Jahr 30 nach der Ruhe
Mit einem Blick einigten sie sich darauf, alles Weitere auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.
Twinkles Augen waren vor Schrecken geweitet und nur der kleine Schatten, der sich noch immer in seinem Ärmel versteckte, spendete ihm Zuversicht. Was für ein Untier konnte solch brachiale Gewalt aufbringen?
Die Bäume hörten auf zu splittern, als die leuchtenden Farbkleckse aus dem Wald brachen und Twinkle konnte einen schnellen Blick auf mattschwarzes Fell erhaschen. Ihm fröstelte; Awe stand mit passiver Miene da, schien die Gefühle in seinem Inneren zu verbergen.
Das Kraxeln jedoch, das von ihrem Berghang bis zu dem Plateau tönte, zauberte einen entschlossenen Ausdruck auf sein Antlitz und auch Twinkle bemühte sich darum, sich zu konzentrieren – und den kalten Schweiß zu verwünschen, der ihm quälend langsam, Tropfen um Tropfen, den Rücken hinabtropfte.
Reflexartig sammelte er Schatten um sich, als die violetten Bälle scheinbar fliegend vor ihnen stoppten. Schlagartig verstummte die Welt um die Beiden herum. Der Mond verstärkte noch die gespenstige Stimmung, die sich über Twinkle und Awe ausbreitete; das bleiche Licht lag auf den Kreaturen, die mit ihren violetten kreisförmigen Augen auf sie hinab blickten.
Es waren vier, ihre Körper bedeckte schwarzes Fell unter denen man helllilafarbene Haut vermuten konnte. Dürre Arme sprossen aus muskelbepackten Torsos und mündeten in langen feingliedrigen Fingern. Hände fehlten vollends und die Beine waren ähnlich ausgeprägt, wie ihre Arme, von dem jedes Exemplar gleich drei Hatte. Hälse hatten sie nicht, dafür musste sich jemand bei ihren Häuptern ganz seinen irren Trieben hingegeben haben.
Von schmalen aufgerissenen Lippen tropfte glänzender Schleim, der ihnen die Mundwinkel hinablief und die Haut wegzuätzen schien, diese war bereits leicht durchsichtig und versprach so den Anblick mehrerer Reihen von scharfen dolchähnlichen Hauern. Anstatt einer Nase reckten sich Schnäbel aus ihren zertrümmerten Visagen hervor, mit denen sie verheißungsvoll klapperten und auf jeder fransigen Stirn prangte ein leuchtendes lidloses Auge.
Twinkle war kurz davor, sich zu übergeben, als er den Geruch bemerkte, den sie verströmten. Allein davon tränten seine Augen und kratzte sein Hals.
Einen Moment lang standen sie da, doppelt so hoch, wie ein Mensch, und klapperten mit den Schnäbeln. Wo das schleimige Sekret den Stein berührte, zischte es und brannten sich Löcher in das feste Material.
Geistesgegenwärtig hob Twinkle die Hand, um die sich Schatten bewegten und richtete sie auf eines der Bestien, so wie er es Awe hatte machen sehen, als ihn die unsichtbaren kalten Hände gewürgt hatten. Fragen standen Schlange vor seiner Tür, doch er musste sie auf später verlegen, falls es ein „später" geben sollte.
Wie geplant, schoss die Schwärze auf die Ungeheuer zu, doch anstatt irgendeinen Nutzen zu erzielen, wurden sie von den Wesen absorbiert, worauf ihre Leiber zu pulsieren begannen. Kindliche Freude glitzerte in ihren einzelnen riesigen Augen und sie gaben gutturale Laute von sich.
Awe warf ihm einen forschen Blick zu, Twinkle fing und warf ihm, mit gehobener Braue, einen eigenen Blick zurück.
*****
Seltsame Geräusche weckten Stone aus seinem sonst so soliden Schlaf. Zögernd drehte er sich auf die andere Seite, in dem Versuch, wieder einzuschlafen. Probleme mit dem Stein, auf dem sie, durch Laub und weichere Äste fast ungeschützt, schliefen, hatte er nicht, ganz im Gegenteil, er fand das alles sehr vorzeitlich. Im guten Sinne von „vorzeitlich", sofern es einen guten Sinne hatte, aber nichtsdestotrotz war dieses ganze selbst gefangenes Fleisch essen, Regenwasser trinken und auf dem Boden schlafen sehr in seinem Sinne. Zumal es in nächster Umgebung auch keine größeren Bäume gab, dies hätte nämlich die ganze „vorzeitliche" Atmosphäre zu Nichte gemacht, fand er.
DU LIEST GERADE
Eine Prise Schicksal
FantasyFünf Menschen erwachen, ihrer Erinnerungen bestohlen, in fremden Land. Die Zeit der Ruhe ist vorbei, soviel steht fest, doch wer ist Verbündeter und wer Feind? Und was ist vor der Ruhe mit ihrer Welt geschehen? Eine Geschichte um Erinnerungen, Götte...