Jahr 1 nach der Ruhe
„Hab erbarmen, oh edler Herr", kreischte der Pilz mit dem lausigen grauen Hut.
„Lass mich los!", erzürnte sich ein weiterer, dessen Stiel einen leicht grünen Teint angenommen hatte.
Nun brach auch das verhaltene Schweigen der anderen Pilze und allesamt verfielen sie in bestialisches Geschrei und wüste Beschimpfungen. Nur einer behielt die Ruhe, eine Sache, die ich am wenigsten dulden durfte. Flink griff ich nach dem Schweigenden und hob ihn mit Daumen und Zeigefinger hoch, was ein vielstimmiges Raunen auslöste.
Geübt zupfte ich den Hut von seinem Stiel und befreite vorsichtig die Lamellen von Sand und Staub. Bevor ich meine erste Mahlzeit seit langem -das Erlebte hatte mir gezeigt, mich von Gleichgültigkeit fernzuhalten- zu mir nehmen konnte, streifte der Pilz seine Ruhe ab, wie ein altes Kleidungsstück; seine durchdringende leise Stimme, war die einer Frau.
„Immer mit der Ruhe", der Pilz lachte gehässig: „Man vernimmt wenig gutes von dir, Jarome. Lùmon' und seinem Gefolge schlossest du dich an; dabei waren sie alle so stolz auf dich."
Das Gebrüll hatte sich unterdessen eingestellt, denn genauso wie mich zog auch meine gesammelten Pilze die unmenschlich ruhige Stimme an.
„Wer sagt das?"
„Oh, jeder redet davon, die freien Götter sind außer sich. Jedenfalls die, die die nötige Macht besitzen", wieder lachte des Pilzes Stimme: „Doch auch Lùmon's kleiner Fanclub sieht mit gemischten Gefühlen auf deinen Weg herab. Erneut bist du aus scheinbar unersichtlichen Gründen von einem Tag auf den anderen ein großer Mann geworden und wir beiden kennen deine Probleme im Umgang mit Macht, nicht wahr Jarome?", die Stimme wurde zu einem dünnen Flüstern.
„Wer bist du?", korrigierte ich meine Frage, die der Pilz wohl absichtlich missverstanden hatte.
„Ich? Ich bin niemand besonderes. Mein Name ist sozusagen irrelevant, schließlich bin ich verbannt, alle Kraft nahmst du mir in nur einem, lass es mich Augenblick nennen."
Der Pilz schwieg für einen Moment seine Stimme wurde so leise, dass ich kaum verstand: „Meine Geschichte hingegen wird überleben und so werde ich immer einen letzten Fuß in dieser Welt haben. Die Geschichte Pàcelias", nun brach die Stimme endgültig und alles Menschliche verschwand aus ihr: „Die Geschichte der Göttin der Ruhe wird niemals vergehen", hauchte die Stimme ihre letzten Worte aus.
Wie vom Blitz getroffen starrte ich den Pilz an, der langsam verschrumpelte und im Licht der Sonne verbrannte und dachte über die Worte der Göttin nach, während ich schweigend mein Mahl fortsetzte und mir wieder die eine Frage stellte: Wer bin ich?
Besonders die Sache mit den Namen, fand ich verwirrend, da ich mich an absolut nichts, meiner früheren Vergangenheit erinnern konnte und mich der Tag als Tiën und die Ruhe nun als Jarome betitelte.
Und beides hatten sie mit einer Verständlichkeit gesagt, als kannten sie mich seit meiner Geburt, eine obszöne Vorstellung.
So beendete ich mein Mahl, und machte mich zum Aufbruch bereit, was einen einzelnen Handgriff beinhielt; ich hatte durchaus viel Gepäck.
Der Tag verzog und eine Nacht brach an, die ich in Abwesenheit des heiligen Gottes gar als prächtig bezeichnete (in seiner Anwesenheit wäre es wohl eher ein wenig aussagendes semi-nervenaufreibend gewesen). Zunächst lag dies daran, dass der Hunger mich von seinem schmerzvollen Tanz verschonte und der Durst ohne seinen guten Freund schon vorzeitig seine Zeremonie abbrach, doch was mein kleines Herz am meisten freute, war das Fehlen der drei Schatten samt ihrer düster zischelnden Armee. Auch vor Raben und den mannigfaltigen Ausgeburten der Nacht blieb ich verschont und ein kleines Stimmchen flüsterte mir von dem Zusammenhang mit Pàcelias vergangener Stimme.
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Eine Prise Schicksal
FantasíaFünf Menschen erwachen, ihrer Erinnerungen bestohlen, in fremden Land. Die Zeit der Ruhe ist vorbei, soviel steht fest, doch wer ist Verbündeter und wer Feind? Und was ist vor der Ruhe mit ihrer Welt geschehen? Eine Geschichte um Erinnerungen, Götte...