27. Teil - Ehrenloses Miststück

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Irgendwo weit weg, wie in Trance gefangen, hörte ich ein störendes Geräusch. Ein Geräusch welches auslöste, dass dieses berauschende etwas aufhörte. Dieses etwas, was mein inneres zum Explodieren brachte. Etwas was ich noch nie gespürt hatte.

Meine Augen öffneten sich vorsichtig, während meine Lippen verräterisch im Einklang meines viel zu schnellen Pulses pochten. Eisblau sah mich tief durchdringend an. Unsere Körper klebten noch förmlich aneinander, während der Regen kaum aufgehört hatte. Pitschnass, bis auf die dünnste Hautschicht. Eisblau musterte mich beinahe einschüchternd, so dass die Hitze in mir drin die kühle Außentemperatur um uns herum besiegte.

Meine Hand zückte das läutende Handy aus meiner Jackentasche. Mit trockener Stimme und unter der konstanten Beobachtung der nahen, eisigen Augen nahm ich das Telefonat entgegen, welches diese unbeschreibliche Magie so eben gebrochen hatte.


„Wo warst du? Mama und Papa geht es scheußlich!"

Mürrisch sah ich zu meiner tadelnden Schwester hoch. Seufzend entledigte ich mich meiner pitschnassen Klamotten. Mir war total übel und von dem Hämmern in meinem Kopf wollte ich erst gar nicht anfangen.

„Du bist jetzt doch da. Wieso sollte ich die Stellung halten, wenn du darin doch sowieso besser bist?"

Medina zog mich am Arm zurück und hinderte mich daran, in die Dusche zu steigen.

„Leila. Ich habe nun meine eigene Familie. Ich kann nicht immer hier sein. Du bist alt genug um nun für unsere einmal Eltern da zu sein. Verstehst du deren Lage nicht? Und seid wann trinkst du und das in solchen schlimmen Ausmaßen?"

Mein Puls erhöhte sich. Ein Brennen in meinem Brustbereich verhinderte die korrekte Atmung. Die großen, geweiteten Augen meiner älteren Schwester, welche Strenge verkörpern sollten, machten mich wütend.

„Na und? Waren sie für mich da? Waren sie das, Medina? Sei ehrlich! Dieser beschissene Laden war für sie alles! Wichtiger als ihre Familie! Deshalb kümmert mich dieser scheissdreck nicht mehr!"

Schnaubend rüttelte ich mich frei von meiner Schwester und schloss die Badezimmertür unsanft ab. Emotionen trafen mich aus verschiedensten Ecken.

Ich war ein egoistisches Biest.

Ein Biest, welches sich nur mit dieser kühlen Art schützen konnte. Vor sich selber. Vor jedem.

Mit immer noch pochenden Lippen stieg ich in die Dusche und ließ viel zu heißes Wasser über meinen Körper laufen. Tränen vermischten sich mit Leitungswasser. Wut vermischte sich mit Gier. Verlangen vermischte sich mit Vernunft.

Laute Stimmen weckten mich. Enorme Kopfschmerzen zogen sich von meiner Stirn bis in meinen Hinterkopf und erschwerten mir das aufrechte Sitzen.

Verdammter Alkohol... Verdammt seist du Leila und deine spontanen Ideen!

Die Tür, welche weit aufgerissen wurde, ließ mich wie ein Vampir vor Sonnenstrahlen aufschreien.

„Na hast du jetzt deinen eigenen Hangover Film gedreht?"

Medina zog die Rollläden hoch und ließ eiskalte Luft in mein Zimmer hinein. Ich fühlte mich wie in einer militärischen Kaserne. Nun wusste ich, wieso ich den Umzug meiner Schwester jeden Tag aufs Neue bejubeln sollte – jedoch lieber mit alkoholfreien Getränken.

„Ich würde nach deinem labilen Zustand gestern fast meinen, dass du in einer Beziehungskrise stehst, jedoch verrät dein Hals etwas ganz anderes."

Verschlafen blickte ich in meinen gegenüberliegenden Spiegel. Herzrasen und ein kalter Schweißausbruch setzten an, als ich den leichten Bluterguss auf meinem Hals erkannte. Meine Fingerspitzen tasteten erschrocken drüber und in weniger als einer Sekunde schoss mir jedes der Geschehnisse des vergangen Abends durch den Kopf. Jedenfalls der besonderen Geschehnisse.

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