Jahr 30 nach der Ruhe
„Hier ist sie", sagte Mill zu seinem von Schatte umgebenen Gegenüber. Awe inspizierte die lederne Schatulle mit den obskuren Verzierungen und den runenhaften Zeichen.
„Und?", fragte er vorsichtig: „Kannst du mir etwas dazu sagen?"
Awe lächelte. „In der Tat weiß ich, einen Weg, dir zu helfen."
Ohne Mill zu Wort kommen zu lassen machte er eine schwungvolle Geste und sah dabei zu, wie die Schatten, die er gesammelt hatte, aus seinen Ärmeln herausschossen und auf Mill zu stoben, für den die Welt um ihn herum in ein Wirrwarr aus Dunkelheit und Schatten verwandelte, bis sich langsam eine neue Szenerie vor seinen Augen manifestierte.
Grienend verließ Awe die Stelle im Wald, an der sie kurz zuvor noch zu zweit gestanden hatten, und lief zurück zu ihrem Lager in dessen Mitte das großen Feuer noch schwach glomm. Er würde zurück sein, wenn Mill ihn bräuchte.
*****
Stone und Ember schliefen bereits seit einigen Stunden und Mill war noch immer nicht aus dem Wald zurückgekehrt. Das Schatt- Awe befand sich sicherlich wieder in seiner Höhle und tat was er... was er eben den ganzen Tag so tat, nahm er an. Der einzige der noch auf war, war Twinkle. Er stand auf der Rückseite des Plateaus, von dem Gipfel des Berges versteckt, und versuchte sich über einiges klar zu werden. Seine Vision ließ ihn nicht mehr los. Was hatte er da nur gesehen? Seit dem fühlte sich alles so anders an, auch wenn sich im Grunde nichts verändert hatte . Es war kalt, finster und einsam. Sicher er war nicht allein, schließlich hatte er unter den vieren gute Freunde gefunden, doch ihm war bewusst geworden, dass er sie eigentlich erst seit wenigen Tagen kannte. Etwas sträubte sich in ihm, ohne es je gemerkt zu haben, hasste er es Zeitabstände als „Tage" zu bezeichnen. Das macht nur wenig Sinn, flüsterte ihm einer der Griffel des Einsamen Nahdenkens ein. Allerdings fiel es ihm leichter, sich gegen die Gedanken, die nicht zu ihm gehören wollten, zu wehren. Er fand Zuspruch in der Finsternis. Er konnte die Schatten um sich mit etwas Mühe spüren und die eisigen Temperaturen, die ihn zuvor zum Zähneklappern gebracht hatten waren nun angenehm.
Eine heimliche Träne lief dem jungen Mann über die Wange und er vergewisserte sich ein weiteres Mal, ob er auch wirklich allein war. Er war es. Dann ließ er sich auf einen besonders verkohlten Baumstamm nieder. Es knarrte herzerweichend.
Wer war er? Er hatte keine Antwort darauf. Weder woher er kam, noch wer seine Familie war, wusste er und dazu vertrat er die Meinung, dass sie vielleicht die letzten Menschen wären. Sie hatten darüber abgestimmt (nicht dass das etwas ändern würde) und Ember, Stone und er hatten nicht daran glauben können, während Mill nur zynisch gelacht hatte und Awe ohne zu überlegen seine Position festgelegt hatte. Nach seiner Vision hatte sich Twinkles Sicht geändert. Sie hatten bisher kein einziges Zeichne auf weitere Menschen oder gar auf Zivilisation entdecken können. Nicht einmal Tiere hatten sie gesehen.
Abgesehen von deiner Vision, da war es wieder, das Einsame Nachdenken. Diesmal allerdings hatte es Recht. Das vogelartige Geschöpf, dass auf dem Ligusterstamm gesessen hatte und dessen Augen ihn irgendwie eingeschläfert hatte. Doch wann konnte das gewesen sein? Vor der Zeit der Ruhe. Wahrscheinlich. Zu der Zeit schien es eine Stadt gegeben zu haben, in der er gewohnt hatte. Mit meiner Familie.
Eine weitere Träne kullerte langsam sein Gesicht hinunter und gesellte sich zu der anderen auf dem Boden. Twinkle klammerte sich an die Schatten, die bei Nacht über allem lagen. Er zog Mut aus ihnen, hielt sich an ihnen fest, und als der Wehmut stärker zu werden schien, zog er sie stärker an sich.
Verwundert runzelte er seine Stirn, als einer der Schatten näher gekrochen kam. Langsam glitt er, einer Schlange gleich, auf ihn zu und reckte sein Köpfchen aufgeregt Twinkle entgegen. Dieser schaute nur ungläubig drein und ließ den Schatten an sich hochklettern und in seinem Ärmel verschwinden. Er war weich und schien leicht zu pulsieren.
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Eine Prise Schicksal
FantasiFünf Menschen erwachen, ihrer Erinnerungen bestohlen, in fremden Land. Die Zeit der Ruhe ist vorbei, soviel steht fest, doch wer ist Verbündeter und wer Feind? Und was ist vor der Ruhe mit ihrer Welt geschehen? Eine Geschichte um Erinnerungen, Götte...