"Hallo Tochter", begrüßte mich Mom nüchtern. "Hi Mom", erwiderte ich kleinlaut. "Diesmal hast du dir aber Zeit gelassen", sagte sie immer noch ernst. Als ich nichts sagte, fuhr sie fort: "Ich hab dich mehrmals versucht zu erreichen. Es war wichtig." Durch ihre Aussage zog sich sofort Furcht durch meine Adern. "Dad?", fragte ich ängstlich nach. "Nein, deinem Dad geht es gut", sagte sie beruhigend, da sie wusste wie sehr mich das Thema aufwühlte. Während ich kurz an meinem Tee nippte, um den Schatten der Angst loszuwerden, fuhr meine Mutter fort: "Es ging um ein Schreiben. Du hast deine zweite Staatsbürgerschaft vorübergehend verloren, Schätzchen. Der Vorfall in Peking wurde untersucht und auch wenn du nicht für schuldig erklärt worden bist, hat Henry seine Position genutzt und jetzt kannst du zumindest dieses Jahr nicht mehr zu uns." Mir wich alle Farbe aus dem Gesicht und meine Hand umklammerte krampfhaft das Handy. Ich war nicht schuldig! "Musste es jemand wie Henry sein? Mit seiner Macht hätte er noch viel Schlimmeres machen können", redete sie einfach weiter. Vielleicht hatte meine Mutter Recht, doch für mich hatte Henry bereits das Schlimmste getan. "Mom! Das ist vielleicht Dads letztes Jahr!!", rief ich in den Hörer. Am anderen Ende der Leitung wurde es kurz sehr still. "Das haben die Ärzte gesagt, Schatz. Aber sicher kann sich niemand sein. Vielleicht hat er auch noch das Nächste, oder das danach", versuchte sie mich zu beruhigen. Tränen sammelten sich in meinen Augen. Vielleicht. Vielleicht würde ich Dad noch sehen, bevor er starb. VIELLEICHT! "Wir können immer noch zu dir kommen", sagte meine Mom erneut, um mich zu beruhigen. "Dad kann nicht...", wollte ich einwenden, doch sie unterbrach mich: "Das werden wir sehen. Es geht ihm nicht mehr so schlecht wie du ihn erlebt hast. Die Therapie tut ihm gut!" Eine Träne löste sich aus meinem Augenwinkel und ein kleines Lächeln bildete sich trotz allem in meinem Gesicht. "Echt? Das ist ja toll", erwiderte ich auf ihre Erzählungen. "Er macht Fortschritte. Wir schaffen das, ok? Vielleicht können wir über Weihnachten kommen, aber ich will nichts versprechen." Eine schöne Idee, die hoffentlich nicht nur eine Idee bleiben würde. "Das wäre schön." Die restlichen Minuten unseres Gesprächs, brachte ich sie auf den neusten Stand, was meine Wohnung und die Uni betraf und wir verabredeten uns zu einer Skype-Konferenz mit Dad in ein paar Wochen. Als ich das Handy neben meinen nun kalten Tee legte, schüttelte ich meinen Kopf. Ich musste versuchen positiv zu bleiben. Mit schnellen Schlucken trank ich den Tee und machte mich dann auf den Weg zu meinen Kursen.
Am späten Nachmittag schloss ich mit einem Klicken die Haustür des Bungalows hinter mir. In meinem Zimmer ließ ich meine Tasche fallen und zog mir direkt eine Leggings und ein Top an. Mit knurrenden Magen machte ich mich danach auf in die Küche, wurde allerdings von Max abgefangen. Ohne ein Wort zog er mich hinter sich her, in sein Zimmer und schloss die Tür. Bevor ich mir sein, offensichtlich chaotisches Zimmer anschauen konnte, fing er auch schon an zu reden: "Was ist mit Lucien los?" Überrascht drehte ich mich zu ihm. "Woher soll ich das wissen?", fragte ich mehr als verwirrt. "Seit ihr aus Edinburgh zurück seid, benimmt er sich völlig untypisch. Er vögelt Lilli das Hirn raus, ständig. Vorhin stand sie völlig fertig in der Küche und fragte mich (!!) was los mit dem Jungen sei", erzählte Max erschüttert. Meine vorherige Verwirrung steigerte sich ins Unermessliche. "Warum bist du so schockiert darüber, dass Luce viel Sex hat? Wer ist Lilli? Und wieso beschwert sie sich über Sex? Hä?", das Hä konnte ich mir einfach nicht verkneifen. Max öffnete kurz den Mund und schloss ihn dann wieder. Einen Moment lang erinnerte er mich an einen Goldfisch und konnte mir das breite Grinsen nur knapp verkneifen. "Okey, ich fange hinten an. Lilli ist Luciens On/Off - Freundin und die beiden hatten bisher so gut wie nie Sex - was ich auch nur weiß, weil Lilli mir das erzählt hat - und jetzt ist Lucien gar nicht mehr zu stoppen", sagte er aus der Puste. Ihn schien sein Redeschwall angestrengt zu haben, denn er legte kurz seine Hand an die Schläfe. Ich war an dem Wort Freundin hängen geblieben, es drehte sich in meinem Kopf um jeden Gedanken, den ich je an Luce verschwendet hatte. "Es ist doch nichts außergewöhnliches, das man Sex mit seiner Freundin haben will", sagte ich nüchtern und verstand das große Problem, von dem Max augenscheinlich sprach immer noch nicht. Bevor Max erneut argumentieren konnte, unterbrachen ihn laute Stimmen im Flur. "NEIN, Lucien!", schrie eine weibliche Stimme völlig außer sich. "Warte, Lil", hörte man Lucien sagen. "NEIN, melde dich wenn du wieder normal bist! Ich will nicht 24/7 Sex und schon gar nicht SO einen! Vielleicht hast du dich in den letzten Monaten zurück gehalten, aber mit sowas kann ich und will ich nicht umgehen!" Dann knallte die Haustür zu und es wurde still. Max sah mich bedeutend an. "Was gehen mich Luciens Beziehungsprobleme an?", fragte ich ihn jetzt trotzig und schaute ihm stur in die braunen Augen. Seine Augen nahmen einen sanften Ausdruck an, bevor er antwortete: "Eigentlich nichts...ich dachte nur, vielleicht hast du ihm in Edinburgh etwas gegeben, was er jetzt von Lilli haben will..." Erst verstand ich nicht, was er mir sagen wollte, doch als ich den Ausdruck in seinem Gesicht sah, dämmerte es mir. "Deutest du gerade an, dass du denkst, ich hätte mit ihm geschlafen?", fragte ich ihn erstaunlich ruhig. "Wenn es so ist, verurteile ich dich nicht dafür!", versuchte er zurück zu rudern. "Ich hab nicht mit ihm geschlafen", sagte ich und verließ den Raum, um mir in der Küche endlich was zu essen zu machen. In der Küche saß bereits Luce über einen Teller gebeugt, was mich allerdings nicht davon abhielt, zu kochen. Kurz spürte ich seinen brennenden Blick in meinem Rücken, doch ich wand mich ihm nicht zu. Wir sprachen nicht und während ich vor mich hin werkelte, kam Max zu uns. "Kate, entschuldige", ergriff er das Wort. Eisern versuchte ich ihn zu ignorieren und füllte mein Essen auf den Teller. "Kate, wirklich ich wollte nicht..", fing Max erneut an, doch diesmal ließ ich ihn nicht ausreden. "Bevor du deinen Mitbewohnern unterstellst Sex miteinander gehabt zu haben, würde ich mir auch sicher sein, dass es so gewesen ist, Max. Jetzt sind wir nämlich in dieser peinlichen Situation, in der es nicht so war, du es mir aber bereits unterstellt hast." Kurz warf ich Lucien einen Blick zu, dessen Augenbrauen sich zusammen gezogen hatten, bevor ich noch etwas sagte: "Und kommt gar nicht erst auf die Idee, mir vorzuwerfen, ich hätte Drama in die WG gebracht. Das schafft ihr zwei nämlich ganz gut alleine!" Mit diesen Worten ging ich in mein Zimmer und kuschelte mich samt Teller vor den Fernseher.
![](https://img.wattpad.com/cover/120385389-288-k612884.jpg)
DU LIEST GERADE
A lovely Nightmare
ChickLitSeit knapp vier Jahren besteht Ava's Leben aus Konzerten, Groupies und ihrer Musik. Doch als sie sich der Schattenseite dieses Lebens nicht mehr entziehen kann, verlässt sie die Band. In London versucht die mittlerweile 21 Jährige ein normales Lebe...