Verblassende Realität -17-

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Jahr 1 nach der Ruhe - ein Rückblick

Was ich zu dieser Zeit schwer möglich kennen, geschweige denn verstehen konnte, waren Funktions- und Bauweise eines Fernsprechapparates, gemeinhin bekannt, als „Telefon". In meiner damaligen unausgeprägten und zugegebener Maßen lückenhaften Weisheit ist mein wagemutiger Schluss, die Stimme gehöre einer Person, eingeschlossen in dem Apparat, nachvollziehbar, wenn nicht sogar verständlich. Abgesehen von der Fähigkeit der kleinen Maschine, stellte sich mir allerdings auch die Frage nach der Identität des Sprechers. Dass eine konnte ich lösen, das andere bereitet mir noch immer Hirnzerreißen (im Gegensatz zu Kopfzerbrechen); eines ist dennoch sicher, und da bin ich mit Lùmon' einer Meinung, nämlich, dass dieser Unbekannte in Anbetracht der potenziellen Bedrohung, die er ausmacht, geradezu eine Küche an Gefahrenherden in sich vereint. Nicht nur, dass er mich -und damit mein Land und meine Untertanen- verabscheut, viel mehr stellt er eine Gefahr für jegliche Anhänger des Willensstarken, gepriesen sei der Tag, dar. Ferner gibt es, wie es an meine Horcher drang, Gerüchte und Munkeleien in den Kreisen meiner Vertrauten, der Mann sei das personifizierte Böse. Ich denke eher, dass er in starker Verbindung zu den Getreuen der Nacht oder sogar zu Noctîa selbst steht; was dem personifizierten Bösen tatsächlich ziemlich nahe kommt. Wie dem auch sei, möglich ist alles: vielleicht ist er ein Mensch, vielleicht ist er ein Gott, vielleicht ist er der Stadt und dem Glauben positiv, vielleicht negativ gestimmt, doch vielleicht ist er irgendein anderes Wesen oder sogar ein Tier, das uns in keiner der Weisen gegenübersteht, Lùmon's Macht mache es möglich und verhindere das Schlimmste!

Alles, was in meiner Macht steht, habe ich bereits getan: der Schild steht über der Stadtmitte und wird sich in den nächsten zwei Jahren über alles Land erstrecken, auf dem meine Fahne weht. Die Vorbereitung für die Bildung der eigenen königlich-kirchlichen Armee ist im vollen Gange, es wird fleißig rekrutiert und des Weiteren habe ich vor kurzem meine Entscheidung für die Platzierung eines Generals getroffen, der das Geschick des Kleinheeres leiten soll, bei dem ich an nicht mehr als ein Gros Soldaten denke (wenn alles bleibt, wie es ist, wollen wir uns schließlich nicht auf einen Krieg vorbereiten). Außerdem, um die Absicherung perfekt zu machen arbeitet einer meiner Besten an der Erbauung eines Dorfes für die Gesetzesbrecher und Unruhestifter, derer es viele gibt und deren Vergehen selten schwerwiegend genug sind, um sie hängen zu lassen, oder sie für ihr den Rest ihres bedauerlichen Lebens in ein dreckiges Loch unter der Erde zu sperren. Der Großteil des Rates, schreibt mir zu, kein Vergehen schwerwiegend genug zu finden, um den Tod zu rechtfertigen –vielleicht liegt es daran, dass ich ihn unter diesen Umständen selbst verdiente- und ein ausgleichender Kompromiss war jenes Dorf des „Gesindel und Abschaums", wie sie es sehen, errichten zu lassen.

Und vielleicht nehmen mich meine eigenen Verfehlungen zuweilen tatsächlich sehr mit, leiten mich zu Fehlschlüssen und ungerechtfertigten Ansichten, doch die Zimperlichkeit, die ich im Umgang mit Verbrechern an den Tag lege, kommt weder aus dieser Richtung, noch von der Flucht vor Verantwortung, oder aus Furcht eines unansehnlichen Nimbus. Ich sehe diesen Makel in meiner Führung eher als letzten Rest Menschlichkeit, der mein Wesen ausmacht und den man allzu schnell los wird, selbst ohne das Leid hunderter von Individuen auf den Schultern lasten zu haben.

Auf friedvolle Zeiten des Wohlstandes und des Fortschrittes: auf Lùmon'!

gez.: der Herrscher Tiënje'ts

Jahr 30 nach der Ruhe

Mit traurigen Augen, Fingern und Ohren starrte Stone seinen ehemaligen Freunden hinterher.

„Sie haben sich von mir abgewandt; sie alle. Und dabei war ich doch früher immer der Meister im Abwenden."

„Ja, daran warst du wirklich grandios."

Eine Prise SchicksalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt