Schlummer

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Nach einigen Minuten des Schweigens, in dem Jay mir ab und zu Blicke zugeworfen hatte, aber ansonsten stur schwieg, gab ich klein bei. „Naguuuuut", startete ich und Jay grinste triumphierend. „Ich bin jung berühmt geworden, war ein Star in Asien, hab Drogen genommen, bin verrückt geworden, hätte fast jemanden umgebracht, hab mich in meinen besten Freund seit Kindheitstagen verliebt, der gleichzeitig mein Gitarrist war, hab die Band in einer Nacht und Nebelaktion verlassen und mich entschieden hier in London, wie ein ganz normaler Mensch zur Uni zu gehen. Und du?" So schnell wie ich geredet hatte, war ich mir nicht sicher, ob Jay mir hätte folgen können, doch als ich von meinem Glas hochschaute und in sein schockiertes Gesicht blickte, wurde mir bewusste, dass er doch alles gehört hatte. Ich zwang mir ein Grinsen ins Gesicht. Und Jay tat meine ehrlichen Worte, als einen Scherz ab. „Okey, du Superstar, dann bin ich ein Mafiaboss, der schon als Kind eine Waffe getragen hat und jetzt in seiner Bude Tonnenweise Koks versteckt. Ich spreche fließen spanisch und tanze Ballett!", als er endete musste ich über seine absurden Worte lachen. Jay blinzelte mich belustigt an. Als ich mich wieder beruhigt hatte, sagte ich schmunzeln: „Okey okey du Mafiaboss. Ich bin einfach ein Mädchen, das nicht länger bei Ihren Eltern leben wollte. Ich träumte schon länger von einem Studium in Computer Games Development und London schien mir immer der perfekte Ort dafür zu sein. Also hab ich kurzerhand vor ein paar Monaten meine Sachen gepackt und bin mit meiner besten Freundin Violett her geflogen. Ich trainiere schon seit ich klein bin Kampfkunst und hab so gut wie jeden Gürtel und Waffenschein, den man machen kann. So und wie sieht es jetzt mit dir aus?" Als ich endete, lächelte Jay mir zu. „Schon besser Superstar. Ich für meinen Teil komme ursprünglich aus London, war dann mit 18 zwei Jahre lang im Ausland. Als ich wiederkam, lernte ich Armina kennen, wir kauften das Kampfsportstudio und seitdem können wir gut davon leben." Beeindruckt zog ich eine Augenbraue hoch und stellte ihm dann die ersten Fragen, die mir in den Sinn kamen: „Also bist du selbstständig? Wie hast du das geschafft? Ist Armina die Blonde, die beim Training hereingekommen ist, als ich dich auf die Matte befördert hab?" Er lachte kurz auf und antwortete mir dann: „Ja ich bin selbstständig. Während ich im Ausland war, hab ich ziemlich viel Geld ansparen können, mit Arminas Anteil, war es also nicht schwer das Studio zu kaufen. Die ersten zwei Jahre waren hart, aber mittlerweile läuft es ganz gut. Wir haben immer wieder Star-Trainer zu besuch, dass zieht viele Kunden an. Und ja, Armina war die, die sich eigentlich um dich gesorgt hat, während ich auf der Matte landete. Wir sind seit viereinhalb Jahren Freunde und Partner."

Während des letzten Satzes füllte sich seine Stimme mit Zuneigung. Wie es wohl war, jemanden solange an seiner Seite zu haben? Meine Augenlider waren in den letzten Minuten schwer geworden und meine Gedanken träge. Trotz des Kaffees entwich mir ein kleines Gähnen. Ich streckte meine Beine aus, passte aber auf, Jay nicht zu berühren. Der jedoch schnappte sich meine nun komisch angewinkelten Füße und legte sie sich in den Schoß. Er hatte seine Beine schon auf dem Sofatisch ausgestreckt. Und nach kurzen Geplänkel fielen mir meine Augen einfach zu. Ich glitt in einen traumlosen Schlaf.

Als ich aufwachte und aus einem der vielen Fenster schaute, war es bereits dunkel draußen. Beunruhigt, setzte ich mich auf und schaute mich im Raum nach Jay um, doch der war nicht da. Kaum war ich aufgestanden, streckte er jedoch seinen Kopf durch die Tür. „Ich wollte dich gerade wecken, langsam sollten wir los", sagte er lächelnd. Ich wischte mir kurz über die Augen, bevor ich mich in den Flur begab und meine Schuhe anzog. Keine 5 Minuten später rasten wir auch schon durch die Stadt. Der Wind war immer noch eisig und ich war froh, dass ich mich bei Jay aufwärmen konnte. Als wir nach einer Weile beim Studio vorbeifuhren und ich ihm kurze Richtungsanweisungen gab, waren wir auch schon bald da. Als ich gerade vom Motorrad kletterte, riss jemand die Haustür auf. Drei Personen standen da im Türrahmen, das Licht im Flur verhinderte, dass ich ihre Gesichter erkannte. Ich erkannte Max Stimme, als er rief: „Kate, bist du das?" Während ich mir den Helm abzog und Jay in die Hand drückte, hörte ich eine andere Stimme sagen: „Das ist jetzt nicht ihr Ernst?!" Lucien schien, aus welchem Grund auch immer, ziemlich sauer zu sein. „Danke für alles Jay. Ohne dich wäre ich wohl möglich erfroren", sagte ich halb im Scherz. „Gerne. Bis nächste Woche beim Training", sagte er und lächelte verschmitzt, als wüsste er etwas, was ich nicht wusste. Dann setzte er sich den Helm, den ich eben noch getragen hatte auf und fuhr davon. Schwungvoll drehte ich mich um und ging auf die mittlerweile nur noch zwei Personen im Türrahmen zu. „Kate! Gott sei Dank, wir haben dich überall gesucht!", rief Mira und umarmte mich kurz stürmisch. Ihr schien mein Unbehagen aufzufallen, denn sie ließ mich schnell wieder los. Da ich immer noch nichts sagte, ergriff Max das Wort. „Wirklich Kate, wo warst du? Wir haben dich 3 Stunden im Park gesucht!", seine Worte klangen wie ein Vorwurf. Müde schaute ich ihm kurz in die Augen, während wir uns alle in die Küche begaben. „Ich weiß nicht was passiert ist. Ihr ward die ganze Zeit vor mir und ich bin in Gedanken hinter euch her. Als ich dann irgendwann hochschaute, ward ihr nicht mehr da. Als ich stundenlang rumgewandert war, ohne Spur von euch, bin ich zur Hauptstraße. Doch da ich mich hier noch nicht so gut auskenne, brachte mir der Einfall reichlich wenig. Als ich also fast erfroren die Straße entlangging, hat Jay mich erkannt und netterweise mit zu sich genommen", erklärte ich den beiden ruhig. Maxs Gesichtszüge hatten sich wieder entspannt. „Und da du dein Handy nicht dabei hattest, konntest du nicht Bescheid sagen", schlussfolgerte er. Ich nickte, drehte mich um und schaltete den Wasserkocher ein. Bei der Zubereitung meines Earl Greys mit Milch & Honig, ließ ich mir so viel Zeit wie noch nie. „Wieso bist du denn jetzt erst gekommen?", fragte Mira und ich betrachtete ihre leicht angehobene Augenbraue. „Jay konnte mich so durchgefroren nicht auf seinem Motorrad durch die ganze Stadt fahren. Also hat er mich mit zu sich genommen. Ich bin bei Jay vor Erschöpfung eingeschlafen und deswegen jetzt erst hier", antworte ich ehrlich und drehte mich wieder um, um mir Wasser in die Teetasse zu schenken. „Wir sind jedenfalls froh, dass du wieder da bist. Wir drei haben uns große Sorgen gemacht", sagte Max und drückte mir kurz den Arm, dann verließ er die Küche. Mira lächelte mich an und kam auf mich zu und legte mir eine Hand auf die Schulter. Warum mussten die Menschen mich heute alle so viel anfassen?! Unauffällig trat ich einen Schritt zurück und ihre Hand rutschte von meiner Schulter. „Vielleicht solltest du mal zu Lucien gehen. Er hat sich schreckliche Sorgen um dich gemacht und als du gerade mit dem Typen angefahren kamst, hat er etwas von „nicht schon wieder" gemurmelt und ist total wütend in sein Zimmer..."

Sorry für die etwas lange Verspätung dieses Kapitels! Ich hoffe es gefällt euch! :)

A lovely NightmareWo Geschichten leben. Entdecke jetzt