8. Teil - ,,Hast du Angst?"

2.6K 133 13
                                    

Yevgeniyas und meine Wege trennten sich. Nachdenklich fuhr ich mit dem überfüllten Bus nach Hause. Doch die kreischenden Schulkinder waren nicht meine Sorge. Ich hatte wieder dieses lästige Gefühl in meinem Inneren. Es war ein komisches Bauchgefühl. Immer wieder sah ich hinter mich, so dass mein Nacken bereits Reaktion zeigte und anfing zu schmerzen. Doch jedes Mal war nichts auffälliges zu erkennen.

Zuhause schloss ich die Türen mehrmals ab und überprüfte dies beinahe hysterisch.

Dieses altbekannte Gefühl.. es war scheußlich. Und verdanken konnte ich es alleine mir selbst.

Um meine Nerven zu entlasten, beschloss ich ein Schaumbad zu nehmen. Ich füllte die Badewanne bis kurz vor den Rand mit heißem Wasser und  legte mein Handy auf den nahestanden Wäschekorb ab. Meine neue Playlist sollte für den zusätzlichen Entspannungsfaktor zählen. Langsam legte ich mich ins heiße, dampfende Wasser und spürte wie sich der angenehme Kokosgeruch im Raum verbreitete und meine Haut anfing zu kribbeln. Verträumt schloss ich meine Augen und hielt meine Nase zu. Als ich einmal unter- und hoch getaucht  war, öffnete ich sie wieder und flüsterte den Text des souligen Liedes nach. Ich wollte alles vergessen. Nur für einen kurzen Moment lang.

Auf einmal stoppte das Lied und mein Klingelton ertönte. Ich trocknete meine Hand mit dem nebenstehenden Handtuch ab und nahm das Handy zu mir. Als ich auf den Display sah, erblickte ich fett und groß - Idris - drauf. Ich drückte ihn weg und schaltete die Musik erneut ein. Jetzt hatte ich wirklich null Geduld oder nerven für ein unsinniges Gespräch, welches wie oft schon enden würde: ich sollte nachgeben. Und dieser Charakterzug passte zur wirklichen Leila in keinster Weise. Schon gar nicht nach der Situation vorher beim Essen. Er würde sowieso Tariks Taten gut reden und mich versuchen weich zu kriegen.

,,Tarik ist eigentlich ein guter Kerl.''

Ich schüttelte unglaubwürdig meinen Kopf und ließ mir Yevgeniyas Wörter erneut durch den Kopf gehen.

Guter Kerl? Der?!

Dass ich nicht lache. Die Sache mit seinem Vater ließ ihn mich jedoch aus einer anderen Perspektive betrachten. Der Vorstellung zuzusehen, wie meinen Vater eine Kugel in den Kopf geschossen wird.. Ich spürte wie piksende Gänsehaut meinen Rücken entlang fuhr, trotz hochgradiger Wasser Temperatur. Ich versuchte Tarik aus meinen Gedanken zu verbannen, doch immer wieder stellte ich mir vor, wie er als kleiner Junge den schrecklichen Mord an seinem Vater hautnah miterlebte. Das war eine bittere Schwachstelle meines Charakters. Ich hatte viel zu viel Mitgefühl für andere Menschen. Viele sahen dies als gute Eigenschaft an, jedoch war es das nicht. Man wird weich und weich bedeutete Schwäche. Schwäche die hinterlistig ausgenutzt werden konnte.

Als ich nach einer guten Stunde mein Entspannungsbad beendete, band ich mir ein Handtuch um den Körper und spürte wie trocken mein Rachen sich plötzlich anfühlte. Ich lief zum Kühlschrank und schnappte mir eine kühle Wasserflasche. Nach einem großzügigen Schluck legte ich diese zurück. Als nächstes zog ich mir eine graue, lockere Jogginghose und ein schwarzes, übergroßes Shirt über. So konnte man schon viel besser atmen. Ich schnappte mir daraufhin den Föhn in die Hand und ging damit durch meine feuchtes, dunkelbraunes Haar. Es dauerte eine Ewigkeit bis ich fertig war. Doch wenn ich das föhnen ausließ, plagten mich oft Kopfschmerzen.

Als ich dabei war, meine Spitzen mit einem Haaröl zu pflegen, ertönte erneut mein lästiger Klingelton. Ich musste einen anderen wählen, denn dieser machte mich verrückt. Mühsam lief ich zum Handy hin und erkannte, dass meine Mutter dieses mal anrief. Einen wichtigen gelben Umschlag sollte ich ihnen im Laden vorbeibringen, welchen meine Mutter heute morgen auf ihrer Schlafzimmerkommode vergessen hatte.

Natürlich war das für sie selbstverständlich. Genau da, wo ich mich entspannt zurücklehnen wollte, musste etwas dazwischen kommen.

Ich ließ meine gern genannten 'Gammler-Klamotten' an. Schnell fuhr ich mit einer Lippenpflege über meine vollen Lippen, da es draußen sehr windig schien und ich die Angewohnheit hatte auf meiner trockenen Lippe herumzukauen. Schnell schlüpfte ich in meine Schuhe und sauste das kleine Treppenhaus runter. In der Bahn quälte ich mich erneut mit den Schulkindern, Pensionären und Kinderwägen. Mein sinnlicher Wunsch, den Führerschein zu bestehen und ein eigenes Auto zu besitzen, war noch weit, weit, weit, weeeit entfernt.

EISBLAUWo Geschichten leben. Entdecke jetzt