Nachdem sie dann versorgt war und wieder auf der Weide stand, ging ich dann rein, wo Gina und Ben in der Küche saßen und Kaffee tranken. Ich setzte mich nun zu ihnen und Ben stand auf, um mir wenig später ebenfalls einen Kaffee hin zu stellen.
"Danke Schatz!", sagte ich.
"Gerne. Wie war das Training?", fragte Ben.
"Naja. Sie springt die Wechsel noch nicht richtig und die Pirouetten sind eine reinst Katastrophe."
"Und ich dachte immer sie wäre ein Springpferd."
"Du wirst es nicht glauben, aber auch Springpferde müssen ordentlich am Zügel gehen und einen fliegenden Wechsel springen können."
"Muss das denn alles so perfekt sein?"
"Nein. Natürlich nicht."
"Wozu muss sie dann eine Pirouette können?"
"Du klingst als hättest du noch nie ein Stechen gesehen. So ein paar Hinterhand Wendungen sind da nicht schlecht und die sind vom Prinzip her das Gleiche wie Pirouetten."
"Aha. Und das muss sie perfekt beherrschen?"
"Wenn sie mit mir Olympia gewinnen will schon. Ja."
"Na dann hab ich nichts gesagt."Wir unterhielten uns nun noch eine Weile mit Gina, bevor diese dann wieder nach Hause musste. Ben verabschiedete sich nur kurz von ihr und verschwand dann im Stall.
"Was ist jetzt eigentlich mit seinem Vater? Ich hab mich eben nicht getraut zu fragen.", fragte Gina, als er weg war.
"Ist tot. Sein Herz war kaputt und hat irgendwann dann einfach aufgehört zu schlagen. Das musste leider ausgerechnet gestern Abend sein.", berichtete ich.
"Oh. Das tut mir leid."
"Muss es nicht."
"Er steckt das aber recht gut weg oder?"
"Nein. Er gibt nur nicht zu, wie schlecht es ihm eigentlich geht."
"Was ist eigentlich mit seiner Mutter?"
"Die ist an Krebs gestorben, als er sieben war."
"Wie kam er damit klar?"
"Gar nicht. Er hat das bis heute noch nicht richtig verarbeitet und sein Vater war nie für ihn da. Er hat nie irgendwen gehabt, der für ihn da war."
"Schlimm. Wie soll ein Siebenjähriger so etwas denn alleine verarbeiten?"
"Gar nicht. Er hat das bis heute noch nicht hinter sich gelassen und redet eigentlich nur drüber, wenn man ihn dazu zwingt."
"War er mal an ihrem Grab?"
"Nicht dass ich wüsste."
"Schleif ihn da mal hin. Vielleicht hilft ihm das."
"Super Idee! Da bin ich noch gar nicht drauf gekommen!"
"Na siehst du. Manchmal hab auch ich gute Ideen."
"Klasse! Danke!"
"Nichts zu danken. Ich muss jetzt aber echt los. Meine Pferdchen warten."
"Ja. Wir sehen uns dann!"
"Bis dann!", sagte Gina noch und stieg dann ein, um wenig später vom Hof zu fahren.
Ich ging nun rein, um dort dann noch den Rest von meinem Papierkram fertig zu machen.Als ich gerade fertig war, kam Ben rein und fragte: "Was machst du denn so?"
"Bis eben gerade arbeiten. Ich bin jetzt aber fertig.", berichtete ich, während ich die letzten Unterlagen verstaute.
"Ist schon irgendwas wegen der Beerdigung geplant?"
"Schatz, ich hab dir doch versprochen, dass ich mich darum kümmere. Dann mach ich das auch. Du hältst dich da einfach mal raus."
"Ist ja schon gut! War nur eine Frage."
"Ich organisiere das schon alles. Keine Sorge."
"Sonst irgendwas neues?"
"Der Typ von der Tankstelle hat sich gemeldet."
"Und?"
"Er gibt sich zufrieden mit einer Geldstrafe von 10 000 €."
"Jetzt echt?"
"Ja."
"Das darf dich nicht wahr sein! Die hat eine Bierflasche geklaut! Bei einem Fernseher oder so verstehe ich das ja, aber es war nur eine Bierflasche!"
"Wir können nur zufrieden sein, dass er keine Anzeige erstattet. Das wäre deutlich schlimmer ausgegangen."
"Warum macht sie auch so einen Mist?"
"Ich verstehe das ja auch nicht. Sonst hat sie nie so etwas gemacht und jetzt auf einmal fängt sie an."
"Da ist bestimmt nur diese komische Chantal schuld!"
"Ich denke eher der komplette Freundeskreis ist nicht der beste."
"Ich kenn die alle nicht."
"Ich auch nicht. Aber das soll uns ja auch relativ egal sein. Ist ihre Sache, was sie mit wem macht."
"Wo ist sie überhaupt?"
"Keine Ahnung. Ich hab sie heute noch nicht gesehen, aber das ist ja nichts neues. Wir sehen sie ja sowieso nur zum Essen."
"Und wenn sie wieder den Bus verpasst hat und wir sie bringen müssen."
"Ja. Dann auch."
"Sonst irgendwas besonderes?"
"Ne. Nicht wirklich."
"Was steht diese Woche noch so an?"
"Dein Fußball Training am Wochenende und wir müssen die zwei Jungpferde noch irgendwann einreiten."
"Ja. Aber ich glaube das schaffen wir erst, wenn das ganze Chaos vorbei ist."
"Ja. Dieses Jahr sind wir ganz schön spät dran."
"Es war ja auch nur Chaos und es werden jedes Jahr mehr Pferde."
"Ja. Weil die Leute lieber fertig angerittene Pferde kaufen, als Jährlinge, die sie komplett selber ausbilden müssen."
"Und weil wir jedes Jahr mehr Fohlen haben."
"Dafür auch jedes Jahr bessere Nachwuchspferde und Verkaufsquoten."
"Ja. Aber auch mehr Arbeit und schlaflose Nächte für alle."
"Ach die Nächte, die man sich mit Fohlen Geburten rum schlägt, sind doch schöne Nächte."
"Na ich weiß nicht. Wenn alles unkompliziert ist schon, aber wenn dann alles schief läuft nicht mehr."
"Du machst das doch gerne."
"Sonst würde ich ja wohl kaum hier arbeiten."
"Stimmt."
"Wie viel Uhr haben wir eigentlich?"
"Schon wieder viel zu spät."
"Das heißt?"
"Ab zur Fütterung.", verkündete ich und eine Stunde später waren alle Pferde fertig und wir standen mit allen anderen in der Sattelkammer.
"So. Feierabend. Morgen geht's dann weiter. Den Plan hänge ich noch auf.", verkündete ich und die anderen verabschiedeten sich, bevor sie dann gingen.
"Ich geh noch eine Runde mit Ginger joggen. So in einer Stunde bin ich dann wieder da. Vielleicht auch später. Je nachdem wie lange die Kleine durchhält.", sagte ich nun zu Ben und schnappte mir Gingers Trense.
"Okay. Viel Spaß!", sagte Ben. Ich gab ihm nun noch flüchtig einen Kuss, bevor ich dann zu Ginger ging. Diese war eine der ersten gewesen, die ihr Futter bekommen hatten und so konnte ich sie direkt auftrensen und los legen.
Zum Aufwärmen ging ich nun noch ein wenig Schritt mit ihr, bevor ich dann zu joggen begann. Die Stute trabte anfangs noch recht eilig neben mir her, aber mit der Zeit wurde sie dann ruhiger und trabte locker neben mir her.
Als die Stute dann langsam schwer zu atmen begann, ging ich ein wenig Schritt und joggte dann noch ein ganzes Stück, bis sie dann nicht mehr konnte. Mittlerweile war es auch schon fast dunkel und so machten wir uns langsam im Schritt auf den Rückweg.Wieder am Gestüt angekommen tigerte Ben bereits unruhig über den Hof.
"Da bist du ja endlich!", sagte er, als er mich sah.
"Wieso? Wie lange war ich denn weg?"
"Fast zwei Stunden."
"Echt? Kam mir gar nicht so lange vor."
"War es aber."
"Und warum bist du so nervös? Weil ich so lange weg war?"
"Nein."
"Warum dann?"
"Emely ist weg."
"Die wird wohl bei irgend einer Freundin sein."
"Sicher?"
"Ihr wird schon nichts passiert sein."
"Woher willst du das wissen?"
"Ben! Wir wohnen hier in dem größten Kaff irgendwo am Arsch der Welt. Was sollte ihr denn hier passieren?"
"Ja was weiß ich!"
"Komm runter. Ich ruf gleich Jo an. Vielleicht ist sie bei ihm in der Kneipe."
"Das ist nett. Danke!"
"Und du kommst jetzt mal runter. Ich will echt nicht wissen, wie du wirst, wenn sie den ersten richtigen Freund hat. Da wirst du dann wohl endgültig zum Stalker und lässt sie keine Sekunde mehr weg, ohne wissen zu wollen, wo sie hin geht und was sie macht!"
"So schlimm bin ich nun auch nicht!"
"Das werden wir dann sehen.", meinte ich nur und ging dann mit meiner Stute in den Stall.Nachdem Ginger dann versorgt war ging ich rein, um dann Jo an zu rufen.
"Jo's Kneipe?", meldete sich dieser.
"Hey Jo. Hier Lisa."
"Hey Lischen! Was gibt's?"
"Ist meine Tochter zufälligerweise bei dir?"
"Die ist vor ein paar Minuten raus."
"Okay. Danke!"
"Gibt's Stress?"
"Ja. Sie hat eigentlich Hausarrest und ist uns abgehauen."
"Oh. Na dann viel Spaß noch mit ihr. Die war stock besoffen."
"Na klasse. War sie alleine oder mit Freunden?"
"Anfangs kam sie mit irgend so einem Typen. Leon oder wie sie ihn genannt hat. Die haben sich eine Runde am Parkplatz angebrüllt und er ist dann weg. Sie hat sich daraufhin dann zugeschüttet."
"Okay. Danke! Dann schau ich mal, wo ich sie abholen darf."
"Viel Spaß!"
"Werd ich haben!"
Ich legte nun auf und ging runter zu Ben, der unruhig in der Küche hin und her lief.
"Alles gut. Sie war bei ihm und ist vor ein paar Minuten raus. Ich denke sie wird dann bald hier ankommen."
"Hoffen wir es mal."
"Wird sie. Den Weg nach Hause findet sie noch."
"Sicher?"
"Ben! Das wird schon!"
Wir warteten nun und Ben ging auch weiterhin unruhig hin und her.
Nach zehn Minuten meinte er dann: "Wenn sie in zehn Minuten nicht hier ist, fahr ich sie suchen!"
Ich zuckte nur mit den Schultern und so ging das Warten weiter. Die zehn Minuten vergingen sehr langsam und Ben meinte: "Es reicht! Ich fahr sie jetzt suchen!"
"Warte. Ich ruf sie an. Sie wird ihr Handy wohl dabei haben.", meinte ich und ging ins Büro, um von dort aus Emely an zu rufen.
"Ja?", meldete sie sich nach einer Weile.
"Emely, wo bist du?", fragte ich.
"Mum?", fragte sie und man konnte deutlich hören, dass sie nicht mehr ganz nüchtern war.
"Ja. Ich bin's."
"Kannst du mich abholen?"
"Warum?"
"Mir ist schlecht."
"Wo bist du?"
"Keine Ahnung."
"So ungefähr?"
"Keine Ahnung."
"Super. Wie sieht's da aus, wo du bist?"
"Dunkel."
"Das ist jetzt sehr hilfreich Emely!"
"Ist es aber."
"Gut. Findest du den Weg zurück zu Jo's Kneipe?"
"Weiß nicht."
"Versuch das mal. Wenn nicht rufst du nochmal an. Wir warten da.", sagte ich und legte nun auf. Von oben holte ich mir noch mein Handy und ging dann runter zu Ben.
"Und?", fragte dieser angespannt.
"Alles gut. Sie ist nur stock besoffen und hat keine Ahnung, wo sie ist. Ich hab ihr gesagt, dass wir uns bei Jo's Kneipe treffen.", berichtete ich.
"Okay. Dann los."
Wenig später saßen wir dann auch schon im Auto und nach etwa einer halben Stunde kamen wir an der Kneipe an. Dort war allerdings keine Spur von Emely.
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Der falsche Sprung - Korrektur
Random"Der Falsche Sprung" ist der vierte Teil mein Buchreihe über die Bewohner des Gestüts Michalòw. Emely Michalòw ist mittlerweile 16 Jahre alt und steckt mitten in der Pubertät. Hier wiederholte sie alles, was Lisa damals bereits mit 13 Jahren gemacht...