44. Teil - Neues Leben

2.7K 165 84
                                    

,,Frau Musai!!! Sie können doch nicht so kurzfristig alles canceln?"

Mit zusammengekniffenen Augen wechselte ich mit dem Handy in der Hand die Ohrseite, um den linken Gehörgang von Frau Whites' schrillen Stimmton Rehabilitation zu gewähren.

,,Ja es tut mir wirklich leid, aber meine Entscheidung steht fest. Ich werde nicht in London studieren."

,,Sie wissen aber, dass Sie sich hiermit eine große Chance entgehen lassen, oder? Eine Chance, die viele gerne hätten?"

Ich lehnte mich an die Küchenzeile und atmete tief ein. Mein Blick starrte nachdenklich in den Vorratsschrank. Ich musste noch Milch kaufen. Milch, Pudding und Chips. Meine Periode bahnte sich an, und die Fressattacken anscheinend auch.

,,Das weiß ich, Frau White. Aber trotzdem ändert dass nichts an meiner Entscheidung."

Nun war die imaginäre Liste, von Menschen die mich absolut nicht leiden konnten, um einiges länger geworden. Frau White musste fett und kursiv ebenfalls auf dieser Liste ihren Platz gefunden haben. Vielleicht fand sie mich verrückt. Vielleicht sogar egoistisch und undankbar..Ja vieles konnte von diesen eher bescheidenen Eigenschaften nun definitiv auf mich zutreffen. Aber ich fühlte mich noch nie so lebendig. Und war ,,lebendig sein" nicht eine Priorität in diesem kurzen und an einem vorbeiziehenden Leben? Manchmal vergaßen wir, dass dies hier sehr wohl ein Test war mit Multiple-Choice-Möglichkeiten. Wir besitzen doch die Macht über jeden Schritt von uns. Über jede Sache, die uns kränken oder wiederum Licht ins Dunkle bringen könnte? Nicht wahr? Ja. Wieso musste man sich einem System anpassen, was gar nicht das passende System für einen individuell darstellte? Dass einzige was zählte sind wir. Du, ich, er..alle von uns. Niemand konnte uns dieses Privileg nehmen, auch wenn es viele genau so darstellten, als ob sie es sehr wohl dürften.

Nein. Und erst wenn wir unsere Augen öffneten für die weite Welt und gegenüber denen schlossen, welche uns in ein System stecken wollten - ja erst dann würden wir Glückseligkeit empfinden. Während ich bereits erste Sachen aus meinem Zimmer ausmistete und den Tönen meines Radios entgegen summte, ertönte ein gedämpftes ,,Ping''. Eine Nachricht von einer nicht gespeicherten Handynummer.

- Hey Leila, Logan hier. Ich habe gesehen, dass du die Studentengruppe verlassen hast. Kann ich fragen wieso?

In meinem Kopf ratterte es. Logan.. Und als ich das Profilbild des jungen Mannes musterte, löschte sich endlich das Fragezeichen aus meinem Kopf. Grauwirkende Augen. Ungewöhnlich dunkelblondes, leicht gelocktes Haar und hohe Wangenknochen.. Hatte ich nicht sogar für den Tag des Abflugs eine Fahrgemeinschaft mit ihm gebildet? Ups, scheiße. Ich war wirklich egoistisch. Logan war der halb Engländer, der ebenfalls wie ich das Studium in London antreten wollte und nicht so weit entfernt von mir wohnte, wie die anderen deutschen Studenten, die nach London wollten. Etwa 100 Kilometer trennten uns.

- Hey Logan. Ich habe mich kurzfristig gegen das Studium entschieden. Sorry fürs nicht Bescheid geben. Wünsche dir aber viel Erfolg und einen guten Start. Alles gute.

Ich hatte viel von meinen Sachen ausgemistet. Irgendwie wirkte es wie Ballast. Ballast aus der Vergangenheit. Und ich wollte in die klare Zukunft schauen. Trotzdem, als ich die Schulbilder von Seda, Jiyan und Idris und mir betrachte, welche so unschuldig wirkten.. Ja da musste ich ehrlich zugegeben, zwei mal überlegen zu müssen, ob ich diese wirklich zu den Dingen tat, welche in den Müll landeten. Ja und ich tat es. Bis auf ein gemeinsames Bild, welches unseren gemeinsamen Abschlussball bildlich darstellte. Dieses Bild behielt ich. In diesem Moment merkte ich, dass nicht immer alles schwarz und grau war. Manchmal gab es auch Erinnerungen, die mich lächeln ließen. Die mich an lustige Aktionen zurück erinnerten. Wie unseren Abschlussstreich, als wir alle vier zusammen nachsitzen mussten. Als wir aus dem ganzen Drama mit der Schulleitung trotzdem eine Party unter uns, als die ganze Schule leergefegt war, veranstalteten. Und es lag lang zurück. Wir hatten uns alle verändert. Sehr verändert.

EISBLAUWo Geschichten leben. Entdecke jetzt