Kapitel 31

68 4 0
                                    

Nachdem die Pferde dann versorgt waren, wurde das erstmal gefeiert. So saßen wir unter einem der großen Festzelte und unterhielten uns mit anderen Reitern, die wir jedes Jahr wieder sahen. Da klingelte auf einmal mein Handy.
"Ja?", meldete ich mich.
"Du Mutti..."
"Ja? Was ist?"
"Ich hab da so ein Problem."
"Emely! Komm auf den Punkt! Was ist?"
"Stuart liegt hier bewusstlos auf dem Boden."
"Ach du Scheiße!"
"Was ist?", kam es von Ben.
"Ich komme sofort wieder.", sagte ich zu ihm und ging dann raus.
"Okay Emely. Was ist passiert?", richtete ich mich nun wieder an meine Tochter.
"Ich weiß es nicht. Ich kam rein und dann lag er da.", meinte diese.
"Hat er Puls?"
"Keine Ahnung."
"Okay. Atmet er?"
"Glaube nicht."
"Ruf sofort einen Notarzt!"
"Wie denn?"
"Notdienst anrufen! Jetzt! Ich diktiere dir, was du sagen sollst!"
"Okay."
Nun herrschte kurz Stille, bevor Emely fragte: "Was soll ich sagen?"
"Wie du heißt, wo du bist und was passiert ist. Und ganz wichtig, dass es dringend ist, weil er nicht mehr atmet!", wies ich an. Emely gab das nun an durch und fragte dann: "Was soll ich machen?"
"Was haben die gesagt? Kommen die jetzt?", fragte ich.
"Ja."
"Okay. Stabile Seitenlange kriegst du nicht hin oder?"
"Nein."
"Okay. Was haben die denn gesagt, was du machen sollst?"
"Warten."
"Okay. Dann mach das."
"Könnt ihr kommen?"
"Emely, wir sind hunderte Kilometer entfernt auf einem Rennen mit zwei Pferden! Wir können nicht so einfach kommen!"
"Bitte! Ich komme hier alleine nicht klar!"
"Wir brauchen aber mindestens drei Stunden!"
"So lange?"
"Ja. Eher vier. Wir müssen ja noch alles einladen!"
"Und was mach ich in der Zeit?"
"Ruf Julia an und fahr mit ihr dann ins Krankenhaus. Wir kommen da hin."
"Die ist mit Johannes im Restaurant."
"Emely, das ist ein Notfall! Die muss dann eben alles stehen und liegen lassen und kommen!"
"Okay. Danke!"
"Bis gleich!", sagte ich und legte auf. Schnell rannte ich wieder ins Zelt und sagte: "Wir müssen alles packen und sofort los!"
"Was ist los?", fragte Ben, der sofort aufgesprungen war.
"Ein Notfall! Wir müssen sofort los!"
"Emely?"
"Nicht direkt."
"Lisa was ist los?"
"Das war Emely. Die hat deinen Vater bewusstlos gefunden und glaubt er atmet nicht mehr."
"Was heißt glaubt?"
"Ich weiß nicht, aber wir müssen sofort los!"
Nun war auch der Rest des Teams aufgestanden und Jenny meinte: "Ich und Mia nehmen die Pferde! Ihr den Rest!"
"Ihr wollt jetzt nicht noch alles einpacken oder?", fragte Gina, eine andere Reiterin, die wir schon seit Jahren kannten.
"Natürlich! Sollen wir alles hier lassen oder wie?"
"Ich bin mit dem Auto da. Nehmt das und fahrt schnell zu zweit! Das geht schneller!", schlug sie vor.
"Und wie kommst du nach Hause?"
"Ich lass mich dann morgen zu euch fahren. Hier sind die Schlüssel.", meinte Gina und warf mir ein Schlüsselbund zu.
"Danke!", rief ich noch, bevor ich mit Ben zu Ginas Auto eilte und wir los fuhren.
Mit Vollgas rasten wir über die Autobahn und auf dem schnellsten Weg zurück zum Gestüt. Dank freier Autobahn schafften wir es so sogar in nur zwei Stunden am Krankenhaus zu sein, wo wir direkt nach drinnen eilten. Dort sahen wir schon vom Weiten Julia und Emely sitzen. Schnell eilten wir zu ihnen und Ben fragte nervös: "Und?"
"Noch kein Ergebnis.", meinte Julia.
"Hatte er Puls oder hat geatmet?"
"Nein. Ich hab zumindest nichts gemerkt und als die mit dem Krankenwagen kamen, haben die ihn auch nur rein geschafft, haben versucht zu reanimieren und sind gefahren. Zu uns haben die kein Wort gesagt."
"Na super. Wie geht's dir?", fragte ich nun an Emely gerichtet. Diese zuckte nur mit den Schultern und ich sah ihr an, dass sie das alles ganz schön fertig machte. Ich kniete mich nun zu ihr und nahm sie in den Arm.
"Das war super! Du hast genau richtig gehandelt!", sagte ich und strich ihr sanft über den Rücken. Sie rührte sich nicht, sondern starrte nur weiterhin an die Wand. Langsam kullerte eine Träne ihre Wange entlang. Dann noch eine.
"Was ist, wenn er stirbt?", schluchzte sie nach einer Weile.
"Du hast dein best möglichstes gegeben. Mehr hätte niemand machen können!", tröstete ich sie.
"Hätte ich doch bloß diesen blöden Erste Hilfe Kurs gemacht!"
"Der hätte dir da auch nicht weiter geholfen! Auf solche Momente bereitet dich kein Kurs der Welt vor! Du hättest nicht mehr machen können, als du gemacht hast!"
So wirklich tröstete sie das allerdings auch nicht und sie weinte weiter.
"Shhh. Ganz ruhig.", redete ich beruhigend auf sie ein, bis dann ein Arzt raus kam. Schon vielen alle Blicke auf ihn.
"Es tut mir so sehr leid! Wir haben alles versucht, aber wir konnten nichts mehr machen.", sagte er enttäuscht. Ich ließ Emely nun los und ging zu Ben. Sanft legte ich einen Arm um ihn und fragte: "Was hatte er?"
"Das ist ein bisschen kompliziert zu erklären. Ich glaube das verstehen sie nicht."
"Ich hab drei Jahre lang in einer Tierklinik gearbeitet. Legen sie einfach los."
"Achso. Okay.", sagte der Arzt und schmiss dann mit einem Haufen von lateinischen Fachbegriffen um sich.
"Vielen Dank!"
"Da gibt es nichts zu danken."
"Doch. Sie haben jetzt stundenlang alles gegeben, um ihn irgendwie wieder zurück zu holen. Vielen Dank dafür!"
"Das ist mein Job.", meinte der Arzt nur und ging.
"Könntest du mir das vielleicht mal übersetzen?", fragte Ben nun ruhig.
"Im Großen und Ganzen ist er an einem Herzstillstand gestorben. Die ganzen Einzelheiten sind zu kompliziert zu erklären."
"Hätte man ihn retten können?"
"Nein. Keine Chance."
"Hätten wir irgendwas tun können?"
"Nein. Wenn das Herz erstmal aufgehört hat zu schlagen, ist es so gut wie vorbei und sein Herz war kaputt. Das hätte keiner mehr zum Schlagen bringen können."
"Aber das muss er doch vorher gemerkt haben oder nicht?"
"Ja, aber wenn er nicht zum Arzt geht, bringt das nichts."
Von Ben kam nur noch ein stilles Nicken. Er gab es vielleicht nicht zu, aber ich sah ihm an, dass er traurig und ziemlich fertig war. Er hatte zu ihm zwar nie ein gutes Verhältnis gehabt, aber er war immernoch sein Vater und tief im Inneren liebte er ihn. "Komm. Wir gehen raus.", sagte ich nun und schob Ben mit mir raus.

Draußen angekommen blieben wir einfach am Rand vom Parkplatz stehen.
"Du steckst das nicht so einfach weg, wie du es zugibst oder?", fragte ich nun. Von Ben kam keine Reaktion.
"Schatz, du kannst ruhig traurig sein und du kannst auch ruhig mit mir reden! Ich hab dir die Ohren voll geheult, als meine Eltern gestorben sind. Das machst du jetzt bitte auch! Reden hilft!", sagte ich nun, aber von Ben kam noch immer keine Reaktion.
"Rede mit mir! Wenn du nicht sprichst, kann ich dir auch nicht helfen!"
"Lass uns nach Hause fahren.", meinte Ben nun.
"Bist du sicher, dass du in der Verfassung jetzt noch Auto fahren willst?"
"Irgendwie müssen wir ja nach Hause kommen."
"Julia kann auch fahren."
"Und wie kriegen wir dann Ginas Auto wieder nach Hause?"
"Dann fahren wir eben mit Ginas Auto und Julia holt ihr Auto morgen ab."
"Meinst du?"
"Ja. Komm. Wir reden mit denen.", meinte ich und zog ihn mit mir rein.
"Julia könntest du vielleicht fahren?", fragte ich.
"Ja klar. Seid ihr mit dem Pferdetransporter hier?", fragte Julia.
"Nein. Gina hat uns ihr Auto geliehen und kommt es morgen dann abholen."
"Okay. Also soll ich am Besten dann mit dem Auto fahren?"
"Wenn's geht ja."
"Okay. Dann lass uns los.", meinte Julia und stand auf. Emely tat ihr das nach und kam langsam zu mir. Ich legte den anderen Arm um sie und so gingen wir nun raus zum Auto.
Als Julia dann los fuhr, bemerkte ich, dass sie in etwa den selben Fahrstil wie Jenny hatte. Na klasse! Auch das noch! Aber das war jetzt nebensächlich. Momentan stand meine Sorge um Ben im Vordergrund. Ich war mir ganz sicher, dass er das alles nicht so einfach verarbeiten konnte und sich nur nicht traute mit mir zu reden. Ich war mir schon sicher, dass er den Tod seiner Mutter damals nie richtig verarbeitet hatte. Das hier riss seine Wunde nur wieder auf. Er musste dringend mit irgendjemanden über alles, was passiert war reden. Das würde ihm vielleicht helfen. Irgendwie musste er das ja verarbeiten. Dazu kam noch, dass mir Emely ganz schön Sorgen bereitete. Sie hatte das alles komplett mit gekriegt und ihn gesehen. Das konnte man auch nicht so einfach weg stecken.

Der falsche Sprung - KorrekturWo Geschichten leben. Entdecke jetzt