„Das ist nicht wirklich so passiert, oder?", fragte mich Vi belustigt, als ich meine Erzählung beendet hatte. Statt mit ihr zu lachen, starrte ich sie nur an. Als sie merkte, dass es kein Witz war, konnte ich puren Schock auf ihren Gesichtszügen erkennen. „Du hast also...? Und er hat darauf...? Ich meine du hast...? Oh mein Gott!" Während Violett vor sich hinplapperte, schweiften meine Gedanken zu den bevorstehenden Kennlerntagen an der Uni. Dieses Mädchen mit den grauen Haaren ging mir nicht so wirklich aus dem Kopf, ich musste sie unbedingt kennen lernen. Dass sie überhaupt nicht an sozialen Kontakten interessiert war, würde ich einfach ignorieren. Alleine ein Studium zu meistern ist nicht nur langweilig, sondern bestimmt auch verdammt hart. „Ich fahre übrigens nach Edinburgh", sagte ich um Violetts Geplapper zu unterbrechen. „Was?", fragte sie darauf verwirrt. „Ich fahre von Donnerstag bis Sonntag nach Edinburgh. Mein Studiengang hat eine Budget-spritze bekommen und deshalb machen wir so eine Art Klassenausflug", erklärte ich ihr. Mit großen Augen schaute sie mich nun stumm an und nahm einen Schluck aus der Teetasse. Da ich nun eh dabei war, erzählte ich ihr auch gleich von meinem ersten Tag an der Westminster Universität. Nach einer Weile fing auch sie mir von ihren Erlebnissen zu erzählen, dabei hatte ich immer wieder das Gefühl, dass sie mir etwas verschwieg, doch ich sprach sie nicht darauf an. Während ihren Erzählungen über einen von Gaspers Ausraster, brach ich in schallendes Gelächter aus. Auch sie musste immer wieder Grinsen und irgendwann legten wir uns hin, wollten eigentlich noch einen Film schauen, doch vor lauter Müdigkeit schliefen wir einfach ein.
Ein lautes, bisher undefinierbares Geräusch weckte mich. Da ich mit Violett auf dem Bett eingeschlafen war, konnte ich mich nicht sofort orientieren. Erneut hörte ich einen Ton, der augenscheinlich aus meinem Handy kam. Verwirrt – ich hatte keinen Klingelton - richtete ich mich vorsichtig auf. Ein raues Stöhnen erklang erneut, nun war ich noch verwirrter. Meine Hand griff nach dem Handy und genau dann erklang das Stöhnen wieder – diesmal lauter. Dieser Idiot! Während ich mein Handy im Bad liegen gelassen hatte um mich umzuziehen, hatte er anscheinend schon seine Rache in die Tat umgesetzt. Ein letztes Mal stöhnte mein Handy, dann drückte ich den Anrufer weg. Dass der Anrufer niemand anderes war als meine Mutter, machte die Situation noch bizarrer. Vi hatte sich die letzten Minuten keinen Meter bewegt und atmete ruhig und gleichmäßig. Was würde ich nur für so einen tiefen Schlaf geben...Da ich jetzt eh wach war konnte ich genauso gut nach Hause fahren und mich für die Uni fertig machen.
Einige Stunden später:
Wir saßen in einem Café in unmittelbarer Nähe der Uni, denn der Morgen war bereits weitgehend voran geschritten. Ich saß bisher noch alleine an einem Tisch, da die anderen an der Theke Kaffee holten. Wie durch einen Zufall wurde Lucien als mein Tutor zugeteilt und gerade der hatte sein Handy auf dem Tisch liegen lassen. Der Gedanke mich zu revanchieren schoss durch meinen Kopf und schnell schaute ich mich verstohlen um. Ich schnappte mir sein Handy und ging ein paar Schritte außer Hörweite der wenigen Gäste in meiner Nähe. Als ich sicher war, das niemand mich hören würde, stöhnte ich ein paarmal anzüglich. Zum Schluss sagte ich noch mit rauchiger Stimme seinen Namen und speicherte das Ganze als seinen neuen Klingelton. Unbeobachtet ging ich wieder zurück und legte sein Handy weg. Als er wenige Minuten später zurückkam, lächelte er einmal kurz, griff nach seinem Handy und steckte es in seine Hose. Direkt hinter ihm kamen noch zwei weitere Kerle mit jeweils einer Tasse in der Hand an unseren Tisch. „Timm, Moe, das ist Kate. Da wir jetzt vollständig sind, können wir ja anfangen", sagte Luce voller Elan. Abgelenkt von der Türglocke, schaute ich zum Eingang und war überrascht Grey zu sehen. Mit eisigem Blick schaute sie sich einmal kurz um und steuerte dann auf unseren Tisch zu. Ohne ein Wort drängte sie sich an Timm, der sich mit etwas Entfernung neben mich gesetzt hatte, vorbei und nahm zwischen uns Platz. Lucien schaute sie verwirrt an und übernahm das Wort: „Was machst du denn hier? Du wurdest doch Anne zugeteilt, ihrer Gruppe arbeitet in der Mensa...", sagte er freundlich. „Ich arbeite mit euch", sagte Grey kalt und lehnte sich zurück. Mit hochgezogener Augenbraue wollte Luce etwas erwidern, schluckte es allerdings runter und kramte in seiner Tasche. Als ich ihn unbewusst dabei beobachtete und dabei auf seinen Bizeps starrte, hörte ich ein leises Lachen. Ich blickte Grey erstaunt an und zum ersten Mal schaute sie mir in die Augen.Ein Grinsen bildete sich auf meinem Gesicht und ich kam nicht drum herum ihre wunderschönen, grauen Augen zu bewundern. Ihr leises Lachen verstummte und sie beugte sich leicht zu mir vor und flüsterte: „Noch auffälliger und du kannst ihm auch gleich die Zunge in den Hals stecken", sagte sie neckisch. „Vielleicht mach ich das ja...", flüsterte ich zurück und zwinkerte ihr zu. „So, da wir ja nun vollzählig sind", sagte Luce laut und ließ den Blick kurz zu Grey schweifen „können wir endlich anfangen. Tatsächlich beginnt die eigentliche Arbeit erst morgen. Heute sind wir hier um uns, beziehungsweise ihr euch, kennen zu lernen. Das Ganze dient dazu die zwischenmenschliche Beziehung zu fördern, damit ihr zusammen das Studium meistern könnt. Niemand – wirklich niemand – will das ganz alleine machen. Wir beginnen damit uns kurz vorzustellen, dann überlegt ihr euch, wie ihr die Rallye gewinnen wollt. Am Ende des Tages will ich, dass jeder über jeden etwas zu sagen hat", beendete Luce seine Rede. „Also kurz zusammengefasst spielen wir alberne Kennlernspiele, gehen in die Mall Eis essen und betrinken uns anschließend?", sagte Grey erstaunlich offen und grinste in die Runde. Nach einem kurzen Austausch stimmten wir ihrem Vorschlag alle zu – bis auf Luce, der etwas gegen das Betrinken hatte – waren wir uns einig.
„Also, ich bin Timm, 22 Jahre jung, lebe seit 4 Monaten hier und habe mich nach einem Auslandsjahr endlich dazu durchringen können, mich einzuschreiben. Ich zocke gerne, lasse mich gerne piercen und spiele Gitarre." Natürlich musterten wir Timm dabei und seine Leidenschaften waren ihm deutlich anzusehen. Seine linke Augenbraue war gepierct, genau wie seine untere Lippe. Seinen Hals schmückte eine Lederkette mit einem Plektron und unter seinen klaren, blauen Augen befanden sich leichte Augenringe. Allgemein war er echt hübsch, mit seinen blonden Haaren und dem frechen Grinsen brach er bestimmt viele Frauenherzen.
„Kate!", sagte Lucien laut und schaute mich wütend an. Ich hatte mir Timm wohl etwas zu lange angesehen und schaute schnell weg. „Du bist dran", flüsterte mir Grey zu. „Oh also ähm ich bin Kate, ich bin in Amerika aufgewachsen und die letzten Jahre durch Asien gereist und hab mich jetzt dazu entschieden hier zu studieren. Ich gehe gerne in Parks oder schaue Netflix, starre gerne Leute an und versinke dabei in Gedanken..." – dabei zwinkerte ich Timm kurz zu – „...und backe gerne, wenn ich die Zeit dazu finde." Mit einem Lächeln schaute ich in die Runde. Timm lächelte mir verschmitzt zu und Luce verdrehte daraufhin seine Augen. Interessant. Als nächstes war Moe an der Reihe. „Ich bin Moe – ja tatsächlich wie bei den Simpsons – und ich bin Vegetarier um das Klischee mal zu erfüllen", sagte er lachend und dass er dabei auch noch aussah wie ein Lauch – brachte mich zum Grinsen. „Außerdem habe ich eine leichte Abneigung gegen Alkohol, da ich, wie man sieht, nicht so viel vertrage", sagte er zum Abschluss. Erwartungsvoll warteten alle auf Grey, doch sie schwieg. „Am Ende des Tages wisst ihr genug über mich", sagte sie dann und führte meine Tasse an ihre Lippen. Geheimnisvoll wie eh und je fügte ich in Gedanken hinzu. Nach ein paar Gesprächen mit Timm und Mo – ich versuchte Luce zu ignorieren und Grey schwieg – beschlossen wir zur Mall aufzubrechen.

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A lovely Nightmare
ChickLitSeit knapp vier Jahren besteht Ava's Leben aus Konzerten, Groupies und ihrer Musik. Doch als sie sich der Schattenseite dieses Lebens nicht mehr entziehen kann, verlässt sie die Band. In London versucht die mittlerweile 21 Jährige ein normales Lebe...