Schwindendes Nass -18-

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Jahr 30 nach der Ruhe

„Siehst du diesen Raben?"

„Er folgt uns bereits seit zwei Tagen."

„Ein Hoch auf deine Aufmerksamkeit", lobte Awe ironisch und bekam von Twinkle ein spitzes: „Wie nett", zurück.

Der wendige Vogel, dessen Federkleid das Licht des unwirtlichen Gestirns zu absorbieren schien, schoss leise krähend über ihnen hinweg und ließ sich etwas weiter vorn in einem Baum nieder. Noch immer war kein Ausweg aus dem Tal zwischen den Sandsteingebirgen in Sicht und daran änderte auch nicht, dass ein Stone sie begleitete, der voll selbstloser optimistischer Hoffnung war und hinter jeder kleinen Windung das Ende ihrer Odyssee vermutete. Auch Wasser hatte die Gruppe, trotz der Versprechungen auf das Geschick des ehemaligen Generals, nicht ausgraben können; Wasser, das sie nach dem Verschwinden Mills mitsamt der Hälfte ihres kläglichen Vorrats umso dringlicher benötigten.

Twinkle runzelte die Stirn und lüftete seine einst so prachtvolle Tunika, die sein verdrecktes weißes Hemd an den verschwitzten Körper drückte. Die Haare hätten ihm durchtränkt in der Stirn gehangen, verdunstete nicht jeder Tropfen Flüssigkeit in wenigen Momenten, stattdessen waren die Strähnen trocken und porös; von dem einstigen dunklen Braun war nicht mehr viel geblieben und mit der Mixtur aus Staub und Sand dazu wirkte er, wie ein frühzeitig ergrauter Vagabund –der er nun einmal tatsächlich war. Nicht, dass es um die anderen besser stünde: Stones Haarstoppeln waren nicht mehr als diese zu erkennen und wucherten als kurze blonde Strähnen aus seinem Schädel, während seine buschigen Brauen ein Eigenleben entwickelten und sich langsam selbständig machten; Ember sah mit ihrem splissigen orangenem Haar, in dem sich Tonnen von Staub und Sand eingenistet hatten, aus, wie eine Irre. Zumal sie es irgendwann aufgegeben hatte, ihre Mähne zu bändigen und die von Fremdkörpern belasteten Haare ihr nun offen auf den Schultern lagen.

„Ist es gestern auch schon so heiß gewesen?", wollte Twinkle von seinem Vertrauten wissen, der als einziger jeglichem Zeichen der Wildnis erhaben war. Anders, als der Hitze, denn sein schwarzes Hemd, das bereits den ein oder anderen weißen Schweißfleck aufwies, hatte er weit möglichst aufgeknöpft und die Ärmel bis zu den Armbeugen hochgekrempelt.

„Es wird jeden Tag wärmer", gab Awe seine Meinung kund.

„Und? Was ist deine Erklärung dafür?"

„Wir nähern uns", deutete der Anhänger der Nacht geheimnisvoll an.

Twinkle lupfte seine spöttische Augenbraue –seine Linke-, schließlich wusste er genau, wie das Schattenauge zu hoffnungsvollen Äußerungen stand.

„Das soll bedeuten, dass wir dort, wo unser Ziel liegt, nicht gern gesehen werden. Die Temperatur wird für uns sicherlich noch weiter ansteigen, bis unser Blut kochend im lehmigen Boden aufgesogen wird", konkretisierte Awe schwarzseherisch.

Twinkle zuckte mit keiner Wimper, was sein Gegenüber ein wenig verwunderte.

Awe legte dem Kleineren eine Hand auf die Schulter, um ihn zum Stehenbleiben zu animieren. Anfänglich war Twinkle für ihn nur ein Mittel zum Zweck gewesen, er hatte seine Hilfe nutzen wollen, um mehr über den Verbleib seines Bruders, Jealous, zu erfahren –was ihm bisher noch nicht gelungen war-, doch aus ihrem Verhältnis war mehr geworden. Twinkle war kein Ding mehr, das er zur Erfüllung seiner Ziele nutzen wollte und auch kein Schüler, den er lehren und nach seinen Wünschen formen wollte; der am Anfang so naive unbedachte junge Mann war zu einem Vertrauten geworden, einem Bruder.

Klingt nach einem lausigen Scherz, des Lebens. Auf der Suche nach seinem Bruder, hatte er einen neuen gefunden.

Twinkle blieb weder stehen, noch drehte er sich zu ihm „Mach dir keine Sorgen um mich; das Leben bietet Wichtigeres zur Sorge" ,meinte er ohne den Humor, den er sich in die Stimme legte, um Stone und Ember sein altes Ich vorzuspielen: „Und wenn ich bei den Bildern, die deine Worte heraufbeschwören, nicht blinzele, dann liegt das daran, dass ich jeden Tag schlimmeres erblicken muss und an der Vorstellung, der Vergehen, die die Heiden uns antäten, schenkten wir ihnen auch nur einen Moment der Unachtsamkeit."

Eine Prise SchicksalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt