1× October: I'm comin' home again

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Teil 1

Am Hals blutend packte ich wie in Trance meinen Koffer

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Am Hals blutend packte ich wie in Trance meinen Koffer. Realitätsfern steuerte ich jede Ecke meiner kleinen Wohnung an und sammelte unbewusst die kostbarsten Dinge ein. Immer wieder kamen die Erinnerung hervor, die ich versuchte mit aller Gewalt zu unterdrücken. Ein verzweifelter Mann blutüberströmt am Abend in mitten eines Waldes. Ein verstörter Blick, der mir mehr verriet als das unkontrollierte Zittern seines Körpers. Ein versuchter Hilferuf, den ich nachgehen wollte ehe er in der Dämmerung verschwand. Skeptisch und dennoch neugierig rannte ich der Spur hinterher, die viel zu schnell für einen Menschen sein musste.

Schüttelnd ließ ich die Erinnerungen aus meiner Gegenwart verdrängen, ehe sie mich noch mehr in Angst und Schrecken setzten. Hatte mich nicht der Mieter auf solche Vorkommnisse hingewiesen? Irgendwo in meinem Kopf wusste ich diese Antwort bereits, allerdings wollte es in diesem Moment nicht auftauchen. Daher versuchte ich weiterhin mich mit Packen abzulenken. An Schlafen dachte ich nicht und versuchte auch schon am Flughafen an Tickets zu kommen. Glücklicherweise schienen die Nachtflugbeliebtheit stark zurückgegangen. Bei diesem Vorfall wunderte es mich nicht im Geringsten. Ohne wieder daran zu denken, schloss ich meinen Koffer und legte den Schlüssel auf die Kommode ab.

Unwillkürlich hüpfte ich unter die Dusche und brachte mich wieder auf Vordermann. Auch wenn ich in Schockzustand handelte, achtete ich genauso auf mein Aussehen wie normal. Ich reinigte mich mehrmals von dem Schlamm und dem Dreck auf meiner Körper. Rasch trocknete ich mich ab und verarztete die Wunde. Ich zog die gemütlichsten Klamotten an, ehe ich das Taxi bereits vor der Tür stehen sah. Die blutige Kleidung stopfte ich in ein Müllsack und versuchte diese zwischen hier und meiner Heimat verschwinden zu lassen. Aus diesem Grund stopfte ich auch diesen Sack noch in meinen Koffer.

Bei meinem Mieter hinterließ ich die Kündigung und den Bescheid, dass ich den Schlüssel auf der Kommode liegen ließ. Durch die Aufbewahrung des Ersatzschlüssels kam er zur Überprüfung der Gerätschaften auch hinein, während ich mich auf der Arbeit befand. Glücklicherweise war der ältere Mann sehr positiv gestimmt und klopfte bei jeden Besuch - auch wenn ich nicht vor Ort sein würde, verriet er mir bei einem seiner Grillfestlichkeiten.

Mit meinem Handgepäck und den zwei Koffer in der Hand schlug ich den Weg in Richtung Taxi ein. Zufrieden, dass die Fahrerin mich half, setzte ich mich in den rostigen Alfa Romeo Giulia 1300 TI, vermutlich aus der Baureihe des Siebziger Jahre. Schnell fuhr das Auto nicht, aber handelte wie ein frisch Gebautes. An manchen Stellen tuckerte, pufferte oder holperte es. Nach zwei Stunden kamen wir am Flughafen an. Beim Ausstieg wusste ich, dass ich nun wohl auf eine ruhigere Weiterreise hoffen konnte. Das Einchecken verlief recht zügig, so dass ich auf meinem Platz am Fenster zufrieden einsinken konnte. Zum Glück trug ich einen Schal um das Pflaster zu verdecken, so musste ich mit keinen der neugierigen Blicke bestraft werden.

Ich nahm mein Handy zu mir und wählte eine mir bekannte Nummer. Viel über die Zeitverschiebung dachte ich wohl nicht nach, dennoch hoffte ich einfach, dass jemand abnahm. Ich versuchte auch zu hoffen, dass kein weibliche Stimme abnahm, die mir verriet, dass er mich all die Zeit vergessen hatte. Er hatte vermutlich damit zu kämpfen. Schließlich wollten meine Eltern in die Ferne reisen um sich neu zu finden. Am Ende wusste nur ich was dabei herauskam.

„Guten Abend."

Meine Lippen öffneten sich zum sprechen. Doch blieben meine Stimmbänder unbeweglich. Die Schwingungen zur Sprache fiel weg und ich traute meinen Ohren nicht. Seine Stimme nach zwei Jahren wieder zu hören, war das Wunderbarste in dieser schockierenden Zeit.

„Wer ist auf der anderen Seite?"

Seine Stimme klang noch immer sehr geduldig.

„Entschuldigen Sie, Miss, wir werden demnächst den Flug starten. Ich würde Sie bitten, das Telefonat schnell möglichst zu beenden." ertönte eine freundliche Stimme mit italienischem Akzent aus dem Mittelgang zu mir.

Ich nickte und hörte ein leises Aufseufzen auf der anderen Seite.

„Veira? Bitte, sag doch was? Ich kenne sonst niemand, der mich nachmittags anruft und vermutlich in Europa in einem Flieger sitzt. Veira?"

Ich öffnete erneut meine Lippen. Mit dem allerersten Seufzer kamen die Worte wie aus einer Quelle gesprossen.

„Port Angeles Airport - Siebzehn Uhr."
„Ich werde da sein."
„Es tut mir leid, ich muss jetzt auflegen. Bis dann."
„Veira."

Ich musste wohl eingeschlafen sein, denn als ich aufwachte, schien der Pilot uns zu berichten, dass wir eine Zwischenlandung in Phoenix mit Sonderrechten ausgestattet wurden. Daher würde die Ankunftszeit zwei Stunden nach hinten verschoben werden. Die Anschlussflieger werden durch Ersatzflieger ausgestattet. Während des Aufenthaltes im sonnigen Phoenix genoss ich die wohltuende Wärme. Sie war ganz anders als die stechende Sonne an jenem Ort an dem ich vor wenigen Stunden noch lebte. Glücklicherweise hatte ich meinen Jugendfreund schon eine andere Zeit genannt, da auf meinem Ticket zwar Direktflug notierte, allerdings mit einem 'S' versehen war; das hieß wohl so was wie, 'Sonderflug nach Phoenix'.

Ich wäre wohl mein Leben geblieben, wenn die Situation vom Vorabend nicht gewesen wäre. Gedankenverloren blickte ich aus dem Fenster, ehe ich mitbekam, dass ein junge Frau sich neben mir setzte. Ihr Blick schien wenig begeistert zu sein, dass sie diese Reise machen musste. Ich wandte mich wieder von ihr ab und schwelgte weiterhin in meinen Erinnerungen. Warum ich die Stelle in der Privatschule bekam, wusste ich nicht und ehrlich gesagt, gefiel es mir dort um dies auf irgendwelche Weise zu hinterfragen. Wie ich dies finanzierte? Anscheinend hatten meine Eltern das Vermögen, welches sie ansparten für mich aufbewahrt oder ich hatte einen Geldgeber, der sich nicht zu erkennen lassen wollte? Wie gesagt, bis an jenem Tag interessierte mich dies nicht.

„Hallo, wohin fliegen Sie?" hörte ich eine Stimme neben mir an mein Ohr drängen.

Ruckartig schnellte ich aus meiner Gedankenwelt und sah die junge Frau fragend an. Realisierend über ihre Frage, lächelte ich kurz verwirrt auf.

„Port Angeles, und Sie?" murmelte ich ihr entgegen.
„Was für ein Zufall: ich auch."

Sie schien kein typisches Mädchen wie aus meiner Klasse zu sein. Gesprächig und voller Euphorie. Umso mehr wurde ich wegen diesen Hoftratsch öfter zum Schulleiter geschickt. Anscheinend war ich ihnen zu untypisch und zu gesprächslos. Dennoch wurden alle durch die Bank daran erinnert, wer der Boss auf dieser Schule war.

„Sagen Sie mir nicht, dass Sie auch in das verregnete Städtchen Fork müssen?"

Die MarionettenspielerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt