nicht klein nachzugeben. Er musste gehen. Er sollte gehen. Es waren nur noch wenige Wochen übrig. Ich musste über ihn wegkommen. Und das auf eine Weise, auf welche Tarik niemals erahnen würde, was der eigentliche Grund von alldem ist. Er durfte nie erfahren, dass ich ihm nicht nur körperlich, auf Lustebene verfallen war. Denn ich war ihm seelisch verfallen. Mit Leib und Blut. Und das würde er nie erfahren.

EISBLAUWo Geschichten leben. Entdecke jetzt