Kapitel 22 - Der Tod

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Slòtgar' – Jahr 30 nach der Ruhe

„Wir beide wissen, in welchen Teil dieses Dorfes wir wollen?"

„Wir beide wissen, in welchen Teil dieses Dorfes wir wollen."

Die beiden liefen einvernehmlich nebeneinander her: Es war eine sternenklare Nacht und mit dem Schwinden der Sonne war das Schwinden der Beklemmung, der Atemprobleme und gelegentlichen der Hitzeerscheinungen einhergegangen. Der Mond lächelte Awe und Twinkle zu und führte sie mit seinen Strahlen zu der Sektion der Nachtanhänger, die der Herzog erwähnt hatte. Obwohl das Dorf, denn das war es mehr als eine Stadt, nur von geringer Größe war, weilte der Weg eine Ewigkeit. Die einzelnen Gässchen waren verwinkelter, als ein Bienenstock, aber nicht so übersichtlich. Ein wahres Gespräch wollte nicht aufkommen, wussten die beiden doch, dass sie Aérion, oder mehr noch Saîu, ebenso wenig trauten, wie der andere.

An einer Gassenecke stand ein schwarzer Schemen in weiter Kutte und mit einer Kapuze tief im Gesicht, den die Schatten umspielten, wie junge Katzenbabys. Awe verdeutlichte Twinkle langsamer zu laufen und eröffnete das Wortgefecht: „Wer drückt sich da in den Schatten?"

Ein zahnloses Grinsen kam zum Vorschein, als ein dürrer Mann ungewissen Alters die Kopfbedeckung zurückzog: „Euer Untergang."

„Unser Untergang ist das Licht", erwiderte Twinkle, um ihre Ansichten offenzulegen.

„Euer Untergang ist die Gutgläubigkeit, solltet ihr euch freiwillig in unser Dorf begeben haben."

„Und deiner ist die Großmäuligkeit", beurteilte Awe: „Wir verlangen jemanden angemessenen Ranges zu Gesicht zu bekommen."

Der Schemen fluchte derb und fügte dann hinzu: „Dann könnt ihr hier auf den Tod warten."

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verflüchtigte er sich in der tiefen Schwärze und ließ die beiden Gefährten allein zurück.

„Was schlägst du vor?", erkundigte sich Awe.

„Lass uns auf den Tod warten."

*****

Stone und Ember saßen auf ihren Betten in dem kleinen Klotz, in dem man sie langer Hand untergebracht hatte. Sie hielten Schüsseln, die mit einem matschigen Brei gefüllt war, der aus Càreb-Schoten bestand, wie man ihnen gesagt hatte, und war kein besonders kulinarisches Erlebnis. Nichtsdestotrotz schlangen die Geschwister alles in sich hinein, was die kleine Portion hermacht. Als Getränk stand ihnen ein Glas ungekühlten Wassers zur Verfügung, das nicht wirklich vertrauenserweckend aussah. Der Durst jedoch, macht auch das wieder wett.

Ihre Behausung bestand lediglich aus einem Raum, in dem ein Stuhl und zwei Betten standen und einem schmalen und sehr engen Bad. Man hatte ihnen versichert, dass zwei Betten schon ein Luxus wären, doch zu ihrer Zeit in der Wildnis konnte alles nur noch eine Verbesserung darstellen, weshalb keiner der beiden auch nur an eine Beschwerde dachte. Dazu kam noch, dass sich Ember hatte waschen können: ihre Haare strahlten im Schein der Kerzen geradezu leuchtend rot. Stone hatte nach einigem Umfragen einen ehemaligen Barbier ausfindig machen können, um sich seine Haare nachtrimmen zu lassen.

Ember ließ sich in ihr Bett fallen, dass sicherlich nicht so weich war, wie es sich für sie nach den Nächten auf dem Boden anfühlte. Unsere Ansprüche sind gesunken, schmunzelte sie und der Moment wäre perfekt gewesen –sie hatten nicht nur Menschen gefunden, sondern gleich ein Dorf, kriminelle Einwohner hin oder her- wäre da nicht die Kluft gewesen, die sie zwischen sich und ihrem Bruder spürte. Sie fragte sich, ob es nur sie war, die dieses Gefühl hatte, doch was sie sicher wusste, war, dass etwas mit Stone nicht stimmte. Seine Haut war noch immer eisig, das hatte sie bei einer zufälligen Berührung erspüren können und das Geheimnis, dass die Nacht vor ihr verbarg, ließ sich nicht ohne die Hilfe ihres Bruders lösen. Was hast du nur in dieser Nacht getan? schrie sie innerlich. Und Stone beugte sich zu ihr hinüber und drückte ihre Hand, als spürte er ihre Verzweiflung, als sähe auch er den Abhang, der sie trennte.

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