4. Teil - Das Battle

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Ich rollte mich langsam von der Couch runter und legte ernüchternd die Decke zur Seite. Mit langsamen Schritten lief ich auf die Haustür zu und blickte neugierig durch den Spion. Das übermüdete Gesicht meiner Mutter erschien vor mir. Ich öffnete die Tür und ohne, dass sie mich begrüßte, flitze sie in ihr Schlafzimmer.

,,Dir auch hallo Mama!'', rief ich sarkastisch durch die Wohnung und folgte ihr. Gelangweilt stand ich an der Zimmertür und betrachte sie ruhig.

,,Seid wann bist du da?'', fragte sie flüchtig und suchte im Schrank nach etwas.

,,Schon etwas länger her. Bist du etwa fertig mit der Arbeit?''

Sie lachte ironisch auf. Ich wusste auch im Nachhinein, dass meine gestellte Frage doch irgendwie absurd war. Aber über irgend etwas mussten wir ja reden. Da fiel mir nun mal kein besseres Thema ein.

,,Ach was! Ich suche nur Kleingeld, wir haben sonst kein vernünftiges Wechselgeld mehr.''

Genervt verdrehte ich meine Augen und lief ins Wohnzimmer zurück. Innerlich verspürte ich wieder diese Abneigung gegenüber ihrem Laden. Einmal in der Woche sah ich meine Eltern ganztags. Manchmal auch nur teilweise und das war einzig und allein sonntags. Seit meine Schwester ausgezogen war und auch davor schon, galt dieser Rhythmus als ungeschriebenes Gesetz. Und heute konnte es mir eigentlich egal sein. Ich wohnte nur noch zuhause, weil ich mir derzeitig mit meinem Minijob keine eigene Wohnung finanzieren konnte.

Medina - meine um genau zu sein sechs Jahre ältere Schwester - war das totale Gegenteil von mir. Sie war die perfekte Schülerin. Studierte eifrig, hatte nie ernste Probleme, die sie durch Dummheiten bezweckte. Und jetzt hatte sie auch noch ihren Traummann geheiratet, den sie während ihres Studiums kennen lernte. Wie klischeehaft. Zusammen lebten alle in der Schweiz, bei Bern. Mittlerweile war ihre kleine Familie gewachsen. Mein Neffe war nun bald drei Jahre alt. Medina war für mich mehr als eine Schwester. Eher eine beste Freundin. Wir hatten nur uns, doch dies reichte vollkommen aus. Als ich erfuhr, dass sie ins Geburtsland von ihrem Mann ziehen würde, brach für mich eine kleine Welt zusammen. Schon die Tatsache, dass wir nicht mehr unter einem Dach leben würden, ließ mich anfangs verzweifeln. Nun sah ich sie durchschnittlich einmal im Monat. Seit sie weg war, polte sich mein Leben ins negative um.

Für was sollte ich jetzt noch anständig handeln? Für wen sollte ich jeden Tag meine Hausaufgaben machen? Es gab einfach keinen Grund mehr anständig zu sein. Und es kontrollierte mich auch keiner mehr. Für mich war in allem kein wahrer Sinn mehr vorhanden. Vielleicht war es damals auch der Reiz, meine Eltern endlich auf mein Leben aufmerksam zu machen. Doch nicht mal das erweckte all zu großes Interesse. Sie hatten keine Ahnung.

,,Ich bin weg!'', hörte ich meine Mutter aus dem Flur rufen.

,,Hätte auch nichts anderes erwartet.'', sagte ich ironisch vor mich hin und beobachtete still wie sie ihre Stiefel anzog.

,,Hast du etwas gesagt?'', fragte meine Mutter beiläufig und überprüfte währenddessen ihren Tascheninhalt.

,,Nein, geh ruhig.'', rief ich etwas lauter und auch mit einem klitzekleinen Hauch von Vorwurf. Mit wenig Zärtlichkeit schloss ich meine Zimmertür zu und legte mich aufs Bett. Erwartungsvoll wartete ich, dass meine Mutter vielleicht an die Tür klopfte und sich mir möglicherweise widmen würde. Doch Fehlanzeige. Und ich war es jahrelang gewohnt. Was erwartete ich mit Anfang zwanzig nun?

Als ich hörte wie die Haustür ins Schloss fiel, spürte ich nur noch mehr Wut in mir aufsteigen. Manchmal erwachte in mir das kleine Mädchen, welches sich einfach nach Aufmerksamkeit sehnte. Nach mütterlicher Liebe und Fürsorge. Ich atmete überfordert aus und sah mich in meinem großen Zimmer um. Nun war es zu groß und früher war es viel zu klein. Ich musste plötzlich schmunzeln.

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