Kapitel 16

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Ich machte mich nun daran noch den letzten Papierkram im Regal zu verstauen, bis ich aus dem Augenwinkeln sah, wie Johannes sich an die Nase packte.
"Schmerzen?", fragte ich, während ich mich wieder zu ihm setzte. Er nickte nur.
"Schlimm?", fragte ich weiter.
"Es geht so.", meinte er.
"Brauchst du Schmerzmittel?"
"Ne. Noch geht's."
"Okay. Dann leg dich hin. War ein langer Tag. Wenn noch etwas ist, kannst du jeder Zeit vorbei kommen. Ich hab alles da."
"Ja Schwesterherz."
"Es ist keine Schande Schmerzen zu haben. Ich bin nicht Julia. Vor mir kannst du das ruhig zugeben. Ich seh dir das sowieso an."
"Ich weiß. Für Lügen kennen wir uns einfach zu lange."
"Wenn du noch was brauchst, bin ich in meinem Zimmer."
"Okay."
"Gut. Dann bis morgen."
"Ja. Bis dann."
So ging Johannes nun in Julias und sein Zimmer, während ich noch die restlichen Sachen weg räumte und schließlich in mein Zimmer ging. Dort war Ben bereits am schlafen und so zog ich mich nur schnell um, um ihn dann, wie versprochen, zu wecken. Das war allerdings nicht nötig, denn er wachte schon auf, als ich mich neben ihn legte.
"Hey Süße! Da bist du ja endlich!", sagte er und legte sanft einen Arm um mich.
"Ja.", meinte ich und kuschelte mich an ihn.
"Was hat denn da so lange gedauert? Ich dachte du wolltest nur kurz irgendwas an Papierkram machen."
"Ich hab noch mit Johannes gesprochen."
"Und?"
"Der macht mir irgendwie Sorgen."
"Wieso?"
"Wenn er so weiter macht, verliert er Julia."
"Und? Das ist doch dann sein Problem und nicht deins."
"Das würde ihm das Herz brechen."
"Das kannst du dann auch nicht mehr ändern."
"Ich wünschte nur ich könnte es verhindern."
"Mehr als mit ihm reden kannst du auch nicht. Er ist alt genug, um selber zu entscheiden, was er macht."
"Ich hab nur Angst, dass er dann wieder nach Holland zieht."
"Wie kommst du denn darauf?"
"Ich hab so das Gefühl, das Julia das Einzige ist, was ihn hier hält."
"Also ich würde sagen, dass du da auch eine ziemlich große Rolle spielst."
"Meinst du?"
"Ja. Damals, als das mit deiner Mutter war und ich ihn angerufen hab ist er auch erst hektisch geworden, als ich erwähnt hab, dass du dich in deinem Zimmer verbarrikadierst und als er hier war, hat er als erstes nach dir gefragt. Ich denke, dass du ihm schon ziemlich wichtig bist. Gerade, weil du die Einzige bist mit der er wirklich offen spricht und der er vertraut."
"Ich hab nur das Gefühl, dass das ihm bei Julia zum Verhängnis werden könnte."
"Du bist seine Schwester. Damit muss sie sich abfinden. Wenn ich jedes Mal solchen Stress machen würde, wenn du mit ihm länger unterwegs wärst, müsste ich schon längst weg sein."
"Nur gut, dass du es nicht tust."
"Wozu auch? Mir ist schon bewusst, dass dein Bruder dir so einiges bedeutet und dass ich dir das nicht verbieten kann. Außerdem, wieso sollte ich denn neidisch sein? Er ist dein Bruder und glücklich verheiratet. Da wird wohl kaum was zwischen euch laufen."
"Ja. Wenn Julia das denn nur genauso sehen würde."
"Irgendwann wird sie das auch noch einsehen."
"Hoffentlich."
"Wird sie schon. Sie braucht nur Zeit und Liebe von ihm."
"Ja. Das hab ich ihm auch schon erklärt."
"Na dann hast du doch alles gemacht, was geht."
"Ich wünschte nur ich könnte mehr machen."
"Das kannst du aber nicht. Die Beiden fangen sich mit der Zeit schon wieder. Schon allein wegen den Kindern."
"Ich hoffe es."
"Die Beiden brauchen sich gegenseitig. Ohne einander können die nicht."
"Genau das ist ja das Problem. Wenn es vorbei ist, zerbrechen beide daran und Johannes noch als Erster."
"Das wird schon alles wieder."
"Ich bin mir da noch nicht sicher."
"Ich mir dafür um so mehr. Das wird schon. Da brauchst du dir gar nicht solche Sorgen machen.", meinte Ben und zog mich sanft noch etwas näher zu sich. Ich kuschelte mich dicht an ihn und er schloss mich in seine Arme.

So schliefen wir dann schließlich ein, bis wir von einem Klopfen geweckt wurden.
"Wer klopft denn mitten in der Nacht an unsere Tür?", fragte Ben.
"Keine Ahnung. Ich schau mal nach.", meinte ich und stand auf. Ich ging nun zur Tür und öffnete diese. Vor mir stand Johannes.
Ich ging nun raus und schloss hinter mir die Tür.
"Was ist los?", fragte ich leicht besorgt. Wenn Johannes schon freiwillig nachts an unserer Zimmertür klopfte, musste da gewaltig was nicht in Ordnung sein.
"Hast du mal irgendwie Schmerztabletten oder so etwas?", fragte Johannes.
"Deinem Gesicht nach zu urteilen starke?", fragte ich mit einem Blick auf sein kreidebleiches Gesicht.
"So stark es geht.", meinte er nur. Ich ging mit ihm nun in die Küche, wo ich ihn auf den nächst besten Stuhl schob und starke Schmerztabletten aus dem Schrank kramte.
"Darf ich kurz?", fragte ich nun mit einem Blick auf seine Nase.
"Wenn's sein muss.", meinte Johannes.
"Ich will nur kurz mal tasten. Ich bin auch ganz vorsichtig!", versprach ich.
"Mach.", kam es nun von Johannes. Ich näherte mich nun langsam seiner Nase und tastete vorsichtig den Knochen ab. Bei jeder Berührung zuckte Johannes mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen.
"Sitzt noch alles.", war mein Fazit.
"Ist das normal, dass das so scheiße weh tut?", fragte Johannes mit noch immer schmerzverzerrtem Gesicht.
"Ja. Nase ist ziemlich empfindlich.", meinte ich und wischte ihm mit dem Daumen sanft eine Träne von der Wange.
"Wie lange tut das noch so weh?"
"Ich schätze mal so ein paar Tage."
"Verdammt!", fluchte er und erneut floss eine Träne seine Wange hinunter. Er musste ja echt höllische Schmerzen haben, wenn er schon vor mir weinte. Das hatte er schon ewig nicht mehr. Wahrscheinlich das letzte Mal, als wir noch Kinder waren. Da konnte ich mich nur nicht mehr dran erinnern.
"Ach Großer. Ich wünschte ich könnte dir irgendwie helfen.", sagte ich und setzte mich auf seinen Schoß. Das hatte ich schon damals immer getan und es war einfach mega gemütlich!
"Das tust du.", meinte Johannes und nahm mich, wie früher, in den Arm.
"Das sagst du doch jetzt nur so."
"Nein. Das meine ich ernst. Schon allein der Punkt, dass du den Arzt bequatscht hast, damit er nicht an meiner Nase rum fummelt, hat mir geholfen."
"Aber wenn ich denn nur deine Schmerzen lindern könnte."
"Das kannst du aber nicht. Du bist auch nur meine kleine Schwester und kein Gott, der alles ändern kann."
"Wäre ich das doch bloß."
"Du hilfst mir schon mehr als genug indem du dir dauernd mein Geheule anhörst."
"Das tust du bei mir doch genauso."
"Ja und das ist gut so. Dadurch helfen wir uns gegenseitig. Das ist wichtig."
"Ich weiß, aber du tust mir so leid."
"Hey. Kleine, jetzt fang bloß nicht an mit zu heulen!"
"Du weißt doch, dass ich das nicht ab kann, wenn andere Leute weinen. Da muss ich immer mit weinen."
"Ach komm. Du hast in den letzten Tagen genug geweint. Du bist nur fertig und musst ins Bett."
"Ich kann dich hier aber nicht alleine lassen.", meinte ich und wischte ihm ein paar weitere Tränen mit dem Daumen weg.
"Natürlich kannst du das. Ich bin doch der Ältere und nicht du."
"Aber ich bin die mit dem medizinischen Verstand und ich weiß, dass ich dich nicht alleine lassen kann. Nicht mit den Schmerzen, die du hast."
"Das geht schon."
"Nein das geht nicht! Sonst würdest du nicht so weinen."
"Ach man. Du kennst mich einfach zu gut!"
"Tja. Mich kannst du nicht verarschen."
"Ich merk's."

Der falsche Sprung - KorrekturWo Geschichten leben. Entdecke jetzt