Kapitel 28

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Mit Vollgas verließen wir den Hof in Richtung Wald.
"Du hast schon wieder den falschen Weg! Da kommt gleich die Mauer!", schimpfte Ben hinter mir.
"Ich weiß.", meinte ich nur und trieb die Stute schneller.
"Lisa!", schimpfte Ben weiter, aber ich ignorierte ihn einfach und mit einem Satz flog die Stute über die Mauer.
"Es reicht!", schimpfte Ben nun.
"Halt die Klappe und halt dich fest. Sonst liegst du gleich unten.", meinte ich nur und ritt auf die hohen Natursprünge zu. Nach für nach überwanden wir die Sprünge und galoppierten mit Vollgas durch das Wasser auf die zweite Mauer zu. Ginger legte immer mehr an Tempo zu und mit einem Satz flog sie über die Mauer.
Ben war auf einmal ganz ruhig und krallte sich an mir fest. Das war Ginger allerdings relativ egal. Sie raste weiter, bis sie an der Straße anhielt. Sie stand allerdings nur, bis ich ihr die Zügel frei gab und raste dann wieder mir Vollgas weiter. Erst vor der Schule machte sie eine Vollbremsung und rutschte mit den Hinterbeinen durch den Kies. Ben hinter mir rutschte gefährlich zur Seite, aber er fing sich noch einmal und rutschte dann langsam von dem Rücken der Stute. Ich tat ihm das nach und nahm ihm die Tasche ab.
"Ich bring die gerade rein.", erklärte ich und ging dann rein.
An Emelys Klassenzimmer angekommen, klopfte ich an die Tür und ging dann rein. Emely sprang direkt auf und nahm mir die Tasche ab.
"Entschuldigen Sie für die Störung.", sagte ich und ging dann wieder raus zu Ben. Dieser sah irgendwie ziemlich blass und nicht wirklich gut aus.
"Ist alles okay?", fragte ich besorgt.
"Du darfst nicht über Jenny meckern. Du bist selber viel schlimmer!", sagte er nur.
"Ich weiß gar nicht, was du hast. Wir sind doch nur ein bisschen gesprungen."
"Das war eine zwei Meter hohe Mauer!"
"Ja und? Das springt sie im Parcours auch."
"Aber da sind Stangen dran, die runter fallen können! Die Mauer ist fest!"
"Schatz, komm mal runter. Sie hat es doch geschafft und alles ist gut!"
"Mach das nie wieder! Das ist viel zu gefährlich!"
"Ben, das nennt man Geländespringen. Das ist nunmal so."
"Gut, dass du nur normale Springen reitest. Sonst würde ich das glaube ich nicht überleben und jedes Mal mit einem Herzinfarkt zusammenbrechen."
"Das macht Emely dann."
"Nein!"
"Passen würde es zu ihr."
"Auf keinen Fall!"
"Das sehen wir dann noch."
"Bitte nicht! Das überlebe ich nicht!"
"Wart mal ab. Das endet so, dass sie sich in den Vielseitigkeitsreiter verschießt, der bald kommt und dann mit dem reitet."
"Oh nein! Wie alt ist der Typ?"
"Zwei Jahre älter als sie."
"Verdammt! Dann würde das ja auch noch passen!"
"Sag ich ja!"
"Bitte tu was dagegen!"
"Garantiert nicht! Der hat wenigstens einen besseren Einfluss auf sie, als dieser komische andere Typ. Vielleicht kann der sie aus ihrem super tollen Freundeskreis rausholen."
"Hoffentlich! Chantal! Wenn ich das schon höre!"
"Ja. Die soll wohl der beste Einfluss sein."
"Ihr kompletter Freundeskreis ist nicht besser! Die sind alle so!"
"Ich weiß. Die braucht irgendwen, der sie da rausholt und das sollte am besten ein Typ sein in den sie so richtig verschossen ist."
"Na dann hoffe ich mal, dass dein Vielseitigkeitsreiter was taugt."
"Also am Telefon klang er echt nett und er soll wohl auch schon einiges gewonnen haben."
"Und warum kommt der her?"
"Ich trainiere den ein Wochenende lang im Springen."
"Und solange wohnt der dann bei uns oder wie?"
"Nein. Der hat irgendwo ein Hotelzimmer und nur sein Pferd solange dann bei uns stehen."
"Was hat der denn für ein Pferd?"
"Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass es ein Hengst ist und wohl Bismarck heißt."
"Bismarck?"
"Ja. Ist wohl ein Deutscher."
"Kann der polnisch?"
"Nein, aber fließend englisch und ich kann deutsch."
"Und was ist mit Emely?"
"Die kann englisch und ihm dann polnisch beibringen."
"Als ob die freiwillig englisch spricht."
"Muss sie dann ja wohl. Da bleibt ihr nichts anderes übrig."
"Ja dann kann das noch lustig werden!"
"Oder sie muss deutsch lernen."
"Das glaubst du doch wohl selber nicht!"
"Wart mal ab. So ein heißer Vielseitigkeitsreiter macht so einiges möglich."
"Wie kommst du jetzt darauf, dass er heiß ist?"
"Hast du schonmal einen Vielseitigkeitsreiter gesehen, der es nicht ist?"
"Und wer sagt, dass Emely das auch findet?"
"Vertrau da mal ganz auf mich. Ich krieg das schon hin."
"Ist die Rechnung von der Polizei schon gekommen?"
"Hatte ich Zeit nach zu gucken?"
"Okay. Sorry."
"Schon gut. Jetzt lass und aber zurück reiten."
"Okay, aber bitte langsam!"
"Ja. Ein bisschen locker Trab und Schritt, dass Jenny die dann direkt wegbringen kann."
Locker ritten wir nun wieder zurück zum Gestüt, wo wir abstiegen und Ginger direkt an Jenny übergaben.
"Was hast du denn mit der gemacht?", fragte diese mit einem Blick auf das vom Schlamm und Schweiß verklebte Fell der Stute.
"Ich hab Emely zur Schule gebracht und auf dem Weg ein Stück von dem neuen Vielseitigkeits Parcours ausprobiert.", berichtete ich.
"Und ich darf die jetzt wieder sauber kriegen oder wie?"
"Ja. Wenn's geht schon, aber wenn du keine Zeit hast, kann ich das sonst auch machen.'
"Ne ne. Lass mich das mal machen. Du musst reiten. Harima ist schon fertig. Steht in ihrer Box. Sie ist schon Schritt gegangen."
"Sehr gut. Danke!", sagte ich und ging dann zu Harimas Box, um mit der Stute zu trainieren.

So ging es den ganzen Tag bis spät in die Nacht rein. Erst gegen zehn Uhr waren endlich alle Pferde versorgt, gefüttert und standen fertig in ihren Boxen. Nun hatten auch wir endlich Feierabend und trafen uns noch einmal in der Sattelkammer. Ich nahm nun den Plan ab und sagte: "Kommt alle mit rein. Wir bestellen irgendwas zum Essen. Nach so einem Tag lad ich euch ein."
Die anderen stimmten zu und so bestellten wir uns Pizza, um gemeinsam etwas zu essen. Danach unterhielten wir uns noch eine Weile, bevor die Anderen dann nach Hause fuhren und wir zu Bett gingen. Für mich war der Tag allerdings noch nicht vorbei. Ich durfte mich nun durch die Berge an Papierkram, die sich in den letzten Tagen angesammelt hatten kämpfen.
Ganz oben lag ein Brief und ich erkannte sofort, dass es die Rechnung von der Polizei war. Ich öffnete den Umschlag und mir klappte die Kinnlade runter.

Bens Sicht:
"Ach du Scheiße!", hörte ich Lisa aus dem Büro fluchen.
"Was ist?", fragte ich und ging zu ihr rein.
"Die Rechnung ist da."
"Und?"
"Die wollen 100 000 von uns! Für diesen popeligen Ferrari!"
"Bis wann?"
"Innerhalb der nächsten zwei Wochen. Bar!"
"Okay. Das mit dem neuen Pferd hat sich glaube ich erledigt."
"Das Geld nehm ich von ihr!"
"Als ob die das mal eben bezahlen kann! Da können wir froh sein, wenn die 1000 zusammen kriegt! Du kannst sie das nicht alles bezahlen lassen!"
"Ich weiß ja, aber sie soll schon mal merken, dass ihre Aktion da ordentlich teuer war!"
"Ich denke mal das wird ihr bewusst sein."
"Ich denke nicht. Die Frage ist nur, wo wir den Haufen Geld mal eben so her kriegen."
"Wir nehmen einfach das Geld, was wir für das neue Pferd haben wollten. Dann muss das eben noch eine Weile warten."
"Nein. Hast du dir mal angeguckt, was da für Pferde im Angebot sind? Wir brauchen einen neuen Nachwuchs Hengst, der auch was taugt."
"Ich weiß ja, aber das Geld muss auch irgendwie bezahlt werden!"
"Ja. Wir kriegen das schon irgendwie hin, aber Emely arbeitet dafür! Das kann ich dir sagen! Die kommt nicht ungeschoren davon!"
"Das ist mir schon klar, aber das hat noch Zeit. Jetzt geht's erstmal ins Bett!"
"Ja. Bis morgen!"
"Wie bis morgen? Du kommst mit!"
"Ich muss erstmal noch arbeiten."
"Du musst gar nichts! Schlafen ist viel wichtiger! Das hast du jetzt seit bestimmt einer Woche nicht mehr richtig!"
"Ja und?"
"Ja nichts ja und! So wenig zu schlafen ist auch nicht gesund!"
"Das ist mir schon bewusst, aber jetzt muss ich erstmal arbeiten. Schlafen kann ich auch morgen noch."
"Müssen wir diese Diskussion eigentlich immer wieder führen?"
"Scheinbar schon. Sonst hättest du schon aufgegeben."
"Ich will doch nur nicht, dass du die Nächste bist, die im Koma liegt!"
"Ich weiß ja, aber du brauchst dir keine Sorgen machen. Ich kann schon auf mich selber aufpassen."
"Ich hab deinen Eltern versprochen immer auf dich auf zu passen. Dann muss ich das auch machen."
"Wann das denn?"
"Deinem Vater bei der Hochzeit und deiner Mutter kurz vor...", begann ich. Ich traute mich auch nach so vielen Jahren noch nicht das Wort aus zu sprechen.
"Ihrem Selbstmord?", beendete Lisa den Satz fragend.
"Ja."
"Hast du sie davor nochmal gesehen?"
"Ja. Am Abend. Da warst du schon im Büro und ich hab noch aufgeräumt. Sie kam dann und hat mich gefragt, ob sie mich was fragen könnte und ob ich ihr versprechen würde, dass ich immer auf dich aufpasse. Das hab ich gemacht und sie ist dann raus."
Ich sah nun, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Mist! Hätte ich doch bloß nichts gesagt!
Sanft legte ich einen Arm um sie und wartete.
"Danach muss sie es getan haben.", schluchzte sie kurze Zeit später. Ich nickte nur und nahm sie in den Arm.
"Warum hast du mir das nie erzählt?", fragte sie nachdem sie sich wieder etwas beruhigt hatte.
"Weil ich wusste, wie du darauf reagierst und das wollte ich nicht. Ich will nicht, dass du weinst. Ich will, dass du glücklich bist."
Darauf wusste sie nun nichts mehr zu sagen. "Es tut mir leid. Ich hätte es dir sagen müssen.", sagte ich nach einer Weile.
"Nein. Du hast alles richtig gemacht. Danke Schatz!", sagte sie leise, sodass sie es schon fast flüsterte.
"Ach Süße. Es ist jetzt schon über 12 Jahre her. Du musst das alles irgendwie hinter dir lassen.", versuchte ich sie zu beruhigen.
"Übermorgen sind es 13.", sagte sie. Da viel es mir wie Schuppen von den Augen. Übermorgen war der Todestag! Wie konnte ich das nur vergessen? Deswegen war sie so fertig!
"Oh.", sagte ich nur.
"Ja."
"Entschuldigung. Da hab ich nicht dran gedacht."
"Ist okay."
"Nein. Nichts ist okay. Dir geht's beschissen. Das sehe ich doch!"
"Ich bin nur ein bisschen fertig."
"Ein Bisschen ist gut! Du bist völlig fertig und das ist nach den letzten Tagen auch verständlich! Komm mit ins Bett!"
"Schatz ich kann nicht! Ich versinke hier in dem ganzen Papierkram! Und der Plan für morgen ist auch noch nicht fertig! Ich muss noch arbeiten!"
"Du musst ins Bett! Wir kommen auch noch einen Tag länger ohne Plan aus. Das funktioniert doch!"
"Nein! Wir brauchen endlich wieder einen ordentlichen Plan!"
"Das funktioniert aber nicht! Schon allein, weil wir zwischendrin zwei Stunden weg sind."
"Dafür sind wir danach dann zwei Leute mehr."
"Ja. Häng einfach den Plan, wie heute auf. Alles andere bringt nichts."
"Wenn du meinst."
"Ja. Das meine ich und du kommst jetzt mit hoch."
"Darf ich den Plan wenigstens noch ausdrucken?"
"Ja. Los."

Der falsche Sprung - KorrekturWo Geschichten leben. Entdecke jetzt