Kapitel 4: Flugstunden und Quidditch

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Ihre Sicht:

In unserer ersten Flugstunde sah ich Harry und Emily außerhalb der Zaubertrankstunden wieder. Den Gryffindors schien der Umstand, mit uns zu lernen, noch viel mehr auszumachen, als umgekehrt. Ich stand neben Draco und Harry gegenüber. Neben mir auf dem Boden lag ein alter Besen, der schon bessere Tage gesehen hatte. Einige Borsten des Schweifs waren total schief und auch der Stiel war hie und da gesplittert.

„Hoch", sagte ich bestimmt und der Besen zuckte in meine Hand. Auch bei Harry und Draco gelang es sofort, bei vielen anderen nicht. Ich sah, wie Emily mir grinsend ihren ebenfalls sofort empor gesprungenen Besen entgegen hielt. Madam Hooch erklärte uns, wie wir uns festhalten sollten und ging dann herum, um uns zu korrigieren. Selbst wenn sie etwas an meiner Haltung auszusetzen hatte, behielt ich sie doch bei. Ich wusste, dass ich so nicht herunterfallen würde. Woher? Keine Ahnung. Obwohl ich eigentlich ja eh keinen Besen brauchte...

„Passt jetzt auf. Wenn ich pfeife, stoßt ihr euch vom Boden ab, und zwar mit aller Kraft", wies Madam Hooch uns nun an. „Haltet eure Besenstiele gerade, steigt ein paar Meter hoch und kommt dann gleich wieder runter, indem ihr euch leicht nach vorn neigt. Auf meinen Pfiff-drei-zwei-"

Doch weiter kam sie nicht, da Neville, nervös, wie er war, sich bereits abgestoßen hatte, um nicht nach allen anderen zu starten. Neville Longbottom, der wandelnde Fehlschlag, ein Gryffindor wie mein Bruder, ein Gryffindor, weshalb auch immer.

„Komm zurück, Junge!", rief sie ihm hinterher, doch Neville schoss immer weiter in die Höhe. Bei etwas um die sieben Meter kippte er vom Besen und landete unsanft im Gras. Sein Besen flog gemütlich in Richtung des verbotenen Waldes davon. Gleichgewichtssinn schien er also auch keinen zu haben, wie verwunderlich.

„Handgelenk gebrochen", analysierte Madam Hooch, die mittlerweile zu Neville gelaufen war und riss meine Augen damit vom Himmel, wo ich dem Besen nachgesehen hatte. Nun wandte ich mich wieder dem Geschehen am Boden zu. „Na komm, Junge, es ist schon gut, steh auf. Keiner von euch rührt sich, während ich diesen Jungen in den Krankenflügel bringe! Ihr lasst die Besen, wo sie sind, oder ihr seid schneller aus Hogwarts draußen, als ihr ‚Quidditch' sagen könnt! Komm, mein Kleiner."

Sobald sie außer Sicht war, lachte Draco los. Ich drehte mich zu ihm um. Klar, lustig war es gewesen, aber was hatte er jetzt vor?

„Habt ihr das Gesicht von diesem Riesentrampel gesehen?", prustete er.

„Halt den Rand, Draco", wies Emily ihn ärgerlich an. Ich sah zu ihr hinüber, ihre blonden Haare bekamen einen ungesunden Rot-Stich, ob sie wohl wütend war?

„Ooh, machst dich für Longbottom stark, Jugson?", höhnte Pansy Parkinson. Ich kannte sie, sie war mit mir in einem Haus, in einem Schlafsaal, ich fand sie furchtbar nervig. Ich schwieg. „Hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet du fette kleine Heulsusen magst."

„Schaut mal", mischte Draco sich ein. Er sprang nach vorne und pickte eine kleine Kugel aus dem Gras. „Das blöde Ding, das die Oma von Longbottom ihm geschickt hat." Ich erkannte die Kugel, Harry hatte mir davon erzählt, es war Nevilles Erinnermich, es erinnerte einen an Dinge, die man vergessen hatte. Was in Nevilles Fall auch nicht viel brachte, denn er wusste nie, was er vergaß.

„Gib es her, Malfoy", sagte Harry nun ruhig und streckte die Hand nach Nevilles Erinnermich aus. Ich fuhr wieder herum. Draco grinste hämisch. Harry hatte definitiv die falsche Art angeschlagen, mit Draco umzugehen, so viel war schon mal sicher.

„Ich glaube, ich stecke es irgendwohin, damit Longbottom es sich abholen kann - wie wär's mit - oben auf einem Baum?"

„Gib es her!", schrie Harry nun. Es war klar, dass das Draco eher noch mehr anstacheln als beruhigen würde, doch auf wen von uns hätte er schon gehört, dies zu ändern? Tatsächlich stieg er auf seinen Besen, stieg hoch in die Lüfte und schwebte neben den obersten Ästen einer nahen Eiche. Fliegen konnte er.

„Komm und hol's dir doch, Potter!", rief er von dort hinab und hielt das Erinnermich provozierend in einer Hand. Ich seufzte und schüttelte kaum merklich den Kopf. Draco Malfoy zum Feind haben, macht einem das Leben nicht leichter, vor allem dann nicht, wenn sein erbittertster Feind dein Zwillingsbruder war und du genau wusstest, dass der sich ebenso gut provozieren ließ.

Nein", wandte sich nun Hermine an Harry, der nach seinem Besen gegriffen hatte. „Madam Hooch hat gesagt, wir dürfen uns nicht rühren. Du bringst uns noch alle in Schwierigkeiten."

Er stieß sich trotzdem ab und flog hoch in die Lüfte. Ich hätte ihn vielleicht aufhalten können, doch ich hielt mich da raus. Ich war ja nicht sein Kindermädchen! Obwohl er noch nie geflogen war, sah es wirklich gut aus, er schien Talent zum Fliegen zu haben. Ich sah kurz auf meinen Besen, ob ich dann auch Talent hatte? Auf dem Boden bekamen wir die Unterhaltung der beiden kaum mit, doch wir sahen ihren Streit. Als Harry nach einem spektakulären Sturzflug das Erinnermich gefangen hatte, hörten wir eine wütende Stimme hinter uns.

„HARRY POTTER!", rief die zornige Professor McGonagall. Ich fuhr erschreckt herum und sah ein Gesicht mit Lippen, wie ein dünner Pinselstrich. „Nie, während meiner ganzen Zeit in Hogwarts... Wie kannst du es wagen, du hättest dir den Hals brechen können..."

„Es war nicht seine Schuld, Professor...", versuchte eine andere Gryffindor die Situation zu retten.

„Seien Sie still, Miss Patil!"

„Aber Malfoy...", wollte Ron erklären.

„Genug, Mr. Weasley. Potter, folgen Sie mir, sofort."

Die Slytherins brachen in Gelächter aus, nur ich stimmte nicht mit ein. Warum sollte ich auch meinen Bruder auslachen, wenn er höchstwahrscheinlich rausgeschmissen werden würde?

Die Stunde endete somit mit einer gebrochenen Hand, einem schadenfrohen Draco Malfoy und einem niedergeschlagenen Harry, der nachträglich zum jüngsten Sucher seit einem Jahrhundert gekürt wurde und nun für Gryffindor spielen dürfte. Jetzt war ich wirklich einmal neidisch! Immer bekam er den ganzen Ruhm und was hatte ich? Nicht einmal richtige Freunde...

Seine Sicht:

Das erste Quidditch-Spiel des Jahres war Slytherin gegen Gryffindor. Ich war neugierig, für wen Eleanor sein würde. Zu meiner Verwunderung stand sie, komplett in Slytherin-Farben gehüllt unten am Rande des Stadions und sah von dort aus in die Lüfte. Was tat sie dort? Beobachtete sie ihren Bruder? Ich sah dem Spiel nicht zu, ich hörte nur auf die Kommentare. Ich sah hinunter zu ihr. Warum stand sie dort ganz allein und sah dem Spiel aus der denkbar ungünstigsten Position zu? Vielleicht sollte ich sie danach fragen, aber ich würde es wohl eh nicht tun...

Nach dem Spiel, das Gryffindor dummerweise gewonnen hatte, trotz Potters zeitweilig streikenden Besens, sah ich, wie sie kurz den Weasleys und ihrem Bruder gratulierte und dann ging. Ich ging ihr nach.

Sie ging hinunter zum See und setzte sich an dessen Ufer. Dort saß sie auch oft mit Emily. Die beiden schienen beste Freundinnen zu sein, doch sie sprachen nicht. Ich hörte Eleanor eh nur selten sprechen und ebenso selten lachen wie Emily. Bei uns wurde nicht gelacht, wir waren so erzogen worden. Ich stand in ihrer Nähe und sprach sie nicht an. Ich sah ihr nur zu, wie sie dort am See saß und über dessen dunkle Fluten blickte. Ich hätte so gern gewusst, was sie gerade dachte, und doch ahnte ich, dass sie wahrscheinlich davongerannt wäre, hätte ich sie jetzt angesprochen. So stand ich einfach dort und sah sie an, unbemerkt, ungesehen. Eine ganze Weile stand ich so da, bis sie sich plötzlich bewegte. Ich drehte um und rannte davon, sie dürfte mich nicht bemerken. Ich hätte es ihr nicht erklären können. Obwohl ich sie gern hätte reden hören, lachen.

Auch als ich den einen Abend stolz von meinem Streich mit Potter erzählte, ich hatte nie beabsichtigt, nachts ins Pokalzimmer zu gehen, lachte sie nicht. Sie lachte mich aber auch nicht aus, als es schief ging und ihr Bruder absolut keinen Ärger bekam. So verlegte ich mich kurzerhand wieder darauf, ihren Bruder und dessen Freunde wieder wegen ihrer Herkunft zu triezen, worüber sie zwar auch nicht lachte, aber auch nie etwas dagegen sagte, obwohl es ja irgendwo auch sie betraf...

Die vergessene GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt