Anzeichen der Einsamkeit -2-

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Jahr 1 nach der Ruhe - Ein Rückblick

Tagebuch

Im Nachhinein, jetzt, wo ich darüber schreibe, merke ich, wie vieles mir nicht auffiel. Nur eins merkte ich unmittelbar nachdem ich erwachte; ich war allein.

Zunächst kam ich gut damit klar, denn Mitmenschen bedeuteten nicht nur die Chance darauf, eine Gemeinschaft zu gründen, viel mehr, so schien es, waren Andere eine Quelle von Gefahr, Hass und Zwietracht. (Hey, ich war schon vor 30 Jahren so ein Pessimist. Sieh mal an!) Es wäre nicht leicht gewesen, in einer Welt, die für Dekaden in Chaos gelegen hatte, eine Gesellschaft auf zu bauen. Die ganze Situation wäre in Anarchie ausgeartet. Die Starken hätten die Schwachen abgeschlachtet und es hätten sich Gruppen gebildet, denen es nach nichts als Prügeleien und Machtdemonstrationen trachtete und für mich wäre es eine Flucht aus Tyrannei und Unterwerfung in eine Welt des Krieges in den eigenen Reihen geworden, so dachte ich.

(Und an alle Zweifler, die behaupten, das allein sein hätte mich zu dem gemacht, was ich nun bin, sagt mein Tagebuch von damals nicht etwas völlig anderes aus?)

In den folgenden Wochen sollte ich eines anderen belehrt werden (und das solltet ihr auch, ihr Zweifler und Nörgler). Das erste Anzeichen der Einsamkeit trat bereits am zweiten Tag auf. Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren und sobald ich es versuchte, dachte ich über alles Mögliche nach, nicht aber über das, was ich anfänglich gewollt hatte. Das brachte mich auch dazu, meine Gedanken in das Notizbuch zu bannen, das nun vor mir liegt (und im Übrigen mein Denken schon zu Beginn meiner Einsamkeit als pessimistisch und ein wenig zynisch herausstellt). Ich hatte damals nicht wirklich erwartet, dass mir das wirklich helfen würde, die „abschweifenden Gedanken" zu lindern (da habe wir es ja!), oder gar zu annullieren und jetzt, bezweifle ich, ob es sie nicht vielleicht sogar verschlimmert hatten. So viel zu ersten Anzeichen.

Das zweite war eine Art erhöhte Stufe, der „abschweifenden Gedanken". Es ließ mich anfangen, mir Situationen aus zu malen, die niemals eintreffen würden (und zu meinem Pech, habe ich all meine Gedankengänge notiert). So saß ich Stunden (oder waren es Tage?) an der Einrichtung einer Villa, was absurd ist, wenn man mal darüber nachdenkt. Ich war allein in einem kargen Niemandsland und hatte weder die nötigen Materiale, noch das Wissen, um so ein Wunder Wirklichkeit werden zu lassen.

Auch das dritte Anzeichen der Einsamkeit verfehlte seine Wirkung nicht. Irgendwann (vielleicht war es der 5. Tag vielleicht das 2. Jahr) betrachtete ich eines meiner „Meisterwerke" und musste gemerkt haben, dass etwas mit mir nicht stimmte. Nachdem mir das klar wurde kam in mir eine neue Stimmung auf. Ich fühlte mich schrecklich einsam. Mit der Zeit wurde es immer schlimmer und als dieser Schmerz unerträglich zu werden schien, fing ich an Gespräche mit Gegenständen zu führen (was heut zu Tage auf der Skala der Merkwürdigkeit genau nach dem Führen eines Tagebuchs kommt. Ich kann euch nun sagen, dass sich beides viel merkwürdiger klingt als es ist und das vor allem, wenn man in der totalen Fremde ist. Und das als einziger.). Einzig, dass die Gespräche das vierte Anzeichen hervorriefen, war noch von Bedeutung.


Jahr 29 nach der Ruhe

„Hallo?", rief eine angstvolle Stimme: „Kann mich jemand hören?"

Nichts regte sich.

„Irgendwer?", versuchte es Twinkle noch ein letztes Mal, doch es nutzte nichts. Weit und breit war niemand zu sehen. Keine Menschenseele. Lediglich ein Uhu saß auf einem verkohlten Baumstumpf und stimmte ein trauriges Lied an. Ergriffen lauschte der junge Mann dem Tier und es schaute ihn mit seinen großen Augen an, was eine sehr beruhigende Wirkung auf ihn hatte. Er vergaß die zerstörte Landschaft um ihn herum, vergaß all seine Ängste und starrte einfach nur noch in dieses unendliche Augenpaar. Twinkle hatte sich vollkommen verloren, weshalb er nicht merkte, wie sein Körper taub wurde und daraufhin einschlief, wie sein Gehirn lahmgelegt wurde, oder wie der Wagen angefahren kam, der ihn abholte. So hörte er auch nicht das raue Lachen des Fahrers, einem unrasierten Mann, der einen Hut tief im Gesicht trug und einen leichten Geruch von Marshmallows verströmte. Auch den beißenden Geruch von Asche und Rauch konnte er nicht mehr war nehmen. Alles was er sah, waren diese verzaubernden Augen. Und dann, dann wurde ihm schwarz vor Augen.

Eine Prise SchicksalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt