15: Eine Warnung

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Jake lehnte sich an die helle Flurwand. Er wirkte fast schon lässig, mit den hängenden Schultern, den verschränkten Armen und dem einen einigknickten Bein, mit dessen Fuß er sicherlich Abdrücke auf der Wand hinter sich hinter ließ. Aber sein Gesichtsausdruck strafte seiner Körperhaltung Lügen: Er hatte die Lippen fest zusammen gekniffen und fixierte mich mit seinen dunklem Augen. Trotzdem versuchte ich ebenso lässig zu wirken- was mir aber ganz und gar nicht gelang. Ich gab es schließlich auf und stellte mich ihm vollkommen neutral gegenüber.

"Also", setzte ich an.

"Was ist los?"

Für ein paar Sekunden schien er nach den richtigen Worten zu suchen.

"Ich hatte gestern Abend eine Art... Offenbarung"

"Ist dir Buddha im Traum erschienen, oder was?"

Er kniff die Augenbrauen zusammen.

"Und wie immer nimmst du meine Probleme kein bisschen ernst. Vielen Dank dafür, Bell. Ich wollte dich eigentlich gerade davor warnen, dass du heute möglicherweise umgebracht werden könntest. Aber jetzt überlege ich es mir noch einmal"

Umgebracht? Die Frage danach, was er damit meinte brannte mir beinahe ein Loch in die Zunge. Aber dieser Morgen hatte mit einem fabelhaften Frühstück begonnen, so fabelhaft, dass mir der Tod weit weg vorkam. Ich konnte mir deshalb einen anderen Kommentar nicht verkneifen.

"Hast du etwas gegen Buddha?"

Jake ließ die Hände sinken.

"Ich werde jetzt gehen. Und dir nichts mehr erzählen. Absolut gar nichts mehr."

Er machte einige Schritte zur Treppe, mich packte ein schlechtes Gewissen und ich lief ihm nach.

"Jake! Jake, es tut mir Leid."

Er blickte sich zu mir um.

"Das sollte es auch. Du weißt ganz genau, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, dass ich dir von meinen Visionen erzähle. Das mindeste, was ich erwarten kann, ist dass du mich ernst nimmst."

"Ich wusste nicht, dass du direkt so beleidigt bist, Prinzess..."

Ich stoppte mich selber, tarnte den Rest des Satzes als ein Husten und setzte neu an.

"War das eben ein Scherz?"

Er grinste leicht.

"Dass ich gehen und dir nichts mehr erzählen werde?"

"Dass ich umgebracht werden könnte"

Das Grinsen verschwand, seine Miene wurde wieder ernst.

"Ich wünschte es wäre so."

Offensichtlich erwartete er, dass ich Fragen stellen würde. Aber ich blickte ihn nur an und wartete auf eine Erklärung darauf dass er jede Frage beantwortet, die mir dazu einfallen konnte.

"Ich habe schon seit einiger Zeit Visionen von Dingen. Wirklich schlimmen Dingen, um genau zu sein"

Verbrennen. Ertrinken. Ersticken.

Ja, ich erinnerte mich an mindestens eine dieser Visionen.

"...und bisher bin ich davon ausgegangen, dass es daran nur und immer um mich gehen würde. Du weißt schon... wegen der Prophezeiung..."

Ich brauchte ein paar Herzsschläge um zu verstehen, was er gerade gesagt hatte.

"Moment... aber ich dachte, dass hätte sich erledigt. Rose hat dir ein Messer in die Brust gerammt. Mehr kann sich das doch kaum erfüllen"

"Glaub mir, wenn die Klinge wirklich mein Herz durchstochen hätte, hätte mich nichts mehr retten können. Auch nicht Nadys Kräfte und Aidens Fähigkeiten zusammen"

Ich schluckte. Aber das bedeutete... dass... nein.

Was auch immer passieren würde, Jake würde heil aus dieser Geschichte heraus kommen. Und wenn die Prophezeiung sagte, dass er verletzt oder sogar getötet werden musste um Rose aufzuhalten, dann war sie schlicht und einfach Schwachsinn. Wer braucht schon dämliche Zukunftsvorraussagen? Wir konnten unser Schicksal einfach selber in die Hand nehmen.

"Aber du hast jetzt heraus gefunden, dass du keine Visionen von deinem Tod hast, sondern von...mir?", versuchte ich das Gespräch wieder auf das ursprünglich Thema zu lenken. Jake nickte.

"Zumindest bei dieser Vision scheint es um dich zu gehen."

Zu diesem Zeitpunkt fiel mir nicht auf, dass er nicht ausschloss auch seinen eigenen Tod zu sehen.

"Ich habe mein Spiegelbild im Wasser gesehen. Also... dein Spiegelbild um genau zu sein. Vorher hat die Vision immer etwas später angesetzt, als du schon im Wasser warst. Irgendetwas hat mich... dich nach unten gezogen. Ich habe gespürt, wie sich deine Lungen verkrampft haben, als sich um dich herum eine schwarze Dunkelheit geschlossen hat... es war schrecklich. Aber leider noch nicht das Ende. Da waren überall... Flammen. Blaue, kalte Flammen unter Wasser, die mir die Illusion von Rettung und von Wärme gegeben haben. Aber es war eben nicht mehr eine Illusion- sie waren genauso kalt und tödlich wie das Wasser um mich herum. Und je mehr ich versucht habe, sie zu erreichen, desto tiefer bin ich gesunken."

"Wow... Das klingt nicht so, wie ich mir den heutigen Tag vorgestellt habe. Blaue Flammen. Ich wette dahinter steckt eine Person, deren Namen mit A anfängt und mit -lec aufhört"

Jake zuckte mit den Schultern.

"Schon möglich. Ich habe ihn nicht gesehen, aber es würde zu diesem Verräter passen."

"Verbrennen. Ertrinken. Ersticken. Hast du diese Situation damit gemeint?"

Jake wirkte verwirrt.

"Womit? Wann soll ich das denn gesagt haben?"

"Als wir mit Wendy unterwegs gewesen sind. Erinnerst du dich nicht mehr daran?"

Er schwieg kurz und versuchte offenbar diese drei Worte einzuordnen.

"Ich hatte eine Vision von der Situation, aber ich weiß nicht, warum ich das gesagt haben soll. Wie gesagt: Es hat sich angefühlt als würde ich ertrinken. Und glaub mir, unter Wasser will man nicht unbedingt viel reden."

Das war nicht gerade beruhigend. Was aber noch viel beunruhigender war, wie gelassen ich mich fühlte. Jake hatte mir gerade davor gewahrt, dass ich sterben könnte. Das ich in ewiger, kalter Dunkelheit versinken könnte, während Alec mir dabei zusah und seinen Spaß hatte. Aber ich hatte keine Angst. Das Wasser war mein Freund, eines meiner Elemente. Es würde mir nicht weh tun, genauso wenig wie seine Bändigerin Alice mich je verletzten würde. Und außerdem musste ich nichts weiter tun, als mich vom dem See fern zu halten, den ich schon seit Wochen nicht mehr besucht hatte. Das konnte doch nicht so schwer sein.

Wie sehr man sich doch täuschen konnte...

"Danke für die Warnung. Ich weiß, dass das jetzt nicht so herüber gekommen ist, aber ich weiß es wirklich zu schätzten, dass du dir nicht einfach seelenruhig angeguckt hast wie ich umgebracht werden"

Er zuckte mit den Schultern, als sei das Ganze tatsächlich nur eine Kleinigkeit gewesen.

"Keine Ursache. Wir sind doch so etwas ähnliches wie eine Familie"

Wenn ich Bea richtig verstanden hatte, waren wir das tatsächlich...
Ein Lächeln huschte über Jakes Gesicht.

"Glaubst du, sie haben uns etwas Rührei übrig gelassen?"

"Nein. Niemals"

Er seufzte.

"Warum bin ich heute morgen überhaupt aufgestanden?"

"Naja, du hast den ganzen Tag Zeit um das heraus zu finden..."

Danke fürs lesen! Ihr könnt mir immer noch Fragen für das Special schicken :) Eigentlich sollte das Kapitel und das nächste nur eins werden, aber ich fand es irgendwie besser zwei Kurze daraus zu machen, desshalb ich das Kapitel vielleicht ein bisschen inhaltslos ^^

Im Schatten der Elemente [Unbearbeitet Fassung]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt