29: Schatten der Elemente

949 96 10
                                    

Normalerweise wäre das der Moment gewesen, an dem einer von uns noch einmal nachgefragt hätte. Indem von jedem einmal "Hä, was soll das heißen?" gefragt wurden wäre. Aber Nadys Mutter hatte diese Ausstrahlung, in ihrem Blick lag etwas, dass uns allen die Worte im Mund stecken ließ. Niemand sprach und niemand flüchtete nach draußen, auch nicht um Aiden oder Alec zu verfolgen. Stattdessen warteten wir in angespannte Stille, eine Stille die sich ausbreitete wie Wasser, das in einen undichten Schiffsrumpf sickert und die Insassen erstickt. Wir standen in dieser Stille, bis Nadys Mutter sie durchbrach.

"Guckt mich doch nicht so entsetzt an, Kinder. Dachtet ihr die Schatten bekommen ihre Kräfte einfach so? Ohne dass es irgendwelche Konsequenzen hat?"

"Naja..."

Ich versuchte eine Antwort darauf zu finden.

"Sie versuchen uns etwas anzutun. Ich würde das schon Konsequenzen nennen, zumindest für uns."

"Dann scheinst du nicht viel davon zu verstehen, Mia."

Ihr Tonfall ließ weder Widerworte noch eine Rechtfertigung zu. Das bedeutet aber nicht, dass wir ruhig blieben.

"Was genau bedeutet das?", wollte Nady wissen. Sie hatte sich ihre roten Haare in der Zwischenzeit zu einem festen Zopf gebunden, sie sah jetzt strenger aus und ihr hübsches Gesicht war ein perfekter Spiegel ihrer Gefühle. Gefühle, wie Wut und Verwirrung, die sich auch in ihren Worten zeigten.

"Ich verlange eine Erklärung! Was genau passiert hier... warum kommt niemand auf die Idee den beiden hinterher zu laufen? Warum hilfst du nicht. Mum, du bist ebenfalls ein Feuer! Verdammt, warum unternimmt hier niemand etwas?"

"Nicht in diesem Ton, Fräulein", zischte ihre Mutter.

"Glaubst du, ich würde den Feuerschatten nicht aufhalten wenn ich es könnte? Wenn ich die Macht dazu hätte?"

"Aber die hast du doch."

Nady klang regelrecht verzweifelt.

"Eben nicht."

Cara Fights Gesicht war eine ausdruckslose Maske aber hinter ihren Augen schien ein wütendes Feuer zu brennen, ein Feuer, das nur darauf wartete heraus zu brechen und alles um es herum zu verschlingen. Schließlich, als die Spannung im Raum auf ihrem Höhepunkt angelangt war und drohte sich zu entladen, räusperte sich Alice.

"Was hast du eben mit den Konsequenzen gemeint?"

"Kinder, dachtet ihr etwa die Macht der Schatten würde einfach so vom Himmel fallen? Dass sie neu wäre, aus dem Nichts kommen würde?"

Das hatte ich bis gerade tatsächlich geglaubt. Oder besser gesagt: Ich hatte mir nie Gedanken darüber gemacht, dass es anders sein könnte.

"Ehrlich gesagt, hat uns noch nie jemand eine bessere Erklärung gegeben", antwortete Jake, der einen skeptischen Gesichtsausdruck aufgesetzt hatte. Seine dunklen Augen schienen Cara zu scannen, so als könnte er ihr alle Geheimnisse und alles, was sie uns verschwieg mit der Kraft ihrer Gedanken aus ihr heraus pressen. Wenn ich ihn mir so ansah, war ich heilfroh, dass er das nicht konnte- die Zukunft vorherzusagen war schon gruselig genug, besonders wenn ich an die letzte Vision dachte. Von der wir immer noch nicht wussten, wann sie eintreffen würde. Doch jetzt, wo wir Aiden vertrieben hatten schien sie ein großes Stück näher gerückt zu sein.

"Vielleicht wird es auch einmal Zeit für eine bessere Erklärung", sagte Nady und blickte ihre Mutter dabei ebenfalls an. Jakes Blick schien einen Moment zu dem Mädchen zu wandert, sie zu streifen- vielleicht bildete ich mir das aber auch nur ein.

"Die bessere Erklärung", setzte Cara an.

"Ist, dass sie ihre Macht gestohlen haben. Deshalb brauchen sie unser Blut. Dass Schattenritual stiehlt den Elemente ihre Fähigkeiten. Und ihr alle wisst, was geschieht wenn Elemente ihre Kräfte verlieren. Es scheint langsamer zu verlaufen, als wenn ein Element seine Kräfte freiwillig abgibt, aber es wird geschehen. Das ist die einzige logische Konsequenz."

Es war eine schöne Beschreibung, bei der sie die Worte Tod oder sterben kein einziges Mal in den Mund nahm. Aber die Wirkung dieser Worte war trotzdem einschlagend. Phil fiel das Grinsen aus dem Gesicht. Nady eingeschränkte ihre Arme und ich fühlte mich, als hätte mir jemand einen Schlag in die Magengrube gegeben. Ich tastete blind neben mir nach Phils Hand, aber er stand zu weit hinten um sie zu nehmen. Noch bevor einer von uns etwas dazu sagen konnte, redete Cara weiter.

"Aber glücklicherweise scheinen die Kräfte nur von einer Generation, von uns, gestohlen wurden zu sein. Und genau hier kommt ihr ins Spiel, besonders ihr Mia. Das ist der Grund dafür, dass wir euch alleine agieren lassen und euch nicht helfen. Das ist der Grund dafür, dass ich dem Feuerschatten nicht hinterher laufen."

Aus irgendeinem Grund verspürte ich das Bedürfnis dieser Frau eine Ohrfeige zu verpassen. Sich zurück zu lehnen und nichts zu tun, war einfach. Man brauchte keine Elementekräfte um zu helfen. Hätte sie Alec von Anfang an das Gefühl gegeben, dass er kein Schatten sein musste um mit Nady auf einer Höhe zu sein, dann wäre das alles vielleicht nicht passiert. Bea hatte es zumindest versucht, fiel mir ein. Sie hatte mit mir gesprochen, mir versucht zu erklären, was es zu erklären gab und sich ernsthaft Sorgen darüber gemacht, dass Jake oder mir etwas passieren könnte. Sie wäre nie das Risiko eingegangen, dass uns etwas passieren könnte. Cara schien durchaus dazu bereit zu sein.

"Und was ist mir Rose?", fragte Phil mit leicht erstickter Stimme.

"Eine gute Frage, genauso eine gute Frage, wie die Rolle des Sternes. Das sollte alles in der Prophezeiung stehen. Billy und ich haben uns unzählige Nächte mit diesem Text in der Bibliothek der Stuarts beschäftigt- besonders mit den Passagen die du, Jake übersetzt hast, in der Hoffnung einen Weg zu finden, die Schatten zu besiegen und unsere Kräfte zurück zu bekommen. Aber wir haben nicht gefunden, zumindest nichts, was uns weiter gebracht hätte. Ich zumindest habe gehofft, ihr würdet sie konfrontieren, ausschalten und alles würde wieder in seine ursprünglich Ordnung kommen."

"Bei so einer Aktion hätten wir draufgehen können", zischte Nady.

"Stimmt, das wäre bedauerlich gewesen."

"Worauf warten wir eigentlich noch?!"

Jakes Gesicht war aschfahl und seine Stimme klang höher als normalerweise.

"Wir sollten längst über den Texten sitzen und heraus finden, wie wir dem ganzen Spuk endlich ein Ende bereiten können!"

"Meine Rede", bestätigte Phil.

"Vollkommen richtig", stimmte auch Nady zu und wandte sich zum gehen, aber noch bevor sie auch nur einen Fuß vor den Anderen gesetzt hatte, blickte sie sich noch einmal um.

"Ach und übrigens, Mum: Ich übernachte heute bei Mia."


Im Schatten der Elemente [Unbearbeitet Fassung]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt