5 Jahre später (Gegenwart)
Der Winter ist ein willensstarker Zeitgenosse. Seine Kälte durchdringt alles, jeden Winkel der nicht von Mauern eingeschlossen ist. Doch, wie bei fast allen, gibt es auch hier eine Ausnahme.
„Einen Kühlschrank musst du dir auf jeden Fall nicht mehr zulegen", sagte meine Freundin Violett spitz und rieb sich über die Arme. Ich stopfte frustriert die Hände in die Taschen meines Parkers. Das hier war meine letzte Option. Das erste Semester an meiner Universität würde in drei Wochen anfangen und ich hatte immer noch keine geeignete Wohnung. „Ich könnte vielleicht die tragbare Heizung meines Opas kriegen, dann könnten wir die Kälte ein bisschen vertreiben" sagte Violett als sie mein verzweifeltes Gesicht sah.
„Du musst nicht so tun, als wäre ich nicht total am Arsch, denn wir wissen beide, dass ich für diese Bruchbude keinen Cent ausgeben werde. Zudem ist der Mietpreis viel zu hoch für eine Wohnung mit nur einem Fenster, verrosteten Rohren und ohne Heizung" sagte ich nun mit Nachdruck und ging wieder zur Haustür zurück. Ich wollte mir die Haare raufen, schreien und Weinen gleichzeitig. Die Zusage für die Uni war meine Chance endlich ein normales Leben zu führen. Das konnte allerdings nichts werden, wenn ich hier keine Bleibe fand. Vi schlängelte sich an mir vorbei ging vor mir zum Ausgang, als sie sich mit einem aufmunternden Lächeln zu mir umdrehte. „Ach wir finden schon was! Wir haben doch noch...oh!" sagte Violett, bis sie erschrocken verstummte. Ihr Gesicht wirkte plötzlich verkrampft. „Vi? Alles ok?", fragte ich jetzt etwas verwirrt über das plötzliche Schweigen. „Nein! Wir haben nur noch 2 Stunden dann müssen wir bei Gasper sein", sagte sie nun panisch und ich verdrehte meine Augen. So wichtig war dieser Fototermin nun auch nicht. „Komm schon, gönn deinen Fans doch wenigstens diese letzte Fotostrecke, das haben sie wirklich verdient", sagte sie jetzt streng und schnappte sich meinen Arm um mich aus dem Loch von Wohnung zu ziehen.
Vor dem Gebäude in Richmond hielt unser Wagen genau 5 Minuten bevor das Shooting beginnen sollte. Gasper wartete bereits ungeduldig davor und sein Gesicht verzog sich zu einer grimmigen Fratze, als er uns entdeckte. „Von dir hätte ich mehr erwartet Violett. Immerhin ist es dein JOB Termine zu organisieren – und dafür zu sorgen, dass Ava pünktlich ist!" Violett öffnete den Mund um etwas zu erwidern, schloss ihn aber sofort wieder. In der jahrelangen Zusammenarbeit mit Gasper, hatten wir gelernt, des es nichts brachte sich verteidigen zu wollen. Während wir durch den Eingangsbereich auf den Fahrstuhl zugingen, redete Gasper ununterbrochen weiter. „Ava du gehst sofort in die Maske, die Jungs warten schon im Shooting Raum. Violett, du wirst mit mir kommen." Nach weiteren gefühlten Stunden erreichten wir den 7. Stock und nachdem sich die Türen des Aufzugs schlossen, umfing mich bereits hektisches Treiben. Ein Arm packte mich und zog mich zu einer Tür mit der Aufschrift „Maske". Die etwas pummelige Frau beförderte mich zu einem Spiegeltisch und zwang mich, mich zu setzen. „Heute haben wir leider keine Zeit für Höflichkeiten, wir müssen direkt anfangen", war das Einzige was sie zu mir sagte, während sie auch schon anfing, an meinen Haaren zu ziehen.
Ich ließ meine Gedanken schweifen und nach einer Weile blieben sie bei der Band hängen. Sie alle verstanden, warum ich aufhören wollte, trotzdem hatte das auch starke Ausmaße auf ihr Leben. Ihre Karriere war ohne mich zwar nicht vorbei, trotzdem würde sich jetzt einiges für sie ändern. Unser familiäres Verhältnis hatte Risse bekommen, als ich vor zwei Monaten in einer Nacht und Nebelaktion aus Hong Kong nach London abgehauen war. Seit dem hatte ich sie auch nicht mehr gesehen. Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, fürchtete ich mich vor der nächsten Stunde. Nicht direkt vor dem Shooting, sondern vor der Band, vor ihren Blicken, ihren Vorwürfen. Ich hatte Angst davor, wie sie reagieren würden, die Menschen, die noch bis vor kurzem wie eine Familie für mich waren. Landon, Riley, Neven und ich – sie waren alles, was ich die letzten 4 Jahre kennen und lieben gelernt hatte. Riley, der Gitarrist ist schweigsam, aber wenn er was sagte, dann kam es einem so vor, als hätte er die Weisheit mit Löffeln gefressen. Landon dagegen verbrachte seine Zeit damit uns in die lustigsten und manchmal peinlichsten Situationen zu bringen, wenn er nicht gerade den Bass spielte. Zuletzt ließ ich meine Gedanken zu Neven wandern und sogleich wurde mein Herz ein wenig wärmer. Er spielte das Klavier. Ich kannte ihn seit meiner Kindheit und die letzten Monate in Hong Kong waren wir uns näher gekommen. Mein schneller Abgang jedoch, hatte auch das beendet. Nervös zupfte ich an einer Haarsträhne, und betrachte mich dann im Spiegel. Eine junge Frau mit schwarz umrandeten Augen blickte mir entgegen, die rot angemalten Lippen spöttisch verzogen. Meine Haare waren nun zu Locken gedreht und fielen mir lang über meine Brüste. „Ava können wir?", rief Gasper durch die Tür und die Visagistin zog mich vom Stuhl. „Nur noch das Outfit Gaps", rief diese ihm jetzt zu und ging zu der Kleiderstange hinüber. Schlussendlich entschied sie sich für ein graues T-Shirt-Kleid und Biker Boots und Gaspers grimmige Miene empfing mich, als ich aus der Tür trat. „Na endlich! Dann kann es ja losgehen!", sagte er und schob mich in den Raum. Dieser war, bis auf eine Weiße Fläche, die von Lichtern umgeben war, abgedunkelt. Dort standen sie und posten, erhielten Anweisungen vom Fotografen und lächelten.
Ich blieb stehen und betrachtete einen nach dem anderen, meine Kehle schnürte sich zu. Gasper jedoch schien davon nichts mitzubekommen und zog mich am Arm weiter auf die drei zu. Der Fotograf wurde leise und fing an mit seiner Assistenz zu reden, während die Jungs mich endlich bemerkten. „Das verlorene Schaf findet zur Herde zurück", sagte überraschenderweise Riley zuerst. Er und Landon umarmten mich zwar, doch ich spürte auch eine gewisse Distanz, die vorher nicht da gewesen war. Neven schaute mir lange in die Augen, bevor auch er mich umarmte. Am liebsten hätte ich ihn länger festgehalten, doch ich zwang mich los zulassen. Die nächsten Minuten danach herrschte eine gewisse Anspannung zwischen uns, doch dann fing Landon an, über die Eskapaden der letzten Wochen zu erzählen. Immer öfters brachen wir in Gelächter aus und schlussendlich wurden die Bilder echt gut. Zum Schluss wurden Einzelbilder gemacht und dann überraschte uns der Fotograf, in dem er sagte: „Bitte nochmal nur Ava und Neven!" Nevens Miene spannte sich an und auch ich wurde nervös. Meine Gedanken rasten und als ich in Gaspers Gesicht schaute und sein dreckiges Grinsen sah, wusste ich, was er von mir, uns, wollte. Auch bei Neven schien der Groschen zu fallen, denn nun schaute er mich an. Ich stand bereits auf der weißen Fläche und zuckte nur mit den Schultern. Ich war verwirrt und wusste nicht, was Gasper mit dieser Aktion bezwecken wollte. Neven jedoch schien meine Unentschlossenheit auszugleichen, denn nun kam er selbstsicher auf mich zu. Seine Hand legte sich an meinen Hals und sein Kopf kam meinem viel zu schnell näher. Seine Stirn berührte meine und aus dem Augenwinkel nahm ich das Blitzen der Kamera wahr. Einen Moment blieben wir in der Position und ich schloss meine Augen. Mein Herz klopfte hart gegen meine Brust. Als er stürmisch seine Lippen auf meine presste, war ich überrumpelt. Die Kamera blitzte mehrere Male, doch ich spürte nur noch Neven. Mein Körper schmiegte sich an seinen und ich öffnete meine Lippen für ihn. Er nahm diese Einladung nur zu gerne an und unsere Zungen vollführten einen Tanz. Gleichzeitig drehte er unser Körper, wie der Fotograf es verlangte.
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A lovely Nightmare
ChickLitSeit knapp vier Jahren besteht Ava's Leben aus Konzerten, Groupies und ihrer Musik. Doch als sie sich der Schattenseite dieses Lebens nicht mehr entziehen kann, verlässt sie die Band. In London versucht die mittlerweile 21 Jährige ein normales Lebe...