35× May: truth or malice

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Man sagt, die große Liebe erkennt man daran, dass sie in einem Gefühle auslöst, die man selbst vorher nicht kannte und die für niemand zuvor so stark schien. Man sagt, dass Liebe schwächen würde. Warum schwächt sie mich dann nicht, sondern lässt mich immer weiter nach vorne kämpfen? Wieso lässt mich die Liebe nicht Trauern sondern gibt mir immer wieder Antrieb um voranzuschreiten und zu begreifen, dass das Leben nun mal nicht beständig ist?

Übellaunig kam ich in der Hütte an. Mit einem grimmigen Blick voraus, auf dem gestandenen Rücken von Caius, schnaubte ich unwillkürlich und ging meinen Weg. Meine Schuhe schmiss ich in den Eingang hin. Die Jacke hing ich rasch auf, ehe ich durchgeschwitzt in die Dusche verdünnisierte. Nackt wie Gott mich schuf, stand ich in dieser alten heruntergekommenen Almhütte und schloss für einen Moment die Augen. Gedankenleer stellte ich mich in die Dusche und spürte von dem anfänglichen Kühle kaum. Mein Körper schien von der Kälte im Außenbereich mehr Schäden abbekommen zu haben.

Solche Tage ereilte mich immer wieder innerhalb dieser drei Monate, in denen ich mit Caius an diesem Ort verbrachte. Tagsüber Frühstück, Sporteln, Krafttraining, Schnelligkeit, Abendessen und je nach Zielsicherheit bekam ich auch noch ein Joghurt als Nachspeise. Caius wusste wie man jemand quälte. Dennoch schlief ich meist auf der Couch auf seinem Schoss ein und hatte einmal sogar schwankend mitbekommen wie er flüsterte, dass ich aussah wie seine Schwester. Seine Trauer hinter seinem Lächeln blieb mir dadurch nicht verborgen.

Wie jeden Abend stieg ich aus der Dusche und trocknete mich ab. Wie jeden Abend glitt ich meine Hände über meinen athletischen Körper. Wie jeden Abend seufzte ich noch einmal unbewusst ein, ehe ich mich an den Spiegel stand. Wie jeden Abend durchzog ein stechendes Gefühl in meinem Bauch. Wie jeden Abend hielt ich mir diesen. Allerdings hatte ich an jenem Abend die Tür offen stehen gelassen. An jenem Punkt kam Caius vorbei und blieb ruckartig stehen. Kopf in die Seite legend blickte er mich von oben nach unten an. Dieser Prozess wiederholte er dreimal, bevor er zu mir trat. Meinen nackten Körperstellen ignorierte er sichtlich. Seine Augen musterte eine bestimmte Stelle, die mir seit geraumer Zeit schmerzen zufügte.

„Ist alles gut bei dir?" meinte er besorgt.

Ich nickte ihm zu. Abermals schüttelte er den Kopf und griff nach meinen Oberarmen.

„Denk immer daran, was mit Loyalität beginnt, endet in Verrat. Lüg mich also nicht an, Veira Seraphine Campbell. Sag mir sofort, was mit dir los ist?"

Seine Augen leuchteten in einem hellen Rotton. Dieser Blick verriet mir, dass er keine Widerspruch anreizen wollte. Seine Gedanken versuchte ich durch seine Erregung seiner Augenfarben zu erkennen, daher beschloss ich ihn einfach darauf hinzuweisen.

„Ich weiß es nicht, seit Wochen fühle ich mich wenig belastbar, spüre ich den Schmerz durch meinen Bauch rasen, höre ich ein Pochen in meinen Ohren und esse für zwei. Ich konnte es dir nicht sagen, Caius, tut mir leid."

Mit reuevollen Augen sah ich ihn an. Jedoch wich er meinen Blick aus. Nachdem er einen Kalender in seine Hände nahm, sah er mich wieder an.

„Wann hast du zuletzt deine Periode gehabt?" verlangte er zu wissen.
Glaubte er wirklich, dass ich das sein würde? Geniert sah ich auf den Boden und wollte mich dahingehend nicht äußern. Scheinbar merkte er meine verlegene Art und quittierte dies als ein persönliches „Ich bin weit über den Verfallsdatum".
„Wann war deine letzte sinnliche Nacht?"

Abermals sah ich auf den Boden und wich seine Blicke aus. Er kam mir näher, hob energisch meinen Kopf in seine Richtung und sah mich streng an.

„Ich möchte mich nicht wiederholen müssen!"

Seine Stimme drang asketisch in mein Gehirn ein. Hastig flimmerten meine Lider. Meine Hände banden sich an die seine Schultern. Mit Tränen in den Augen, drückte ich mich verdrängend an seine kühle Brust. Caius war ein Mann, der immer ein Anzug an sich trug. Nur den Mantel tauschte er nach Wetter ein. Ich spürte seine Arme um mich herum und ich fühlte mich geborgen.

„Es war mit Paul, nicht wahr?" beruhigte er sich mit dem einzigen Gedanken.

Klar, dass er auf diesen Namen kam, obwohl ich ihn nur einmal äußerte und das nur unfreiwillig. Ich wusste nicht, dass er das Gespräch mit Demetri belauschte. Nur wusste er nicht, warum ich wirklich in Volterra blieb. Nun war wohl dieser Moment gekommen, dass ich ihm die Wahrheit erzählen musste. Rasch zog ich mir gemütliche Kleidung an und äußerte mit gemischten Gefühlen mein verstecktes Geheimnis.

„Caius, ich muss endlich ehrlich sein und dir die Wahrheit über mein Verbleib bei euch berichten."
„Ich bin ganz Ohr."

Ich nahm seine kühle Hand in meine und zog ihn sanft hinter mir her in das Wohnzimmer. Ich setzte mich auf die eine und er auf die andere Seite des Sofas. Ruckartig blickte ich ihn mit gesenkten Hauptes an. Seufzend sprach ich die ersten Wörter aus, die mich dazu verleiteten, dass ich meine Fingernägel durch die schwarze Leggins.

„Caius, ich wollte nie aus Volterra gehen, dass musst du mir glauben."
„Ich würde es so gerne." gab er schmerzvoll zu.

Ich rutschte an den Vampir heran und nahm sein Kopf in meine Hände. Liebevoll setzte ich mich auf sein Schoss und beobachtete seine Miene. Seine roten Augen, die mich nach der Wahrheit durchforsteten. Seine Hände, die leicht bebend und dennoch ruhig auf meine Hüfte platziert waren. Sein Körper, der voller Anspannung inne halten musste, damit er mich nicht attackierte.

„Kannst du dich noch an jenem Morgen erinnern, als du mich in der Straße Cia di Casello ausfindig machen konntest? Damals hast du mir gesagt, dass du deinem Instinkt gefolgt wärst, dass du bei mir sein musst um mich vor dieser Welt zu beschützen und dass du bei mir bleiben würdest?"
„Das war dieser Morgen, als du mir Bestätigung gegeben hast, als du sagtest, das zwischen uns Liebe sei, die immer existieren werde, aber nie funktionieren würde."
„Ich hatte keine Ahnung, dass ich jemals jemand lieben würde mit dem ich mein Leben verbringen wollte. Als ich einst aus Volterra verschwand, suchte ich Zuflucht in meiner Heimat, in den Armen von meiner ersten Liebe, in den behutsamen Augen meiner Freunde. Als ich von eines deines Gleichens gebissen wurde, wusste ich keinen anderen Weg einzuschlagen. Der Mörder meiner Eltern wollte mich sicherlich an jenem Abend um die Ecke bringen. Bitte, verklage mich nicht dafür, aber ich war in Trauer. Als Paul mich vor dem Altar stehen ließ, schlief ich einige Tage später mit dem selben Grund wegen dem ich auch einst freiwillig aus La Push ging."

Die MarionettenspielerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt