48. Teil - Krieg (Sichtwechsel)

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Ich war ein lebender Beweis für die Existenz der nicht heilbaren Langschläfer. Und ausgerechnet an diesem ,,Montagmorgen" wurde mir diese als schlecht angesehne Eigenschaft zum Verhängnis. Mich weckte ein Anruf von Kevin, welcher mich mit seinem bayrischen Dialekt unsanft aus meinem Traum zog.

,,Tarik, wo zum Teufel steckst du?"

Seufzend streckte ich mich und spürte den leichten Muskelkater vom gestrigen Krafttraining in meinem Oberkörper.

,,Alter.. es ist eindeutig zu früh für deinen abturnenden Dialekt, Kevin..", zischte ich abgefuckt und fuhr viel zu müde über meine geschlossenen Augenlider.

,,Ernsthaft? Willst du mich gerade verarschen, Tarik? Du liegst noch im Bett? In einer fucking halben Stunde haben wir das Meeting mit den Vertretern der Brown-Company!"

Wie auf Kommando erhob sich mein Körper von der viel zu gemütlichen Matratze.

,,Scheissdreck! Leite den anderen weiter, dass ich in einem anderen Meeting feststecke..deck mich!! Dass schuldest du mir für die Nummer der Blondine von letzter Woche, Kevin!"

Ohne eine Antwort meines gestressten Geschäftspartners abzuwarten, legte ich verabschiedungslos auf und flitzte ins Badezimmer. Verdammt, ich war seit der Hochzeit von Jiyan und Seda komplett neben der Spur. Und ich hasste mich dafür, denn mein nun einstudierter Lebensrythmus schien augenblicklich gehemmt zu sein. Fluchend stieg ich in die Dusche und entschied mich dagegen, meinen Bart zu kürzen. Dafür war viel zu wenig Zeit verblieben und in dem Fall war mir etwas mehr Gesichtsbehaarung definitiv lieber, als ein aus Hektik verursachter, blutiger Schnitt in der Haut. Engländer trugen sicherlich auch Bärte und es war schon lange kein typisches Symbol mehr für klischeehafte Wüstenterroristen. Nach knappen fünfzehn Minuten stand ich beinah fertig gerichtet vor dem Flurspiegel und band mir zuletzt eine Krawatte geschickt um den Hals und legte meine Armbanduhr an.

Die Sommersonne strahlte auch heute wieder mit 32 Grad viel zu überhitzt und unangenehm für einen Anzugträger herunter. Während ich meinen Benz zielgerecht steuerte und schnellstmöglich probierte durch den lästigen Stadtverkehr voranzukommen, versuchte ich mich bestmöglich an das Portfolio dieses englischen Unternehmens zu erinnern. Die ganzen Klauseln im Vertrag und auch die Fragen, die wir definitiv den Engländern zu stellen hatten, bevor es zu einer Unterzeichnung kommen würde, versuchte ich noch einmal zu verinnerlichen. Wie konnte ich nur an so einem wichtigen Tag verschlafen? Ich hatte mich einigermaßen früh ins Bett gelegt und Genis Besuch extra abgelehnt, denn ich wusste, dass es sonst höchstwahrscheinlich eine lange Nacht geworden wäre. Ein wenig genervt parkte ich meinen Wagen auf einen etwas zu engen Parkplatz vor dem mehrstöckigen Unternehmen. Verschiedene Neuwägen mit viel zu hoch angesetzten Ziffern schmückten den Eingangsbereich des Glasgebäudes. Wie gewöhnlich lief ich in die Empfangshalle und erblickte Vanessa.

,,Herr Hodzic, Sie sind da! Das Meeting ist im Raum M20. Die Herrschaften von der Brown.Company sind bereits eingetroffen.", verkündigte die fleißige Sekretärin, während sie auf mich zu stöckelte. Ihre großen Augen hinter der merkwürdigen Brille sahen mich jedes mal mit einer gewissen Prise von Scham an. Ich gefiel ihr. Und ihre Körperhaltung und die leicht rot gefärbten Wangen verrieten sie gnadenlos. Jeden Morgen. Kevin, der hierher zugezogene Münchener und ich waren definitiv die attraktivere Fraktion der Leitenden in diesem Unternehmen. Man konnte es ihr nicht verübeln, denn neben den zwei ältesten Säcken in unserem fünfgliedrigen Vorstandsteam, welche beide mindestens so alt waren wie der ausgestellte Oldtimer, welcher als Kunstobjekt den Empfangsbereich schmückte, waren wir definitiv etwas besonderes.

,,Danke Vanessa.", sagte ich zwinkernd und schenkte der beschämten Sekretärin ein charmantes Lächeln und steuerte gleichzeitig auf den Aufzug zu. In diesem traf ich die Gattin unseres ältesten Vorstandsmitglied, welche jahrelang den Personalbereich mit Herzblut und Strenge führte.

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