Unter die Haut

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Die Fahrt zurück nach London war schrecklich. Durchnässt - wir kamen durch einen Regenschauer als wir zum Reisebus liefen - und absolut müde, saß ich erneut neben Lucien. Ich hatte keine Wahl, da wir dieselben Plätze wie auf der Hinfahrt einnehmen sollten und mein erster Platz bereits von Zwiebel-Junge besetzt war. Meine Augen waren mittlerweile leicht gerötet - diese Wirkung trat bei mir immer etwas verspätet bei dem Konsum von Gras auf. Des Öfteren hatte Lucien versucht ein Gespräch zu beginnen, doch ich hatte jedes Mal abgeblockt. Ich hatte viel nachgedacht und mittlerweile war ich sogar ein klein wenig wütend auf ihn, dass er es mir nicht gesagt hatte. Gerade als er sich mir wieder zuwendete, entschied ich mich, ihm von der Einladung zu erzählen. "Ich soll dir von Shelly ausrichten, dass du und Rachel gerne zu ihrer Party kommen könnt." Seine Augen hatten sich in kürzester Zeit verengt und jetzt mahlten seine Kiefermuskeln. "Was?", fragte er nun, wenn ich es nicht besser wüsste, erschüttert. "Shelly hat gesagt, dass ich dir ausrichten soll...", bevor ich meinen Satz wiederholen konnte, stoppte er mich. Auf seiner Stirn hatte sich eine Zornesfalte gebildet. "Sag diesen Namen nie wieder!", erwiderte er leise und ziemlich wütend. Irgendwas an dem, was ich gesagt hatte, musste ihn verärgert haben. War er sauer, dass ich von seiner Freundin erfahren hatte? "Du hättest mir ruhig sagen können, dass du eine Freundin hast", sagte ich, jetzt ebenfalls zornig.

Kurz las ich Verwirrung in seinen Augen, dann verschloss sich sein Gesicht wieder. "Das ging bzw. geht dich nichts an. Und wenn du es genau wissen willst, ist Rachel nicht meine Freundin, Rachel ist tot. Und die liebe Shelly weiß das auch." Mir fror kurzzeitig das Gesicht ein. Ich war unglaublich schockiert, am meisten über Shelly und was sie mir aufgetragen hatte, obwohl sie von Luciens Verlust wusste. "Lucien...", versuchte ich mich zu entschuldigen, doch das schien nicht notwendig. "Du wusstest es nicht, Kate. Shelly ist ein Miststück, das Konkurrenz nicht ertragen kann. Ich hätte wissen müssen, dass sie mich, über dich angreifen würde", sagte Luce mittlerweile ziemlich ruhig. Nun war ich noch verwirrter. "Konkurrenz? Wovon redest du?" Lucien warf mir einen langen Blick zu, der meine Wangen erröten ließ. Oh. Die Spannung die sich daraufhin bildete war fast greifbar. Seine Augen glänzten und ein schelmisches Lächeln hatte sich auf seine Lippen gebildet, bevor er weiter sprach: "Du ziehst meine Aufmerksamkeit auf dich, wenn du nur den Raum betrittst. Du bringst mich dazu, ständig daran zu denken, was ich alles mit dir anstellen würde, wenn...", mitten im Satz stoppte er und strich sich angestrengt übers Gesicht. "Ich kenne Shelly schon seit einigen Jahren, wir standen uns damals nahe, als das mit Rachel passierte. Ich kann dir aber nicht mehr erklären, also lassen wir das Thema einfach", beendete er seinen ungewöhnlichen Redefluss. Innerlich war ich bei diesem wenn... stehen geblieben und der Gedanke blieb noch eine ganze Weile. Lucien schienen seine vielen Sätze unangenehm, denn er presste die Lippen auf einander und sprach den Rest der Fahrt nicht mehr.

Als wir endlich in London ankamen, konnte man mir meine Müdigkeit ansehen. Dunkle Augenringe hatten sich in meinem Gesicht gebildet und meine schlechte Laune war mir deutlich anzumerken. Ohne mich zu verabschieden, schnappte ich mir meine Sachen und machte mich auf den Weg zum Bungalow. Zu Fuß würde ich nur 10 Minuten brauchen, denn mich jetzt noch in einen überfüllten Bus zu setzen, erschien mir Wahnsinn. Lucien schloss zu mir auf. Als er neben mir ankam, lief ich gleichbleiben schnell. Ich wollte einfach nur in mein Bett, zu Konversation, oder gar mehr, war ich einfach nicht in der Lage. Fast im Stehen schlafend, erreichten wir das Haus und während Lucien nach seinem Schlüssel kramte, lehnte ich mich erschöpft an die Wand. Eigentlich wollte ich mich nur noch schlafen legen, doch vorher, so beschloss ich, würde ich mich noch schnell um meinen Koffer kümmern. Morgen fingen die ersten Kurse an und eigentlich sollte ich mich auch noch auf diese vorbereiten, doch das würde ich nicht mehr schaffen. Eine Stunde später, mittlerweile war ich 22 Stunden wach, fiel ich endlich ins Bett. Wider erwartend schlief ich jedoch nicht sofort ein. Das lag größtenteils an der Geräuschkulisse, die sich in den letzten Minuten aufgebaut hatte. Vor einer halben Stunde hatte eine weibliche Stimme plötzlich "Luciiii" geschrien und war, so stellte ich es mir zumindest vor, in seine Arme gestürzt. Jetzt, wenige Augenblicke später, hörte ich viel mehr als ich eigentlich wollte. Ein Bett quietscht in einem unmissverständlichen Rhythmus, ein Stöhnen, dass in meinen Gedanken wiederhallte und mein Verstand, der die dazu passenden Bilder produzierte. Diesmal kam ein komisches Gefühl in mir auf und ich verstand nicht, wieso mir plötzlich zum Weinen zu Mute war. Vor wenigen Tagen, in der Küche, konnte ich meinen Blick nicht abwenden, weil ich so fasziniert war und jetzt musste ich fast anfangen zu weinen? Anscheinend wurde ich durch die Müdigkeit auch emotional. Vielleicht lag es auch daran, dass ich mir gerade vorstellte, wie es wäre, sie zu sein. Eine kleine Träne stahl sich aus meinem Augenwinkel und ich wurde wütend, denn das arrogante Arschloch ging mir wirklich unter die Haut. So etwas wie Selbstschutz schien mein Herz nicht zu kennen und meine nicht vorhandene Selbstbeherrschung, was meine Taten als auch meine Gedanken betraf, nervte mich. "Aua! Lucien nicht so doll!", riss mich ihre Stimme wieder aus meinen Gedanken. Das Quietschen hielt noch kurz an, ein Stöhnen folgte, dann war es still. Nach einiger Zeit, in der ich wieder meinen Gedanken nach hing und langsam in einen Schlaf driftete, klickte die Haustür. Das bekam ich jedoch nur noch am Rande mit, denn ein Traum umfing mich bereits.

Der tosende Applaus umgab mich und ich verbeugte mich noch einmal schüchtern, bevor ich von der Bühne lief. Erst hinter den Mauern, wo tausende von Menschen mich nicht mehr sehen konnten, ließ ich meinen Emotionen freien lauf. Unkontrolliert fing mein Körper an zu zittern  und meine Augen verloren ihren Fokus. Erst als meine Mom und Neven mich umarmten ließ das Zittern nach. "Du warst unglaublich", "Das war wunderschön", ihre Worte drangen nur langsam zu mir durch. Ein schmales Lächeln bildete sich auf meinen Lippen. "Meint ihr wirklich? Ich hab die zweite Strophe doch..", weiter kam ich mit meiner Ausführung nicht, denn ein Mann in einem weißen Anzug trat zu uns. Überrascht drehten wir uns zu ihm. "Hallo, ich bin Gasper James Morrison, ich bin Musikproduzent und Manager. Wer bist du Mädchen?", etwas überfordert schaute ich zu meiner Mom, die wiederum in einer Art Starre zu verharren schien. "Das ist Katarina Ava Drascovik", sagte Neven an meiner Stelle und legte mir lässig einen Arm um die Schultern. Mein Blick wanderte von ihm wieder zu dem Mann im weißen Anzug. "Schön dich kennen zu lernen Ava. Ich denke wir haben einiges zu Besprechen. Hier ist meine Karte, ruf mich morgen an und wir vereinbaren einen Termin", mit einem Seitenblick zu meiner Mom fügte er noch hinzu: "Deine Mutter kann natürlich mitkommen, wenn du noch keine 18 bist." Ich ergriff die Visitenkarte in seiner Hand nur zögerlich. Doch sobald diese seine Finger nicht mehr berührte, ging er schnellen Schrittes davon. Immer noch verwirrt drehte ich mich wieder zu Neven um. "Ich glaube er will dich unter Vertrag nehmen, Schatz", sprach meine Mom dann plötzlich in die Stille herein. Mit aufgerissenen Augen schaute ich zwischen den beiden hin und her, bis mir plötzlich schwarz vor Augen wurde.

A lovely NightmareWo Geschichten leben. Entdecke jetzt