Ben, der Professor

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Der Tag wurde nicht wirklich besser. Die Stimmung blieb gedrückt und allgemein waren wir alle eher still. Nach dem Frühstück hatte sich Max verabschiedet und war zu einer Vorlesung aufgebrochen. Der Rest von uns musste sich Unmengen von Unterlagen widmen, die die Uni noch ausgefüllt haben wollte, bevor wir morgen nach Edinburgh fahren würden. Danach stand nur noch ein bereits organisierter Nachmittag mit unseren Professoren auf dem Plan.

Als wir uns alle in der großen Mensa der Universität von Westminster einfanden, war ich mehr als beeindruckt. Der Saal war in altmodischen Farben gehalten, an den Wänden befanden sich dunkle Schrankwände und die vielen, dunkelgrün bezogenen Sitzgruppen bestanden ebenfalls aus massiven Holz. Die hohen Decken des Raums mit gemeißelten Details an den Wänden, brachten mich zum Staunen. Die Masse an jungen Menschen um uns herum, schien förmlich zu pulsieren. Als ich mich endlich vom Anblick des Raums löste und wieder in die bekannten Gesichter unserer kleinen Gruppe schaute, war Grey bereits verschwunden. Da die anderen immer noch damit beschäftigt waren, sich den Raum oder wie Lucien, die Frauen, anzugucken, entfernte auch ich mich von ihnen. Etwas abseits vom Hauptgeschehen, fand ich ein aufgebautes Buffet mit Tee und Biskuits. Ein Earl Grey war schnell mein neuer Freund und so klammerte ich mich an den Becher, während ich mir einen Weg durch die Menschen bahnte. Ich hörte plötzlich eine mir bekannte Stimme, aus der Menge heraus und drehte mich um. „...Mr. Liky und werde russische Sprache sowie den Zusatzkurs russische Literatur unterrichten." Für einen kurzen Augenblick wurde mein Mund staubtrocken. Als dann jemand seine Hand auf meine Schulter legte, zuckte ich erschrocken zusammen. „Ich glaube du hast jetzt ein gewaltiges Problem", sagte eine männliche Stimme halblaut hinter mir. Ich wusste bereits, dass es Lucien war und so drehte ich mich gar nicht erst um. Mein Blick lag immer noch auf dem Mann – Mr. Liky – und nicht zum ersten Mal in meinem Leben fragte ich mich, was in mich gefahren war. Ich hatte Sex mit meinem Professor. Sogar zweimal. Zwar wusste ich da noch nicht, dass Ben oder besser Mr. Liky mein Sprachlehrer sein würde, trotzdem war die Situation mehr als Übel. Als ich mich nun doch zu Lucien umdrehte, um ihn zum Stillschweigen zu bewegen, war dieser schon verschwunden. Meine Hand fuhr automatisch an meine Schläfe und massierte diese. Dann atmete ich tief durch und drehte mich erneut zu Ben. Einen Moment beobachtete ich ihn noch, bevor ich in der Menge untertauchte. Eine Universität war groß, es gab tausende von Studenten und hunderte Professoren, es würde nicht auffallen, niemand würde sich dafür interessieren. Das versuchte ich mir zumindest einzureden während ich mich in eine gerade freigewordene Sitzgruppe fallen ließ. Bei meinem Glück an diesem Tag schwappte ein wenig Tee auf meine Jeans und ich verdrehte genervt die Augen.

Es dämmerte bereits, als ich die Haustür des Bungalows aufschloss. Der Rest des Nachmittags war nervenaufreibend und der Vortrag über Lernmotivation am Ende war auch nicht gerade hilfreich gewesen. Da ich auch noch nicht gepackt hatte, wir allerdings morgen früh schon vor der Uni erwartet wurden, lag noch ein wenig Arbeit vor mir. Drei ganze Tage würden wir in Edinburgh bleiben, also eigentlich drei Outfits. Doch wenn wir ausgehen würden? Sollte ich noch ein anderes paar Schuhe mitnehmen, falls es regnet? Nachdem ich mich für das andere paar Schuhe entschieden hatte, war meine nächste Station das Badezimmer. Doch bereits in der Küche wurde ich aufgehalten. „Kate warte mal!", rief Max mir hinterher. „Ja?", sagte ich, blieb aber im Flur stehen. „Nun komm doch mal her. Ich hab gekocht." Als ich darauf hin schneller als er Blinzeln konnte, in der Küche stand, empfing mich Max mit einem breiten Grinsen. „Was gibt's denn?", fragte ich ihn vorsichtig und nahm mir bereits Teller und Besteck aus dem Schrank. Eigentlich war es mir egal, denn ich war am Verhungern. „China-Pfanne mit Reis, alles aus frischen Zutaten!", sagte Max stolz und deutete auf den großen Topf, der noch auf dem Herd stand. Minuten später hatte ich schon einen halben Teller verdrückt. „Es schmeckt unglaublich gut", sagte ich zwischen zwei Gabeln zu ihm. „Danke. Ich koche gerne gesund. Sag mal, was war das denn heute Morgen?" Ich stoppte die nächste Gabel kurz vor meinem Mund und sah ihn an. Sekunden vergingen während ich ihn nur anstarrte, bis ich endlich zum Sprechen ansetzte: „Wir...ach das war einfach ein kleiner Streit", versuchte ich ihm auszuweichen. Er schien zu merken, dass nicht mehr aus mir rauszuholen war, denn er ließ das Thema bleiben. Während ich auch noch einen zweiten Teller aß, erzählte er mir noch etwas über sein Studium und dass er bald eine große Hausarbeit vor sich hatte. Da er schon von Edinburgh wusste, hatte ich nicht wirklich viel zu erzählen und so kam es, dass wir nach dem Essen wieder getrennte Wege gingen. Mein Koffer packte sich mit vollem Magen gleich viel leichter. Da es noch relativ früh am Abend war, beschloss ich, im Wohnzimmer noch ein wenig fern zu sehen. Ich war allerdings nicht die Einzige mit dieser Idee.

Lucien lag bereits in seiner vollen Pracht auf dem Sofa. Ich ließ meinen Blick über seinen Körper schweifen. Zu meinem Bedauern schaute ich ihn mir etwas zu genau an. Dass er mir so gut zu gefallen schien machte mir selbst zu schaffen, wodurch ich einen leisen Seufzer ausstieß. Schlussendlich ließ ich mich auf den Sessel fallen. Lucien schaute kurz auf, nickte mir zu und ignorierte mich danach wieder. Die nächsten Stunden guckten wir zusammen schweigend eine Comedy Show. Uns beiden entwich ab und zu mal ein Lacher. Doch wir sahen uns nicht einmal an. Ich versuchte das zu ignorieren, denn so konnte ich mir zumindest einbilden, dass es ein ganz entspannter Abend zwischen Mitbewohnern war.

A lovely NightmareWo Geschichten leben. Entdecke jetzt