Die Zeit der Ruhe
Es herrschte Ruhe. Es war eine Ruhe, die alles ausfüllte; eine Ruhe, die vergessen ließ, wie es früher war, als man tun konnte, was einem einfiel; als man sagen konnte, was man dachte; früher, als man sich nicht damit zufrieden geben musste, was geschah. Die Ruhe hatte alles verschluckt und mit ihr war die Schwärze gekommen, die den Tag schwächte, das Licht fraß und die Welt in einer Mischung aus Pech- und Kohlrabenschwarz färbte.
Doch auch wenn alles ruhig zu sein schien, still war es nicht. Es rauschte, scharrte und dröhnte und in der Ferne vernahm man ein heiseres Piepsen. Keinen einzigen Moment schwieg Es und keine Minute war Es still. Mit der Zeit wurde Es aufsässiger, testete seine Grenzen aus, und ein mechanisches Rattern gesellte sich zu der allgemeinen Melodie des Chaos und Es begann zu wachsen. Es wurde lauter und lauter, noch lauter - bis Es nur noch dumpf zu hören war und der Bass den Boden erzittern ließ. Auch damit war noch nicht der Genüge getan; nein, noch immer schwoll die Geräuschkulisse an, bis es kaum noch zu ertragen war. Diese Qual wurde eine Tortur, eine Pein für meine Ohren. So lange Zeit hatte ich die Regeln der Ruhe und der Schwärze befolgt, hatte mich unterworfen. Genug!
Ich öffnete meine Augen und starrte in die völlige Finsternis, die absolute Leere, die kurz nach der Schwärze ihren Eid auf die Ruhe geleistet hatte. Unterdessen war das neue Geräusch schneller geworden. Unbeirrt laut fing es an sich zu überschlagen und mit doppelter Energie durch meinen Körper und die verkrüppelte schwarze Landschaft um mich herum zu pulsieren.
Kurz darauf sollte etwas passieren, das ich mir nie wieder erhofft hatte. Durch meine Augen schoss ein unfassbarer Schmerz und ich musste mich erst erinnern, bevor ich mir über dieses lang vergessene Gefühl klar wurde. Der nächste Blitz brachte mir die Erleuchtung; ich konnte sehen! Immer mehr Blitze folgten aufeinander. Ohne Ende flackerten die Lichtfelder vor mir auf und langsam konnten sich meine Augen an dieses zurückgewonnene Gefühl gewöhnen. Die Strahlen trafen seltener auf die Erde, dafür wuchs die Zeitspanne, mit der sie das Land jedes Mal ein Stück länger erhellten.
Ich war so erstaunt von meiner zurückerlangten Fähigkeit gewesen, dass ich kurzzeitig das Hören vernachlässigte. Wie eine Riesenwelle überflutete mich die Kakophonie der Misstöne und Unlaute und drohte, mich in die vergangene Zeit zurück zu drängen. Eine leere Drohung.
Das Rattern war mittlerweile zu einem langsamen Knacken geworden. Die Lautstärke nahm ab und nach einer gefühlten Ewigkeit hörte man nur noch ein gelegentliches Klacken. Es gab auch keine Blitze mehr. Die Helligkeit hatte letztendlich doch gesiegt und in weiten Abständen wurde es noch kurz dunkel, dann nur noch dämmrig.
Auch das Klacken hatte aufgehört und war einem leichten Plätschern gewichen. Ich sah zu, wie der Regen auf mich niederfiel und wie meine Haut jeden Kubikzentimeter der teuren Ressource gierig einsaugte.
Auch der Boden schluckte das Nass literweise, in der vergeblichen Absicht, Vegetation aus seinen trockenen Krusten sprießen zu lassen. Meine Kleidung weichte schneller auf als einer: „Meine Güte, die Zeit der Ruhe ist verstrichen" schreien konnte, und überall an meinem Körper klebte der matschige Lehm, der zu diesem Zeitpunkt den Großteil der Welt bildete und sich unendlich zu allen Seiten auszustrecken schien. Nichtsdestotrotz blieb ich sitzen, beobachtete die Szenerie, die sich schleppend vor meinen Augen abgezeichnet hatte und genoss die Freiheit.
Freiheit!
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Eine Prise Schicksal
FantasyFünf Menschen erwachen, ihrer Erinnerungen bestohlen, in fremden Land. Die Zeit der Ruhe ist vorbei, soviel steht fest, doch wer ist Verbündeter und wer Feind? Und was ist vor der Ruhe mit ihrer Welt geschehen? Eine Geschichte um Erinnerungen, Götte...