Kapitel 48

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Dies tat Paul und diesmal sah es gar nicht so schlecht. Der Wallach wehte sich allerdings noch immer gegen den Zügel. Da sah ich vom weiten Julia auf der Weide und rief ihr zu: "Kannst du mal kurz kommen? Ich brauch mal deinen Rat!"
Julia schaute auf und stand wenig später auch schon neben mir.
"Was gibt's?", fragte sie.
"Der Kleine wehrt sich gegen den Zügel. Weißt du warum?", fragte ich. Julia schaute sich das Ganze einen Moment an und sagte dann: "Das Gebiss ist zu hart. Gib ihm ein ganz weiches oder lass ihn gebisslos laufen. Dann ist er zufrieden und geht wieder vernünftig."
"Super. Danke!"
"Ich muss aber sagen Paul hat eine echt weiche und extrem ruhige Hand. Das kann nicht jeder."
"Nein. Er ist schon ganz gut. Wir arbeiten noch ein bisschen an den Distanzen und an der Kondition von den Beiden und dann kann daraus was werden."
"Aber ich dachte er reitet S. Warum lässt du ihn nur so niedrig springen?"
"Zum austesten wie er reitet. Erstmal kriegen wir das technische zwischen den Sprüngen hin und dann kommt die Höhe. Außerdem hat das Pferd eine schlechte Kondition. Da müssen wir erstmal dran arbeiten."
"Klingt nach einem längeren Trainingsplan."
"Ja, aber ich hab nur dieses Wochenende. Danach fährt er wieder."
"Und wie willst du das in der Zeit hin kriegen?"
"Drei Mal am Tag Training und harte Arbeit. Ich bring ihm alles bei, was ich in der Zeit schaffe."
"Okay. Na dann noch viel Spaß. Ich muss schnell weiter. Die Pferde warten.", meinte Julia und war schon wieder verschwunden.
"Komm nochmal her!", rief ich Paul nun zu. Er tat dies und sagte: "Er nimmt keine Hilfen an. Egal, was ich mache er wehrt sich."
"Was hast du für ein Gebiss drauf?"
"Eine normale Springkandarre. Warum?"
"Die ist ihm zu hart. Ich hol dir mal was. Reit ihn in der Zeit einfach locker vorwärts abwärts ein bisschen im Trab.", sagte ich und ging dann in die Sattelkammer. Dort stand ganz hinten in der Ecke ein Schrank mit nicht gebrauchten Trensen, Schabracken und allem anderen Zeug. Hier kramte ich eine Weile, bis ich ein doppelt gebrochenes Gebiss mit einem mexikanischen Reithalfer rausgesucht hatte. Dies baute ich nun alles richtig zusammen und ging dann zurück zum Springplatz. Dort angekommen rief ich Paul zu mir und nahm dem Wallach die Trense ab, um ihn dann die andere an zu legen.
"So. Das müsste besser passen. Versuch es so mal.", wies ich Paul an, nachdem ich alles richtig eingestellt hatte.
"Okay.", sagte dieser und ritt los. Nun ließ der Wallach seinen Hals schön fallen und nahm die Hilfen von Paul perfekt an.
"Super! Das sieht doch schon ganz anders aus! Jetzt haben wir ein zufriedenes Pferd!", sagte ich begeistert.
"So super ist er schon lange nicht mehr gelaufen!", stimmte Paul mir zu.
"Sehr gut. Dann zeig mal, was ihr so könnt.", sagte ich und erklärte ihm dann, welchen Parcours er reiten sollte. Er setzte dies auch ganz gut um. Das einzige Problem war, dass er die Distanzen einfach nicht traf.
Ich schaute ihm noch eine Weile zu und rief dann: "Gut. Das reicht für's Erste. Reit ihn noch in Ruhe trocken und mach ihn dann fertig. Heute Mittag um eins seid ihr bitte komplett fertig am Dressurviereck. Zu komplett fertig gehört auch fertig abgeritten, sodass wir gleich anfangen können! Wir haben nicht viel Zeit!"
"Okay.", antwortete er. So ging ich nun zum Stall und übernahm Cheyenne von Jenny.
"Sie ist schon Schritt gegangen. Kannst sofort mit Trab anfangen.", erklärte Jenny mir.
"Super! Danke!", sagte ich und schwang mich auf den Rücken der Stute.
"Was ist mit Ginger?"
"Stellt die einfach solange auf die Weide. Heute Nachmittag trainiere ich ja dann mit ihr."
"Okay. Ich mach dann mal weiter.", meinte Jenny und ging wieder. Ich ritt nun zur Geländestrecke, wo ich die Stute antrabte. Anfangs war es nur ein lockerer Trab, den ich dann mit jeder Runde steigerte, bis sie dann im Stechtrab lief. Auch hier ließ ich sie eine Runde laufen, bevor ich sie dann angaloppierte. Auch hier fing ich langsam an und trieb die Stute bei jeder Runde etwas schneller.
Im Jagdgalopp ließ ich sie dann ein paar Runde, bevor ich das Tempo dann langsam Runde für Runde wieder raus nahm.
Als ich dann einen versammelten Trab erreicht hatte, ließ ich sie dann noch eine Runde Vollgas geben, bevor ich sie dann durch parierte und ausgiebig lobte.
"Sie ist echt schnell!", kam es nun auf deutsch vom Zaun. Ich schaute hoch und da stand Paul.
"Naja. In der letzten Runde war jetzt schon ein bisschen die Luft raus. Da müssen wir noch dran arbeiten, aber sie wird langsam besser.", meinte ich, während ich nun abstieg.
"Für was trainierst du sie?"
"Distanzrennen. Wir züchten hier Araber und trainieren sie für Distanzrennen."
"Das sind doch dies Rennen, die über mehrere Kilometer gehen oder?"
"Ja."
"Wie weit läuft sie denn so?"
"Cheyenne läuft aktuell 80 Kilometer Ritte. Ich trainiere aber auf die 100 Kilometer hin. Da will ich dann nächste Saison mit ihr starten."
"100 Kilometer? So weit?"
"Ach. Das ist noch nicht so weit. Aber sie ist ja noch jung."
"Nicht so weit? Was ist denn das weiteste?"
"Also die Königsdisziplin ist der so genannte hundert Meiler. Der geht, wie der Name schon sagt, über hundert Meilen geht. Also 160 Kilometer."
"Und wie lange braucht ihr da so?"
"Vorgeschrieben ist eine durchschnittliche Geschwindigkeit von mindestens 12 km/h. Du kannst mit den Pausen so ungefähr 15 Stunden rechnen. Es kommt dann halt noch drauf an, wie die Strecke ist. Wenn du viel steinigen Untergrund oder viele Berge hast, kannst du nicht so schnell reiten. Da kann es dann auch mal ein oder zwei Stunden länger dauern."
"Oh Gott! 15 Stunden im Sattel! Das muss doch tierisch anstrengend sein oder nicht?"
"Naja. Wenn man vorher genug trainiert hat und das Pferd gut läuft ist das eigentlich recht locker."
"Recht locker? 160 Kilometer durch galoppieren nennst du recht locker?"
"Ich mach das jetzt schon seit Ewigkeiten. Ich bin mit 14 mein erstes Rennen über 160 Kilometer geritten. Da kannst du dir ja mal ausrechnen wie lange ich das schon mache. Da gewöhnt man sich schon dran. Außerdem mach ich hier doch auch den ganzen Tag nichts anderes als Reiten. Da macht das keinen großen Unterschied."
"Also ich glaub für mich wäre das nichts."
"Das ist bei dem Sport halt so. Entweder man mag es oder eben nicht. Was dazwischen gibt es nicht. Und ich wurde da mehr oder weniger rein geboren. Ich saß mit zwei Monaten das erste Mal auf einem Pferd und hab mit zehn mein erstes Rennen geritten."
"Und wie schaffst du es dazwischen noch Springen zu reiten?"
"Mit einem erstklassigen Team und einer tollen Familie. Anders würde ich das auch nicht schaffen. Ich trainiere morgens ganz früh, mittags in der Pause und abends ganz spät mit Ginger. Zwischendurch reite ich dann noch die anderen, die ich trainiere. Da hab ich zum Glück Jenny, die mir hilft. Sie macht die Pferde alle so weit fertig, dass ich ihr das erste Pferd übergebe und das nächste komplett fertig übernehme und mich direkt drauf setzen und los legen kann."
"Das muss doch ein tierischer Stress sein oder nicht?"
"Mit der Zeit gewöhnst du dich dran. Ich mach das jetzt seit bald 30 Jahren so."
"Wie viele Pferde habt ihr hier eigentlich?"
"Momentan ungefähr 300."
"Wow! Nach so vielen sieht das gar nicht aus."
"Ungefähr die Hälfte steht ja auch noch hinten bei den Wäldern auf den Wiesen. Hier das ist ja nur der Hof. Uns gehören noch ungefähr 100 Hektar Land mit Wäldern rund herum. Unsere Jungpferde haben wir den Sommer über halb wild hinten auf den Koppeln stehen. Es guckt immer nur jeden Tag jemand nach ihnen und wir sind eben da, wenn Käufer Interesse haben."
"Und ich dachte immer von dem Gestüt, dass ich kenne, dass es riesig ist, aber das toppt ja alles!"
"Wir sind nicht umsonst das größte Gestüt Polens. Jetzt muss ich aber weiter. Die ganzen Pferde trainieren sich nicht von selbst.", meinte ich und brachte Cheyenne nun zu Jenny, um mir von dieser das nächste Pferd zu holen.
So ging es den ganzen Vormittag. Ich trainierte ein Pferd nach dem anderen und Paul schaute mir vom Rand aus total begeistert zu.

Der falsche Sprung - KorrekturWo Geschichten leben. Entdecke jetzt