22. Teil - Silvester I

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Ich erhöhte die Geschwindigkeit auf dem Laufband so sehr, dass bereits nach wenigen Schritten Seitenstechen und Lungenfeuer zu meiner Qual wurden. Glänzender Schweiß bildete sich auf meiner Stirn, welchen ich nicht wie gewohnt sofort mit dem Handtuch wegwischte. Denn dieses mal wollte ich das alles rauskam.

Jedes negative Gefühl, welches meinen Geist plagte. Mit jedem qualvollen Atemstoß sollte es raus. Mit jedem aufprallenden Fußschritt. Ich versuchte an nichts zu denken. Einfach nur machen. Nicht mehr oder weniger. Doch wieso gelang es mir nicht? Seit Stunden nicht. Auch während des Krafttrainings, wo ich jeden Muskel maximal beanspruchte, ja nicht mal während dessen konnte ich diesen beschissenen Abend aus meinem Kopf schlagen.

Schnell atmend lief ich vom nahegelegenen Fitness nachhause und duschte beinahe kalt.Wärme entspannte - und Entspannung würde meinen verdammten Gedanken nur freien Lauf lassen. Während ich mich abtrocknete und meinen dummen Gedanken verfiel, spürte ich erneut die aufkommende Wut. Wut, welche einer glühenden Flamme der Hölle ähnelte. Glühende Flamme, welche mich in solch einer Form noch nie bis jetzt geplagt hatte. Flamme, welche mich von innen auslöschte.

Erschöpft ließ ich mich auf meine weiche Couch fallen und bediente mein Handy nach etlichen Stunden das erste mal wieder. Die Nachricht von meiner Freundin, Seda, war immer noch nicht beantwortet, was ihre mehreren, an mich geschickten Fragezeichen auch bestätigten. Das Screenshot-Bild, auf welchem ich nun klar und deutlich Idris' erkennen konnte, ließ mich mühevoll aufatmen.

- Ist das die Arbeitskollegin? las ich mir erneut Sedas Wörter durch.

Ja das war sie. Die Frau, die anscheinend auf ihrem Facebookprofil, Idris, aka meinen Freund, markiert hatte, war in der Tat seine Arbeitskollegin. Ob man Arbeitskollegin mit dieser innigen Pose in Verbindung setzen konnte, wusste ich nicht ganz recht.

Er saß auf einem Barstuhl, während sie von hinten an ihn gekuschelt in die Kamera strahlte. Ihre halbnackten Arme und Beine stachen mir ins Auge. Idris hingegen wirkte auf dem Bild, als ob er nicht einmal bemerkt hatte, fotografiert zu werden. Sein Gesicht schien auf mich vertraut und fremd zu gleich.

Die Nachricht von Seda ließ ich weiterhin unbeantwortet und schaltete das Gerät ohne weiteres aus.

Ihr könnt mich alle mal - schoss es mir leise über die Lippen. Ich war mit meinem Latein am Ende und hasste meine momentane Midlife-crisis. Das einzige, was mir nun positiv im Kopf herum schwirrte, war einzig und alleine mein geheimer Plan mit dem Studium in London. Am Montag, in einer Woche um genau zu sein, hatte ich ein Informationsgespräch mit der leitenden Ansprechpartnerin.

Während ich mir die Haare föhnte, hielt ich mich zuerst für paranoid, doch irgendwann realisierte ich die Hausklingel. Schnell wechselte ich meinen Bademantel durch meinen Jogginganzug aus und öffnete die Tür. Ein mattes, braunes Augenpaar sah nachdenklich zu mir auf.

,,Können wir reden?'', fragte er rau und brach den Augenkontakt dabei mehrmals ab. Mein Herz setzte kurz aus. Angespannt ließ ich Idris in die Wohnung hinein.

,,Ich bin am Laden deiner Eltern vorbei gefahren und habe mich vergewissert, dass du alleine daheim bist.'', sprach er eher vor sich hin, als zu mir, während er sich seiner Winterjacke entledigte.

Stillschweigend setzten wir uns an den Esstisch einander gegenüber. Es fühlte sich an, als ob wir uns monatelang nicht mehr zu Gesicht bekommen hätten. Monatelang nicht mehr kommuniziert hätten. Mir schien es, als ob ihn viel zu dunkle Augenringe kennzeichneten. Irgendwann räusperte Idris sich und baute Augenkontakt auf.

,,Diese Situation zwischen uns macht mich fertig.'', gestand er mit ernster Mimik.

,,Die Situation hast du geschaffen, Idris.'', entgegnete ich trocken.

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