Angriff der Schatten -3-

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Jahr 1  nach der Ruhe

Ich begutachtete meine Sachen, die ich in der Zeit (eine Woche müsste es nun sein) zusammengetragen hatte. Darunter Kostbares, wie Pläne und Ideenskizzen, die vor allem in den letzten Tagen entstanden waren (auch wenn ich nie Architekt oder Ingenieur gewesen bin - ich habe mein Leben in Finsternis verbracht – habe ich scheinbar ein Händchen dafür), und Dinge von eher materiellem Wert; Nahrung (überwiegend Pilze, und, ja, ausschließlich Pilze), Werkzeug und ein paar Sachen, die in meiner Hose gewesen waren (das Meiste kann ich noch nicht identifizieren, aber ich werde weiterhin meine Erinnerungen nach Namen und Gebrauch dieser Objekte durchforsten). Den höchsten persönlichen Wert allerdings hatte dieses (vielleicht auch dieser oder diese, wer weiß?) Pergament-Bündel-Büchlein-Schriftrolle, in das ich meine Gedanken verewigte (Wahrscheinlich nicht. Allein beim umblättern bröselt dieses Fabrikat aus Dingen – denn als etwas Eindeutiges, will mein Hirn dies nicht erkennen – auseinander). Ich atmete ruhig aus und zog die abgenutzte sauerstoffdefizitreiche Luft wieder ein, die über allem wie ein toter Klecks Ärmlichkeit hing. Blumen blühten nicht mehr, Bäume standen nicht mehr, sondern räkelten sich bereits stumpf und verkohlt in der trostlosen Hitze. Der Boden, den einst Wiesen bedeckt hatten, auf dem einst Wälder ihre Kronen gen Himmel gestreckt hatten, war trist und karg. Pflanzen (abgesehen von Disteln und Pilzen – ja, Pilze sind keine Pflanzen, sondern Symbionten - , die hier und da aus dem Dreck hervorspringen und einen garstig beäugen, wenn man nicht schnell genug „Der Magen wartet nicht, lasst uns eine Suppe brauen!" ruft oder sogar noch ganz anderes Theater veranstalten) waren lose Gedanken und Tiere – Tiere! – waren nur die amorphen Schatten längst vergangener Zeiten. Tiere! Was gäbe ich nur dafür, eines mit meinen Augen zu erspähen? Mit meinen Fingern zu erkunden, mit meiner Zunge zu schmecken? Meine kundige Hand flog über das Papier, das Kratzen des zu kurzen Kohlestummels auf dem rauen Material durchbrach die Stille der Einsamkeit und Melancholie ergoss sich über mein Gemüt. So viel gewonnen, doch so viel verloren! Ich versuchte Zustimmung zu finden, das Gefühl, erwünscht zu sein, doch es schien überall noch die Zeit der Ruhe zu herrschen. Schien. Der Beweis? Es ist Tag. Zum ersten Mal nach so langer Zeit, wurde eine Nachtperiode wieder von einem Tag unterbrochen. Diese Nachtperioden, die den Großteil der Zeit der Ruhe ausgemacht hatten und trotzdem hatte ich mich geirrt: der Tag hatte nicht gewonnen, ich war es gewesen, der einen Ausweg gefunden hatte. Ich lebte. Wieder. Meine Hand schrammte leicht über das Papier und seine Fasern bohrten sich in meine poröse Haut. Wie lange war meine Haut, mein Körper nicht beansprucht worden? Wie lang hatte ich mich Untertan gemacht? Ich klappte das Ding zu – und wie heiße ich? – und stand, begleitet von einem Dutzend Knochenknacken, auf. Ich wusste nicht, wie weit es bis zum nächsten Kohlebaum war. Aber wer weiß das schon?

„Die ersten Tage waren hart, doch jetzt fängt alles an eine Art Ablauf anzunehmen." Es war immer noch ungewohnt, seine eigene Stimme zu hören. „Was hältst du davon, sesshaft zu werden?", fragte ein Pilz mit Knollnase und schütterem Haar. Ich dachte darüber nach.

„Ich habe darüber nachgedacht und mich dagegen entschieden." Ein erleichtertes Seufzen drang aus Richtung meiner Füße und die Melancholie brandete wieder auf. Unerwünscht. Ich ging in die Hocke, um einer frechen Distel mit meiner Nadel in die Seite zu piksen. Sie lachte – die Nadel, nicht die Distel -. Diese schaute nur verdrießlich drein und kreuzte ihre dünnen Ärmchen. Ich wandte mich erneut dem Knolligen zu. „Ich werde nach Anderen suchen."

„Du hast hier „Andere" gefunden", kam es wieder von unten.

„Von meiner Sorte", stellte ich klar.

„Also ist unsere „Sorte" dir nicht mehr gut genug?", giftete die Distel, doch der Pilz nickte nur und die Entscheidung war gefallen.

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