33. Teil - ,,Gefällt er dir?"

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Es war bereits mein dritter Tag in diesem leblosen Krankenzimmer. Ich konnte diesen beengenden Raum kaum mehr ertragen. Ungeduld kennzeichnete meinen Charakter schon seit Kindeszeit. Der selbe, eintönige Ablauf. Morgens weckte uns das Krankenpersonal - einfach so um sechs Uhr morgens. Nur damit man mehr als eine Stunde lang auf den hektischen Chefdoktor wartete, der einen dann in weniger als drei Minuten unter die Lupe nahm und wieder entliess.

Die frisch genähte Wunde schmerzte nicht mehr sehr, jedoch sollte es das auch nicht, wenn ich quasi 95 Prozent meines Alltags mit Krankenbett und liegen verband. Ibuprofen 600 erfülle zudem auch seinen Zweck.

Keiner wusste was mit mir war. Weder meine Eltern, welche seit mehreren Wochen nicht mehr in Deutschland lebten, noch meine ältere Schwester, Medina, welche ich nicht mit solch Blödsinn belasten wollte. Sie hatte ihr Leben, ihren Mann, ihren Sohn und wohnte mehr als hundertfünfzig Kilometer weit entfernt. Von meinem einstigem Freundeskreis wollte ich erst gar nicht anfangen.

Geni, welche mich mit keinerlei Fragen belastete, brachte mir freundlicherweise eine Tasche mit Verpflegung für diesen elendig langweiligen Aufenthalt hier. Dass sie diese Person war, die ich damals, ganz am Anfang, im Restaurant an der Seite des eisblauäugigen Steines kennenlernte, klang absurd.

Manchmal fragte ich mich, besonders vor dem Einschlafen, was geschehen wäre, wenn die Kugel doch nicht tatsächlich ein lebenswichtiges Organ getroffen hätte. Wenn ich tot wäre? Dann wäre mein Leben mit Anfang Zwanzig zu Ende - ohne, dass ich wirklich etwas durchlebt hätte. Ohne meine Persönlichkeit vollends entfaltet zu haben. Wie schade. Musste man erst in den Genuss des Todes kommen, um sich im Klaren zu sein, aus seinem Leben noch viel mehr rausholen zu wollen? Auf dumme, unnötig Tatsachen scheißen zu können?

Ja, anscheinend war so ein Realitätswurf nötig. Denn das Leben besitzen - zu atmen und zu fühlen - bedeutete nicht automatisch dass man lebte. Das Leben als Nomen und als Verb waren sich doch so fern.

Nach der ersten, ausgiebigen Dusche seit Tagen spürte ich Erleichterung. Die Katzenwäschen davor waren keineswegs befriedigend - auch wenn medizinisch verordnet. Dass meine Haut endlich nach fruchtigem Duschgel anstelle sterilen Jodes roch, glich einem Traum. Erleichtert schlüpfte ich in meinen Lieblings Jogginganzug im dunklen Olivgrün. Meine Haare fielen noch feucht über meine Schultern. Und nach alldem doch etwas erschöpft ließ ich mich auf das Krankenbett fallen. Das Mittagessen stand abgedeckt auf meinem Beistelltisch. Ich öffnete mit einem neugierigen Seitenblick den Deckel des Tellers. Das grüne Bohnenzeug sprach mich nicht besonders an, deshalb schloss ich es und lehnte mich seufzend zurück.

Als es an der Tür klopfte, schlüpfte ein bis jetzt mir unbekannter Arzt in den Raum.

„Frau Musai, aus Krankheitsbedingten Fällen betreue ich sie nun die restlichen Tage bei uns hier anstelle von Doktor Schiller."

Ein verhältnismäßig junger Arzt, der lächelnd einschritt, war mindestens 1,90 groß. Sein Haar war schwarzgrau. Aber er konnte nicht älter als 35 sein. Es musste sicher eine genetische Veranlagung sein, die sein frühes, graues Haar begründete. Der Doktor besaß ein sehr einzigartiges, auffälliges Aussehen. Gutaussehend war wirklich untertrieben. Er musste sicher ein Top-Thema des gesamten weiblichen Krankenpersonales sein.

„Ich grüße Sie, Funar mein Name."

Eine große, gepflegte Hand streckte sich mir entgegen, die ich ebenfalls lächelnd drückte. Mein Name verharrte auf seinem Namensschild. Ein ungewöhnlicher Nachname und da ich mich geologisch genauso wenig auskannte, wie mit der Zubereitung von perfekten Fleischgerichten, musste ich vergebens passen.

„Erwischt. Rumänisch. Mein Vater um genau zu sein. Und Sie?",

Er schnappte sich einen Holzstuhl und setzte sich vor mich. Dabei hatte ich das Gefühl, dass er stark runter blicken musste, um mit mir auf perfekter Augenhöhe zu sein.

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