Johannes Sicht:
Schnellen Schrittes eilte ich zu dem Zimmer, wo Julia liegen sollte. Mein Julchen. Mein Engel. Vor der Tür blieb ich stehen und klopfte an. Okay. Das war vielleicht ein bisschen unnötig, da sie im Koma lag und sowieso nicht antworten konnte. Egal. Ich tat es trotzdem und trat dann ein. Ich blieb allerdings an der Tür stehen, da das Bild, welches sich mir da bot, einfach schlimm war. Sie lag dort mit lauter Schläuchen und den ganzen Geräten an sich, die sie am Leben hielten. Das Leben von meinem Engel hing fest an ein paar Maschinen und Schläuchen. Wenn da auch nur eine Maschine nicht funktionierte war es vorbei.
Langsam ging ich einen Schritt auf sie zu. Vor lauter Schläuchen war sie kaum noch zu sehen. Mein armes Julchen. Lag da zwischen den ganzen Schläuchen und war schon nahezu tot. Langsam ging ich nun die letzten Schritte zu dem Bett hin und strich ihr sanft über die Wange. Ihre Haut war ganz blass und das weiße Hemd dazu ließ sie schon nahezu durchsichtig wirken. Sie sah so schwach und zerbrechlich aus. Als würde sie durchbrechen, wenn man sie berührte. Dabei war sie sonst immer so stark. Sie spielte immer die Starke, aber in Wirklichkeit war sie sehr zerbrechlich. Das starke war nur eine Maske von ihr, die sie nur abnahm, wenn sie einem wirklich vertraute. Diese Maske war nun gefallen und man erkannte ihr wirkliches ich. Eine wunderschöne, aber zerbrechliche Frau, die mir einfach alles bedeutete. Sie war mein Leben und ohne sie war dieses Leben nichts mehr wert. Wenn sie sterben würde, würde ich ebenfalls zu Grunde gehen. Ohne sie konnte ich einfach nicht mehr leben. Das ging nicht mehr. Früher hatte ich mir immer geschworen niemals an der Liebe kaputt zu gehen und mich niemals zu sehr an einer Frau fest zu klammern, aber nun war es zu spät. Julia hatte mich in ihren Bann gezogen und es geschafft, dass ich mich doch an einer Frau fest hielt. Sie hatte es geschafft, dass ich ohne sie nicht mehr leben konnte. Sie war mein ein und alles geworden und jetzt lag sie hier. Und ich war schuld. Wie sollte ich ihr jetzt noch sagen, dass ich sie liebte. Sie musste einfach leben! Sie war doch mein Engel und Engel sterben nie! Oder doch? Wieder schaute ich zur ihr runter. Wie sie da lag. Als würde sie schlafen. Nur, dass da lauter Schläuche aus ihr raus kamen und dass sie fürchterlich blass war. Das Einzige, was Farbe in sie brachte, waren ihre Sommersprossen und ihre rot blonden Haare. Meine arme Kleine! Stand zwischen Leben und Tod. Das Einzige, was noch ihr Leben verriet, war die Maschine am Rand, die im Takt ihres Herzschlages piepste. Sanft nahm ich nun ihre Hand und strich vorsichtig darüber. Sie war kalt und leblos. Als wäre meine Kleine schon tot. Schon spürte ich, wie mir eine Träne über die Wange rollte. Mit einem Mal verließ mich nun all meine Kraft und ich brach weinend neben ihr zusammen. Ihre Hand hatte ich noch immer sanft in meiner.Lisas Sicht:
Bei dem Zimmer angekommen, war die Tür bereits offen. So gingen wir rein und schlossen die Tür hinter uns. Julia lag, wie erwartet, mit lauter Schläuchen und Maschinen um sich rum im Bett. Neben dem Bett hockte Johannes und hielt weinend ihre Hand. Als ich sah, wie fertig er war, konnte ich einfach nicht mehr anders und weinte mit. Ben legte sanft einen Arm um mich und zog mich vorsichtig etwas näher an sich.
"Ich geh dann mal.", kam es nur von Jenny, bevor sie verschwand. Ich ging nun langsam zu Johannes und legte ihm sanft eine Hand auf seine Schulter. Ben wich mir dabei nicht von der Seite und dachte gar nicht daran mich los zu lassen. Dafür war ich ihm im Moment aber auch ziemlich dankbar. Ich brauchte jetzt einfach eine Stütze, die mir ein wenig Kraft gab, denn meine Kraft floss momentan komplett in Johannes und Julia und nebenbei auch noch Emely, die nur Mist baute. Dazu kam dann noch, das wir mit den Pferden nicht hinterher kamen und dass bald die ganzen Rennen waren. Das heißt wir hätten eigentlich so schon genug Stress und jetzt fielen mal eben die besten Leute komplett aus. Julia würde wohl noch eine ganze Weile ausfallen oder sogar nie wieder kommen, Johannes würde so lange nicht kommen, bis Julia wieder wach wurde und wenn sie nicht wach wurde sich das Leben nehmen. Dazu kam dann noch Jenny, die irgendwie auf die Kinder aufpassen musste, Emely die nur Scheiße im Kopf hatte, Ben der wegen dem ganzen kurz vorm Nervenzusammenbruch stand und mitten drin ich, die alles irgendwie organisieren durfte. Und nebenbei verschwanden die Jungs dann zwischendrin noch zum Fußball spielen. Irgendwie müssten dann auch noch die letzten zwei Jungpferde eingeritten werden. Dieses Jahr hingen wir irgendwie in allem total hinterher und wenn es so weiter gehen würde konnte das noch lustig werden.
Nun konzentrierte ich mich aber doch eher auf Johannes, der neben mir noch immer am weinen war. So setzte ich mich nun neben ihn und nahm ihn in den Arm. Er regte sich nicht, sondern starrte weinend auf Julias Hand, die er in seinen Händen hielt.
"Sie ist stark. Sie schafft das schon.", redete ich ebenfalls unter Tränen auf ihn ein und versuchte mich so gut wie möglich zusammen zu reißen. Ich wollte ihn trösten und nicht mit weinen.
"Sie ist nicht stark. Sie tut zwar immer so, aber das ist sie nicht. Schau sie dir doch an. Das ist ihr wahres ich. Schwach und zerbrechlich.", schluchzte Johannes.
"Aber sie ist eine Kämpferin. Sie wird das schaffen. Bestimmt!"
"Und wenn nicht? Was ist wenn sie es nicht schafft?"
"Dann musst du stark bleiben und für die Kinder da sein. Sie brauchen jemanden, der auf sie aufpasst und der genauso fühlt, wie sie! Versprichst du mir das?"
"Was?"
Ich atmete schwer durch, um dann zu sagen, was mir so schwer fiel aus zu sprechen: "Versprichst du mir, dass du dich dann nicht umbringst und dass du für deine Kinder da bist?"
"Das kann ich dir nicht versprechen.", schluchzte Johannes.
"Bitte! Deine Kinder brauchen dich dann und zusammen schafft ihr das! Da bin ich mir ganz sicher! Und wenn nicht sind wir alle für dich da und ich noch am meisten!"
"Du kannst ihnen aber auch nicht die Mutter ersetzen!"
"Nein. Das kann keiner, aber ich kann dir helfen mit dem Ganzen klar zu kommen."
"So gerne ich es auch würde, aber ich kann dir das nicht versprechen!"
"Johannes bitte! Deine Kinder brauchen dich und ich auch!"
"Du hast Ben und meine Kinder sind bei euch sicher. Ich kann es dir nicht versprechen."
Nun konnte ich einfach nicht mehr und brach endgültig in Tränen aus. Ben, der die ganze Zeit über seine Hände auf meinen Schultern liegen hatte, beugte sich nun zu mir runter und nahm mich in den Arm. Ich kuschelte mich dicht an ihn und krallte mich an seinem T-Shirt fest. Vorsichtig hob er mich nun hoch und verließ mit mir zusammen das Zimmer. Langsam ging er runter bis in die Cafeteria, wo Jenny saß und einfach mal eine Cola trank. Ben setzte sich nun mit mir auf dem Schoß neben sie.
"Ist alles in Ordnung?", fragte sie. Ich nickte nur und Ben antwortete für mich: "Völlig fertig und mit den Nerven am Ende, aber sonst ist alles gut."
"Wisst ihr irgendwas wegen Julia?"
"Nur das, was der Sanitäter uns gesagt hat."
"Okay. Dann bleibt ihr ruhig hier. Ich geh mal einen Arzt suchen und fragen.", meinte Jenny und war auch schon verschwunden.
"Willst du irgendwas essen oder trinken?", fragte Ben nun an mich gewandt. Ich schüttelte nur den Kopf.
"Schatz du musst aber wenigstens etwas trinken."
"Na gut."
"Was möchtest du denn?"
"Kaffee."
"Okay. Ich hole uns was.", meinte Ben und hob mich nun sanft hoch, um selbst auf zu stehen und mich dann wieder auf dem Stuhl ab zu setzen. Dann gab er mir sanft noch einen Kuss, bevor er zur Theke ging, um wenig später mit zwei Tassen Kaffee wieder zu kommen. Eine stellte er mir hin und die andere nahm er selbst. Dann hob er mich sanft wieder hoch, um sich hin zu setzen und mich dann auf seinem Schoß ab zu setzen.
"Ist sonst alles in Ordnung, oder kann ich dir noch irgendwie helfen?", fragte er nun.
"Nein. Alles gut. Mich macht das nur alles ein bisschen fertig."
"Nicht nur ein bisschen. Ich weiß. Es ist dein Bruder. Das kann man schon verstehen."
"Wenn es nur das wäre, wäre ja alles gut."
"Wieso? Was ist denn noch?"
"Emely macht nur Mist, wir kommen mit den Pferden nicht hinterher und unsere besten Leute fallen aus. Nebenbei ist bald auch das große Rennen, wo wir mal eben mit vier Pferden starten. Das schaffen wir ohne Jenny und Julia nicht!"
"Süße, ganz ruhig! Das wird schon alles irgendwie. Notfalls rufen wir Julian und co an. Die können aushelfen."
"Die trainieren selber auf das Rennen hin!"
"Julian nicht. Seine Stute hat sich vertreten."
"Einer alleine schafft das aber nicht."
"Hey! Das wird schon alles! Zur größten Not müssen halt Katrin oder so kommen."
"Die sind auch am trainieren. Die Springturniere sind ja auch alle jetzt."
"Bleib locker. Wir schaffen das alles irgendwie. Wir haben ja auch Mia und außerdem fängt die Zeit mit den Praktika in der Schule wieder an. Vielleicht haben wir ja wieder ein paar gute Praktikanten, die ordentlich aushelfen können."
"Hoffentlich!"
"Das wird schon alles."
Wir wurden nun von Jenny unterbrochen, die mir einen Zettel vor die Nase hielt und fragte: "Könntest du mir das mal übersetzen?"
"Was ist das?", fragte ich.
"Das, was der Arzt zu Julia gesagt hat. Ich hab es mir aufschreiben lassen, weil ich kein Wort davon gecheckt hab."
"Okay.", sagte ich und las mir den Zettel nun durch. Gut. Das Jenny das nicht verstanden hatte konnte ich gut verstehen. Mehr Fachbegriffe konnte man da nicht rein hauen! Das war ja mehr Latein als polnisch.
"Willst du es Wort wörtlich übersetzt haben oder reicht die grobe Aussage?", fragte ich nun.
"Es reicht, wenn du mir einfach erklärst, was los ist."
"Also. Sie hat eine schwere Alkoholvergiftung und liegt im Koma. So weit waren wir ja auch schon. Sie haben ihr hier den Margen ausgepumpt und sie an die lebenserhaltenden Maschinen angeschlossen. Das aber nur zur Sicherheit. Sie vermuten, dass sie in den nächsten Tagen aufwacht."
"Wie hoch ist die Chance, dass sie nicht wieder aufwacht?"
"Also die Chance, dass sie aufwacht ist sehr hoch. Es ist aber nichts ausgeschlossen. Sie liegt immernoch im Koma und solange das noch der Fall ist kann alles passieren. Ich kann nichts versprechen, aber die Ärzte sagen, dass sie sehr wahrscheinlich wieder aufwachen wird."
"Na das klingt ja schonmal viel versprechend."
"Ja. Und dann müssen wir nur noch gucken, dass wir die Beiden wieder zusammen bekommen."
"Das wird noch das einfachste sein. Ich denke spätestens, wenn wir ihr erklären, dass er einen Selbstmordversuch gestartet hat, wird sie wohl verstehen, dass er ohne sie nicht kann. Ich denke sie wird nach dem, was passiert ist verstehen, wie sehr er sie liebt."
"Ich hoffe es. Sonst bringt er sich um."
"Ich weiß. Das ist ein Spiel mit dem Feuer."
"Genau."
"Wie ist es. Fahren wir wieder?", fragte Jenny nun.
"Ihr könnt ruhig fahren. Ich bleibe hier bei Johannes. Nicht, dass der doch noch auf dumme Gedanken kommt.", meinte ich.
"Süße, er ist in einem Krankenhaus! Da wird schon nichts passieren.", meinte Ben.
"Trotzdem. Ich bleibe lieber hier. Da ist mir irgendwie wohler."
"Lisa...", setzte Ben an, aber er wurde von Jenny unterbrochen.
"Lass sie! Wenn es ihr lieber ist dann lass sie hier. Es bringt nichts, wenn sie dann zuhause sitzt und sich Sorgen macht ohne Ende. Davon hat keiner was. Ihr wird schon nichts passieren !", sagte sie ernst.
"Na gut.", meinte Ben nun.
"Danke Schatz!", sagte ich und gab ihm einen Kuss. Er erwiderte und meinte: "Mach keinen Mist und lass dich nicht von Johannes runter ziehen. Wir kommen morgen wieder."
"Ja. Ich komm schon klar. Keine Sorge."
"Okay. Dann bis morgen!"
"Ja. Bis dann!"
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Der falsche Sprung - Korrektur
Random"Der Falsche Sprung" ist der vierte Teil mein Buchreihe über die Bewohner des Gestüts Michalòw. Emely Michalòw ist mittlerweile 16 Jahre alt und steckt mitten in der Pubertät. Hier wiederholte sie alles, was Lisa damals bereits mit 13 Jahren gemacht...