8: Seltsam

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Folgende Situation kennt sicher jeder: Man liegt abends gemütlich in seinem Bett und schläft.
Und dann, ganz plötzlich hört man in der Dunkelheit ein Geräusch. Als ich jünger war, hatte ich immer Angst vor solchen Geräuschen gehabt. Natürlich, hatte ich damals gewusst, dass es nur meine Zimmergenossin hatte sein können, aber trotzdem hatten sie immer wieder die gleichen Fragen in meinem Kopf wiederholt. Ist das ein Einbrecher? Oder ein Geist? Warum ist der Lichtschalter so weit weg? Warum kann ich kein Feuer auf meiner Hand erscheinen lassen? Jetzt, wo ich tatsächlich Feuer auf meiner Hand erscheinen lassen konnte, war diese irrationale Angst immer noch nicht komplett verschwunden. Nur hatte sie sich jetzt... verlagert. Ich hatte keine Angst mehr davor, nachts von Geistern heimgesucht zu werden. Ich hatte Angst davor, Jake mit einem Einbrecher zu verwechseln und ihm besagtes Feuer ins Gesicht zu schleudern. Oder mein Bett anzuzünden. Ganz abgesehen davon, was passieren würde, wenn ich mich einem anderen Element bedienen würde, einem bei dem ich mir immer noch unsicher war. Dieses Horrorszenario hätte sich in dieser Nacht beinahe erfüllt. Zugegeben: Ich hätte nicht so überreagiert, wenn ich auf die Krimiserien, die ich bis halb zwölf geguckt hatte, verzichtet hätte. Aber es war einfach zu spannend gewesen. Besonders da Bea, Ruby und Billy nicht Zuhause gewesen waren und uns so den Fernseh überlassen hatten. Langsam fragte ich mich, was unsere Eltern die ganze Zeit taten. Niemand konnte mir erzählen, dass irgendein Beruf tatsächlich so lange dauerte, besonders da Ruby immer noch Urlaub bei uns machte. Wahrscheinlich hatten sie eine Pokerrunde gegründet oder so...

In dieser Nacht wütete ein Sturm um das Haus, der sogar Phil zu windig gewesen wäre. Die Jalousien krachten und die alten Balken des Dachstuhles knackten. Ich lag unter der Decke und versuchte nicht an einer der Fragen zu denken, die meine Kindheitsnächte so ruiniert hatten. Das ist nur der Wind, wiederholte ich in meinem Kopf.
Der Wind ist dein Freund. Und das im wahrsten Sinne des Wortes... als ich jedoch Schritte und das quietschen einer sich öffnenden Türe hörte, war es um meine Selbstbeherrschung geschehen. Fest entschlossen, diesem jemand der da gerade mein Zimmer betreten hatte, selbst wenn es nur Jake sein könnte, zu sagen dass man einen schlafenen Drachen besser nicht stört (Feuer kann unangenehm sein. Sehr unangenehm, ich spreche aus Erfahrung...) stand ich auf. Das Lattenrost knarrte und wer auch immer hier war, hielt in seiner Bewegung inne, als meine nackten Füße den kalten Boden berührten. Toll. Jede Form des Überraschungsmomentes war damit verspielt.
“Jake, wenn du das bist: Du bekommst immer noch nichts von meiner Schockolade und du wirst sie auch nicht finden. Kauf dir gegälligst eigene!“
Die Gestalt rührte sich nicht. Langsam gewöhnten sie meine Augen an die Dunkelheit und ich konnte Umrisse wahrnehmen, Umrisse die tatsächlich auch zu Jake gepasst hätten.
“Das ist nicht lustig“
Ich überlegte kurz, wie weit es zu meinem Lichtschalter war und wie viele Sachen dazwischen standen, gegen die mein armer kleiner Zehn knallen könnte. Dann jedoch huschte ich schnell wie der Wind dahin.

Mein Zimmer hatte eine dieser Energiesparlampen, die erst einen Moment brauchen um hell zu werden. Doch noch bevor, dass Licht ganz an war, atmete ich erleichtert auf.
“Aiden. Was tust du hier? Hast du mal auf die Uhr geguckt?“
Er blinzelte mich verwirrt an.
“Ähm... klar. Ich guck sogar sehr oft auf die Uhr. Immer wenn ich die Uhrzeit wissen will, um genau zu sein“
Ich runzelte die Stirn.
“Ist alles in Ordnung?“
“Ich leben noch und ich habe auch nicht vor, dass in der nächsten Zeit zu ändern. Falls es das ist, was du fragen willst“
“Und was tust du dann hier?“
Er antwortet nicht, sondern hielt mir ein einfache Lederkette entgegen. Denn Anhänger daran hätte ich überall erkannt.
Er war der einzige Schlüssel dazu, wer ich wirklich war, als wer ich geboren wurde und warum ausgerechnet ich der Stern geworden war und nicht beispielsweise Phil, dessen Eltern beide ein beide ein Element beherrschten.
“Ich hätte dir die Kette auch morgen früh geben können.“
Aiden blickte das Schmuckstück an, als hätte er gar nicht darüber nachgedacht.
“Oh. Stimmt.“
“Bist du dir sicher, dass alles in Ordnung ist? Irgendwas stimmt doch nicht mit dir...“
Aiden verzog das Gesicht.
“Hör auf das zu fragen. Ich werde dir schon sagen, wenn etwas nicht stimmt. Im Moment ist alles gut. Sehr gut, sogar“
Ich hätte gerne mit etwas wie “Okay, ich glaube dir“ geantwortet, aber das wäre genauso wahr gewesen wie eine Eichhörnchenkolonie auf dem Mond. Stattdessen runzelte ich die Stirn und blickte Aiden durchdringend an. Er wich meinen Blicken aus. Seine rechte Hand war nicht mehr verbunden, steckte aber so tief in seiner Hosentasche, dass ich nicht sagen konnte, ob er noch verletzt war. “Aiden?“
“Äh... was?“
“Meine Kette.“
“Was soll damit sein?“
“Gib sie mir zurück. Du bekommst sie morgen.“

Er zögerte. Erst als ich damit drohte seine Hose in brand zu setzten, gab er mir meine Kette. Das Metall fühlte sich kalt an, genauso wie seine Fingerspitzen, als er mir es hinstreckt. Der Rechsthänder hielt mir das Schmuckstück mit der linken Hand hin. Wahrscheinlich war seine Starke immer noch angeschlagen. Ich umfasste das Medaillon und der zögerte einen Moment, bevor er es losließ. Ich nahm mir im Stillen vor, Alice einmal zu fragen, ob sie einen Blick auf ihn werfen konnte. Gefühle lesen zu lassen kam mir zwar nicht fair vor, aber es war offensichtlich, dass irgendwas nicht mit Aiden stimmte. Und ich hatte zu viel Zeit mit Jake verbracht zu lange um das einfach so hinzunehmen.

~~~

Vermutlich machte mich das zu einer schlechten Freundin, vielleicht sogar zu einer schlechten Person im Allgemeinen, dass ich Alice, am nächsten Morgen tatsächlich darauf ansprach. Andererseits war sie meine beste Freundin.
Und wie die seltsamsten besten Freunde, die es in jeder amerikanischen Teenieserie gibt, saßen wir zusammen in einer Toilettenkabine und sprachen über unsere Probleme. Leider stammten die nicht aus besagten Teenieserien.
“Inwiefern komisch?“, fragte Alice und zog ein Lakritzbonbon aus ihrer Tasche.
“Findest du es nicht eklig, auf der Toilette zu essen?“
Ihre großen, blauen Augen blickten mich an.
“Äh... doch, eigentlich schon. Ich wollte... nur testen, ob es noch da ist...“
Sie steckte es zurück in ihre Jackentasche.
“Wo waren wir gerade stehen geblieben?“
“Bei Aiden. Dabei, dass er seltsam ist. Und ich meine nicht die Art von Seltsam, die bei uns normal ist“
“Jede Art von Seltsam ist irgendwie Normal. Das macht normal so seltsam“
Aus irgendeinem Grund bekam ich langsam das Gefühl, dass sie schon zum zweiten Mal versuchten von dem eigentlichen Thema abzulenken.
“Dieses Gespräch ist seltsam“, erwiderte ich deshalb mit einem scharfen Unterton, den ich nicht zurüclhalten konnte. Alice seufzte. Natürlich, sie konnte sehen, dass ich angespannt war. Ganz hatte ich Alices Gabe noch nicht durchblickt, ich wusste nicht, wie sie Gefühle sehen konnte und wie das mit dem Wasser zusammenhing. Als Stern hätte ich eigentlich einen Hauch von ihre Begabung haben müssen, aber ich war nicht einmal wirklich sensibel.
“Es tut mir Leid“, murmelte sie und spielte mit einer Strähne ihrer blonden Haare, die sie aus dem langen, geflochtenen Zopf gelöst hatte.
“Ich weiß, dass ich dir helfen sollte. Aber es kommt mit einfach nicht richtig vor. Die Gefühle von Anderen zu lesen ist ein Eindringen in ihre Privatsphäre. Es ist schon mies das versehendlich zu tun, aber mit purer Absicht...“
“Du sollst ja nicht Aidens tiefste und dreckigsten Geheimnisse herausfinden. Wenn er sich dazu entschieden hat, dass er es einfach lustig finden, nachts in Zimmer einzubrechen und Ketten zu klauen- gut, damit kann ich mich abfinden. Aber wenn sein Verhalten etwas mit Rose zu tun hat oder damit, dass er sein Element verloren hat, müssen wir ihm helfen“
Alice wich meinem Blick aus uns sah stattdessen die über und über voll beschmierten Türen an, als seien diese in den letzten fünf Minuten unglaublich interessant geworden. Ihre Finger drehten die lose Strähne mittlerweile. Schließlich, als ich schon dachte wir würden noch Stunden hier verbringen und zu keinen Ergebnis kommen, öffnete sie die Türe der Klokabine. Es quietschte.
“Dann lass uns heute Nachmittag ein bisschen Detektiv spielen...“

Im Schatten der Elemente [Unbearbeitet Fassung]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt