Ein Lichtblick

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Die Erinnerungen aus Hong Kong durchfluteten mich und ich versank förmlich in diesen Kuss. Neven schien es auch so zu gehen, denn sein Griff wurde fester und zog mich noch näher.  Plötzlich jedoch riss Neven sich von mir los und trat zurück. „Wir sind hier fertig", sagte er kalt und verließ dann den Raum. Verwirrt blieb ich wo ich war, starrte ihm kurz perplex nach und nahm dann erneut das Blitzen der Kamera wahr. Doch auch ich hatte genug, rasende Wut machte sich in mir breit. Ich stürmte auf Gasper zu und drückte meinen Finger gegen seine Brust. „Was sollte das?!" Seelenruhig trat er einen Schritt zurück und sagte: „Sowas nennt man PR meine Liebe. Ich muss deinen Fans ja einen Grund geben, warum du deine Karriere beendest. Von Neven verlassen zu werden, hat dir dein Herz gebrochen und du bist von der Bildfläche verschwunden, ganz einfach." Wütend schnaubte ich und starrte ihn weiterhin an. „Wir waren aber nie zusammen!" schrie ich ihm dann entgegen und versuchte mich zu beruhigen. Schrie ich, weil ich es bedauerte nie mit Neven zusammen gewesen zu sein? Oder weil ich gerade einfach nur frustriert war? „Das tut doch gar nichts zur Sache, Liebes. Solange du nicht willst, dass die Öffentlichkeit den wahren Grund deines Ausstiegs erfährt, ist das die offizielle Story!", führte Gasper seine Argumentation fort.  Immer noch wütend, schüttelte ich den Kopf. „Du hättest mich wenigsten warnen können!" Diesmal schüttelte er den Kopf. „Dann wäre es lange nicht so authentisch gewesen." Ohne ein weiteres Wort verließ ich den Raum und ging zur Garderobe. Ich frage mich, ob Neven gewusst hatte, was Gasper wollen würde. Hatte Gasper ihn eingeweiht, oder kam die Aufforderung beim Shooting genauso überraschend für ihn? Ich würde ihn gleich fragen. Die Visagistin die bereits ihr Zeug gepackt hatte, sagte mir, ich dürfte das Outfit behalten, was meine Stimmung ein wenig hob. Dann erklärte sie mir jedoch, dass die Band bereits abgeholt worden war und mein kleines Lächeln verschwand.

Die Fahrt zum St. James' Court, A Taj Hotel dauerte lange, den Feierabendverkehr in London hatte ich wohl unterschätzt. Am Abend schloss ich dann erschöpft meine Zimmertür und lehnte mich dagegen. Dass die Band sich nicht von mir verabschiedet hatte, machte mir immer noch zu schaffen. Normalerweise waren sie mit Violett meine einzigen Freunde. Genervt schnaubte ich und schmiss meine Handtasche in eine Ecke. Ausgiebig betrachtete ich mein luxuriöses Zimmer und fragte mich ein weiteres Mal, warum ich nicht einfach hier blieb. Sobald mir dieser Gedanke kam, schüttelte ich den Kopf. Ich wollte ein normales Leben, dazu gehörte halt kein Daueraufenthalt in einem Hotel. Während ich so in Gedanken vertieft war, fing mein Handy an zu klingeln. Als ich es endlich in der Tasche fand, die ich eben noch enthusiastisch an die Wand geworfen hatte, war es bereits verstummt. Mom stand da in Großbuchstaben auf dem Display. "Sorry Mom", flüsterte ich mit dem Anflug eines schlechten Gewissens, als ich den Anruf in Abwesenheit löschte. Ich wollte mich nach diesem Tag nicht auch noch mit komplizierten Themen wie Dad, meiner Karriere oder Neven auseinandersetzen. Wobei ich genug an letzteren dachte, der auch sofort wieder Besitz über meine Gedanken ergriff. Hasste er mich dafür, dass ich die Band und somit auch ihn verlassen hatte? Sein kalter Blick und das abrupte Ende unseres Kusses, hinterließ bei mir immer noch ein Schaudern. Dabei hatte in Hong Kong alles so unschuldig angefangen. Aus Streitereien wurde Geplänkel, aus Geplänkel wurden Flirts und nach einiger Zeit fingen wir an uns alleine, ohne die Band zu treffen. Aus einem Date wurden zwei, fünf, zehn und als Neven mich nach dem zehnten Date endlich küsste, implodierte meine ganze Welt. Es war schön, ohne Zweifel. Aber es hatte mir Angst gemacht, so große Angst, dass ich mich zurückzog. Am Ende, kurz bevor ich Asien verließ, war ich innerlich ein Wrack. Meine Ängste hatten mich gelähmt, mir Gedanken in den Kopf gepflanzt. Kurz vor einem erneuten Rückfall hatte ich fluchtartig in einer Nacht und Nebel Aktion die Stadt, das Land, den Kontinent verlassen. Und nun stand ich hier, grübelte über ihn und mich nach, statt mir über die Gegenwart Sorgen zu machen.

Nach einer langen Dusche, bei der Tonnen an Haarspray im Abfluss landeten, kramte ich meinen Laptop aus dem Koffer und legte mich aufs riesige Bett. Wie die Tage zuvor suchte ich eine Wohnung, ein Zimmer oder meinetwegen würde ich mir auch ein Haus kaufen. Doch in dieser verflixten Stadt gab es einfach keinen freien Wohnraum für Studenten. Plötzlich sah ich eine Anzeige, die vorher nicht dagewesen war. Sie wurde heute erst reingestellt und ich las sie mir gleich durch. Ein großer Bungalow, vier Zimmer, außerdem Bad und Küche, zwei Typen suchten einen netten Mitbewohner. Mist, männlich war ich zwar nicht, aber ich musste es einfach probieren. Bevor ich es mir anders überlegen konnte, wählte ich die angegebene Nummer und wartete. Nach einer Ewigkeit nahm jemand ab und eine verschlafene Stimme fragte: „Ja hallo?" Ich schaute verwirrt auf die Uhr und erstarrte, es war bereits nach 1 Uhr nachts. „Oh mein Gott das tut mir so leid. Ich hab gar nicht darauf geachtet wie spät es bereits ist", sprach ich schnell in den Hörer und wollte schon auflegen der verschlafene Mann mich stoppte. „Jetzt bin ich ja wach. Wer ist denn da?", fragte die tiefe, aber auch weiche Stimme jetzt etwas wacher. „Ähm hier ist Kate, ich hab eure Anzeige wegen dem freien Zimmer gesehen und ich brauch dringend eine Bleibe...", weiter kam ich nicht, denn da wurde ich auch schon unterbrochen. „Wir suchen einen männlichen Mitbewohner, Süße, sorry", sagte er nun und ich fuhr mir mit der Hand durch die Haare. „Ich bin wirklich pflegeleicht, zicke nicht rum und verteil auch nicht überall meine Deko", sagte ich nun verzweifelt und hoffte auf eine Chance. „Na schön. Komm morgen früh vorbei und dann schauen wir weiter. Sei um 10 Uhr bei der angegebenen Adresse. Ich geh jetzt wieder schlafen, Gute Nacht!", mit diesen schnellen Worten legte er auch schon auf und ich starrte auf das Handy in meiner Hand. „YES!" schrie ich überglücklich und ich fühlte eine gewisse Erleichterung. Jetzt musste ich denen nur noch zeigen, dass ich so gar keine Zicke war und das Ganze war gebongt. Mit einem leichten Lächeln machte ich den Laptop aus und stellte mir einen Wecker, bevor ich auch schon in das Land der Träume abdriftete.

A lovely NightmareWo Geschichten leben. Entdecke jetzt