39. Teil - Abhängigkeit

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Mein Atem schien immer noch viel zu schnell über meine Lippen zu streifen. Die Hautoberfläche meiner Wangen glühte ähnlich wie bei einem Sonnenstich, als ich die Szene, die sich vorher in der Seitengasse Granadas abgespielt hatte, in meinem Kopf wiederholte. Es war als ob das alles ein Film war. Ein regierter Film, welchen ich als Zuschauerin stumm betrachtete, mit dem trockenen Hintergedanken, so etwas nie zu erleben. So eine Leidenschaft, so ein Verlangen nach einem Menschen, der genauso wie ich aus Knochen und Blut bestand. Unmöglich.

Viele Menschen schwärmten von der Liebe. Diese eine Liebe. Von diesen überwältigenden Gefühlen, welche einen in einen völlig anderen Menschen verwandelten. Einen zufriedenen Menschen. Und wenn ich an diese intimen Szenen zurück dachte, war ich auf eine absurde Weise zufrieden.  Zufrieden verliebt zu sein. In einen Menschen, der mich irgendwie auch wollte  - nicht wollte, wie ich wollte - aber doch wollte.

Ein schlichter Mindfuck - oder bildete ich mir dass nur ein? War diese Situation etwa normal? Wirklich normal?

Ich spürte Tariks warmen Atem in meinem Nacken, während ich die grüne Landschaft aus dem Busfenster still beobachtete. Meine Haut kribbelte aufgeregt - und er wusste das. Er wusste, dass die einstige Leila, die ihn verabscheute, heute unter seinen Berührungen zu Butter schmolz.

,,Wohin fahren wir?", fragte ich mit viel zu wenig überzeugender Stimmlage. Ich versuchte Tarik in seinen gefährlichen Annäherungsversuchen zu stoppen, nicht weil es mir nicht gefiel - weil es mir eigentlich mehr als gefiel. Nebenbei erwähnt, konnte ich vielleicht vier Wörter auf spanisch sprechen. Und Orientierung war keine meiner Stärken. Als wir in den vollen Bus stiegen, war ich immer noch gedanklich von unseren Gefühlsaustausch benebelt. So benebelt, dass ich nicht einmal wusste, wohin uns diese Busreise führte.

,,Ein Ort, an dem ich gerne bin und da mein Geburtstag noch läuft, passt das gut.", antwortete er während er die Uhrzeit auf seinem Handy prüfte.

,,Fahren wir etwa zu einem spanischem Stripclub?", fragte ich ironisch klingend und erweckte aus Tarik ein symphatischklingendes Lachen.

Auf einmal verzogen sich seine Gesichtsmuskel und ein leises Zischen ertönte seinerseits. Der Grund dessen waren kleine Hände, die an Tariks dunklem Haar zogen. Als meine Augen weiter hoch wanderten kreuzte sich mein Blick mit zwei kirschbraunen Augen, welche von geschwungenen Wimpern umzingelt wurden.

Das kleine Gesicht strahlte mich begeistert an. So als ob es etwas gutes tat, wobei es dabei war, Tariks Haare rücksichtslos von seiner Kopfhaut zu lösen. Der dunkelblonde Junge, welcher vielleicht zwei Jahre alt war, lachte herzhaft als Tarik ein viel zu übertriebenes Ächzen ertönen ließ. Ich verfolgte das Szenario grinsend mit.

Als sich Tarik - der gebrochene - neugierig zurückdrehte und gleichzeitig seine Kopfhaut massierte, versteckte sich der kleine Junge in den beschützenden Armen seiner Mutter. Nicht ängstlich, sondern souverän kichernd.  Er besaß ähnliche Augen wie seine Mutter, welche mich in diesen Moment entschuldigend anschaute und durch das Lachen ihres Sohnes angesteckt wurde, welchen wir durch den Spalt zwischen den Sitzen beobachteten. Seine Mutter ermahnte ihn lachend und dadurch erfuhren wir seinen Namen, welcher auf Carlos hörte.

Als sich Tarik wieder nach vorne gedreht hatte, starrte ich immer noch zu dem kleinen Jungen. In weniger als zwei Sekunden erblickte ich wieder seine kleinen, süßen Hände, welche sich wieder frech mit Tariks Kopfhaut auseinandersetzten. Als das Geburtstagskind neben mir plötzlich eine dieser kleinen Hände sanft festhielt, ließ der kleine Junge einen Mix aus Schrei und Lachen frei.

,,Mamaaa!", quietschte der kleine euphorisch und betonte das gebräuchliche Wort auf spanische, sympathische Weise.

Tarik richtete sich auf einmal von seinem Sitz auf und packte sich den kleinen, um ihn auf seinen Schoss zu platzieren. Neugierig beobachtete ich, wie der eigentliche Eisklotz mit dem kleinen, unschuldigen Wesen umging. Der ,Haarzieher' wirkte plötzlich schüchtern, als er von Tariks tiefblauen Augen zu mir rüber schielte. Ich schenkte ihm ein Lächeln, während Tarik ihn ebenfalls faszinierend musterte. Hilfe. Er konnte sogar mit Kindern umgehen..

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