Tiënje't – Jahr 30 nach der Ruhe
Mill fluchte gedämpft; die verspätete Reaktion auf das Fehlen der Schatulle, auf das er schon während der Erzählung des mysteriösen Königs aufmerksam geworden war. Splitternd zerschellte eine liebliche Porzellanschale auf dem Boden, deren Fall weitere Gegenstände folgten, die Mill mit seinem Arm vom Tisch fegte. Kurz darauf ließ er sich auf das gemachte Bett in dem Zimmer fallen und strich die ungepflegten Haare zurück, um die er sich noch nicht hatte kümmern können. Wie konnte ihn diese Kleinigkeit nur so aus der Fassung bringen? Der mickrige Gegenstand hatte kaum Bedeutung für ihn gehabt und musste zweifelsohne bei seinem Schwächeanfall aus den Fingern geglitten sein.
Er stand doch unter dem Einfluss von bewusstseinserweiternden Mitteln. Wie sonst sollte er sich dieses Aufwallen von Gefühlen erklären?
„Die Schatulle hat keine Bedeutung für mich, die Schatulle hat keine Bedeutung für mich, die Schatulle hat keine Bedeutung f-", wiederholte Mill flüsternd, als es ihm wie Augen von den Schuppen fiel. Natürlich! Mit einem Mal war die Vision, die er erlebt hatte wieder so real wie sie in diesem Moment gewesen war. Sein Vater! Sein Vater hatte ihm die Schatulle zum Abschiedsgeschenk gemacht.
Flink huschte er an eines der Fenster und zog die hölzernen Schiebetüren zurück, als könnte er seinen Vater von dem Fenster des Palastes aus sehen. Er sah ihn nicht. Vor ihm lag eine prachtvolle, gepflegte und doch leere Gartenanlage und dahinter ein robustes Tor, das den Weg in die Stadt versperrte. Für all die Kleinigkeiten jedoch hatte Mill keinen Blick übrig, weder für die Anmut der zahlreichen verschiedenen Blümchen, die ihre Häupter erhaben gen Himmel reckten, noch für die weißen Bänkchen, die von lieblichen Büschen umspielt wurden. Eilig rannte zur Tür seines Gemaches hinaus und prallte dabei beinahe mit einem Uniformierten zusammen, der mitten im Gang stand.
„Ein wenig mehr Aufmerksamkeit möchte ich mir erbitten", herrschte Mill ihn flüchtig an und lief auch schon auf der Suche nach jemandem, der ihn zu seinem Vater bringen konnte weiter. Keine zwei Schritte kam er, bevor sich ein stählerner Griff um seinen linken Arm schloss und ihn verdrehte.
„Im Namen des Königs", presste Mill, zu Boden gehend, durch die Zähne.
„Dies ist der Befehl seiner Majestät." Die Stimme des Uniformierten war ein Brot mit verschwenderisch aufgetragenem Stolz und einem ordentlichen Stück Arroganz. Mit einer ruckartigen Bewegung zwang er Mill zum Aufstehen und führten ihn zurück in sein Gemach, schloss die Tür und stellte sich an seinen angestammten Platz, in der Mitte des Ganges, auf.
Vor Mills Augen drehte sich alles – noch immer spürte er den festen Griff seines Wärters – er hatte von vorneherein wenig auf das „Vertrauen" des Königs gemacht und geahnt, dass seine Geschichte kaum vollständig und dazu auch noch wahr sein konnte.
Wie viel Tiën ihm jedoch tatsächlich vorenthalten hatte, konnte bei allem Argwohn, bei aller Vorsicht, nicht ermessen.
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Jahr 1 nach der Ruhe
Nachdem die Vision über mich hereingebrochen war, hatte ich die restliche Nacht über gegrübelt und furchtbar lang war mir die Zeit vorgekommen, in der ich mich mit meinen Plänen der Zukunft beschäftigt hatte. Auf eines war ich schnell gekommen: Sollte es eine Zukunft geben, so musste ich mich von den Fesseln meiner alten Freunde befreien - auf die eine oder die andere Weise. Mit diesem Eingeständnis war alles andere gleich geworden. Nur raus! Nur fort! Dies war alles, das zählte, dies war von äußerster Dringlichkeit.
Unbemerkt blickte ich Laurent an, blickte ich Fog an. Nur er konnte es sein, der mich in der Zukunft verraten würde, der mein Geheimnis an die Öffentlichkeit tragen würde. Ich wusste, dass er es war. Mit unscheinbaren Bewegungen schob ich mich auf den reglosen Körper zu. Und auch wenn Laurent zu schlafen schien, tat ich alles, um keinen einzigen Mucks von mir zu geben. Mein Ziel war es an Alains Bajonett zu gelangen und meinen Fesseln zu entkommen. Danach- danach ließ ich danach sein.
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Eine Prise Schicksal
FantasyFünf Menschen erwachen, ihrer Erinnerungen bestohlen, in fremden Land. Die Zeit der Ruhe ist vorbei, soviel steht fest, doch wer ist Verbündeter und wer Feind? Und was ist vor der Ruhe mit ihrer Welt geschehen? Eine Geschichte um Erinnerungen, Götte...