Kapitel 46

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Als er sich nach einer Weile wieder etwas beruhigt hatte, fragte ich: "Willst du drüber reden?"
Er schüttelte den Kopf.
"Hier ist niemand außer uns. Wenn du möchtest, kannst du ruhig mit mir sprechen. Das hilft und vielleicht kann ich dir dann auch helfen.", sagte ich. Von ihm kam nur ein leichtes Nicken.
"Komm. Wir setzen uns jetzt da auf die Treppe und dann erzählst du mir mal alles, was dir auf dem Herzen liegt.", schlug ich vor und setzte mich auf die Treppe. Ben folgte mir und setzte sich neben mich.
"So. Leg los!", wies ich ihn nun an. Von Ben kam nur ein leichtes Nicken, bevor er zu reden begann.

Stundenlang redete er mit mir über alles, was ihn beschäftigte. All die Sachen, die er damals, bei dem Tod seiner Mutter, nicht hatte verarbeiten können kamen nun wieder hoch und er erzählte mir alles, bis er dann schließlich seine Erzählungen schloss und nocheinmal tief durch atmete. Es war allerdings mehr ein befreiendes Atmen. Endlich hatte er mit jemanden reden können. Endlich hatte er seinen Gefühlen mal freien Lauf gelassen.
"Wollen wir zurück?", fragte ich nach einer Weile. Von Ben kam nur ein Nicken.
So standen wir nun wieder auf und gingen langsam wieder zurück.
"Alles in Ordnung?", fragte Julian besorgt, als wir wieder bei ihm ankamen.
"Ja. Alles gut.", meinte Ben.
"Wir sprechen später.", flüsterte ich ihm nur leise zu und stieg dann mit Ben zusammen ein.

Eine Stunde später kamen wir dann wieder am Gestüt an. Mittlerweile war es Nachmittag und auf dem Hof war kaum etwas los. Die Pferde standen alle draußen auf der Koppel und die Arbeiter waren alle in den Ställen unterwegs.
Wir gingen nun rein und ich schlüpfte wieder in meine Reithosen. Die waren doch deutlich bequemer, als so ein Kleid. Ben tat mir dies nach und verschwand dann im Stall, während ich mich nun mit Julian in die Küche setzte.
"Wie kam er damit klar?", fragte Julian.
"Naja. Ihn nimmt das ganze immernoch ziemlich mit. Vor allen Dingen das, was damals mit seiner Mutter war. Das hat er nie richtig verarbeitet."
"Was habt ihr die ganze Zeit gemacht?"
"Geredet. Ich hab ihn einfach alles erzählen lassen, was ihn beschäftigt."
"Und? Denkst du das hat ihm geholfen?"
"Und wie! Über all die Jahre hat er nie mit irgendwem gesprochen und das alles einfach immer mit sich selbst gemacht. Es hilft ihm jetzt über alles zu reden."
"Das ist gut. Er hat echt Glück gehabt dich zu finden!"
"Wie meinst du das jetzt?"
"Ohne dich wäre er einfach wieder in seine Welt zu den Pferden abgedriftet und hätte das alles in sich rein gefressen. Das wäre auf Dauer nicht gut geendet."
"Ja. Das stimmt."
"Er hat sich wahrscheinlich noch nie getraut dir das zu sagen, aber du bist ihm wirklich sehr wichtig. Ohne dich könnte er nicht mehr leben."
"Da geht's mir genauso. Wir brauchen uns gegenseitig."
"Könntest du mir bitte eins versprechen?"
"Was denn?"
"Dass du ihn niemals verlässt."
"Das habe ich vor Jahren bei unserer Hochzeit versprochen."
"Lisa, ich mein das ernst. Bitte versprich mir, dass du ihn nicht verlässt! Er würde daran zu Grunde gehen."
"Bis dass der Tod uns scheidet. Das habe ich versprochen und ich habe nicht vor dieses Versprechen jemals zu brechen. Das verspreche ich dir! Ben ist mir genauso wichtig, wie ich ihm. Ich könnte ihn nie verlassen."
"Das ist gut. Danke!"
"Kein Problem. Ben bedeutet dir viel oder?"
"Er ist einer meiner besten Freunde."
"Ich weiß und das ist gut so. Du schaffst es mit deinen absolut abstrusen Ideen ihm immer wieder jede Menge Spaß zu bereiten. Danke!"
"Ach das mache ich doch gerne. Das Ergebnis von den bescheuerten Ideen ist immer wieder für alle lustig."
"Nicht nur dafür. Auch dafür, dass du einfach immer für uns da bist und vor allen Dingen dafür, dass du so spontan einfach hier her kommst und hilfst."
"Hey. Das ist doch selbst verständlich! Das würdet ihr auch für mich machen. Außerdem ist es mir doch eine Ehre auf dem besten Gestüt Polens zu arbeiten und eure Siegerpferde reiten zu dürfen."
"Für's erste wirst du dich wohl mit den Nachwuchspferden zufrieden geben. Die Champions werden nur von Tom, mir und Ben geritten. Wer anderes darf da nicht drauf. Das hat mein Stallmeister leider untersagt."
"Dein Stallmeister?"
"Ja. Ben."
"Seit wann ist der denn dein Stallmeister?"
"Seit mein Vater damals Stuart gefeuert und Ben als Stallmeister eingestellt hat."
"Aha. Du willst mir jetzt aber nicht erzählen, dass er die Pläne und das alles macht, oder?"
"Nein. An den Büro Kram lass ich ihn nicht dran. Das kann er einfach nicht und er wird es auch nie lernen. Er kümmert sich nur um die Pferde und bestimmt, wer wen reiten darf. Ob ich das so einteile ist wieder eine andere Sache."
"Ach so läuft das bei euch. Er schlägt was vor und du machst eh, was du meinst."
"So ungefähr."
"Also ist dein Stallmeister im Prinzip nichts anderes als ein Bereiter, der ein bisschen was zu sagen hat."
"Ja."
"So kann man es natürlich auch machen."

Wir unterhielten uns noch eine Weile, bevor wir dann gemeinsam raus gingen.
"Welche Pferde darf ich denn laut deinem Stallmeister reiten?"
"Da muss ich mich erst noch mit ihm beraten."
"Ja klar."
"Nein. Also du wirst hauptsächlich die Jungpferde reiten. Wir haben so einige Kandidaten, die frisch angeritten sind. Du hast mit den anderen Beiden die Ehre zu testen, welche von denen bei uns bleiben und trainiert werden und welche nicht."
"Das heißt so viel wie ihr habt keine Lust euch mit den bockenden Jungpferden rum zu schlagen und deshalb dürfen wir das machen."
"So ungefähr."
"Na danke auch."
"Bitte. Nein. Unsere Jungpferde sind alle ganz brav. Vielleicht ein bisschen hibbelig, aber brav."
"Welche waren das noch, die bei dem Rennen jede Nacht den Zaun kaputt gemacht haben?"
"Munir. Da brauchst du dir keine Sorgen machen. Der und Malik werden demnächst kastriert. Malik kann dann als Schulpferd Karriere machen und was mit Munir ist sehen wir dann. Wenn er ruhiger wird, kann er bleiben und wir trainieren ihn weiter. Wenn nicht wird er auch verkauft."
"Und der Rest ist brav?"
"Ja. Nur ein bisschen nervös und schnell."
"Okay. Das geht noch."
"Ich stell da schon einen vernünftigen Plan zusammen. Keine Sorge."
Ich gab Julian nun noch eine kleine Einweisung, wie bei uns so alles lief. Dann war es auch schon spät und ich ging zum Stall. Dort kam Johannes mir bereits mit Ginger und seiner neuen Nachwuchs Stute am Zügel entgegen.
"Hey!", begrüßte ich ihn.
"Hey! Na? Wie war's?", fragte er.
"Wir reden später in Ruhe okay?"
"Klar. Wo wolltest du denn hin?"
"Zur Lichtung?"
"Okay."
"Schaffen wir das diesmal auch ohne das Theater danach?"
"Ich denke schon. Julia hat es abgesegnet, dass ich ein paar Stunden mit dir unterwegs sein darf."
"Na dann ist ja gut. Nochmal brauch ich das nicht."
"Ne. Ich auch nicht."
"Dann lass uns los."

Wenig später saßen wir dann auch schon auf den Pferden und ritten zur Lichtung.
Dort angekommen stiegen wir dann ab und setzten uns in das Gras.
"Und? Wie war's mit Ben?"
"Naja. Ihm geht's jetzt auf jeden Fall besser."
"Das ist doch gut."
"Ja. Wenigstens etwas sinnvolles hab ich am Tag gemacht."
"Auch solche Tage muss es ab und zu geben. Du hast dir deine Pause auf jeden Fall verdient."
"Ja. Ich hab dann trotzdem immer das Gefühl den ganzen Tag nichts sinnvolles gemacht zu haben."
"Hast du aber heute."
"Und was ist mit dir und Julia wieder alles in Ordnung?"
"Naja."
"Was heißt naja?"
"Ich weiß nicht."
"Was ist los?"
"Nichts besonderes."
"Johannes!"
"Was denn?"
"Sprich mit mir! Was ist los?"
"Sie ist schwanger."
"Sag ich doch von Anfang an! Es gibt ein neues Patenkind für Jenny! Die freut sich bestimmt."
Johannes schwieg.
"Was ist los? Ist doch schön!"
"Es gibt nicht nur ein Patenkind."
"Zwillinge?"
"Nein."
"Was dann?"
"Drei."
"Drillinge?"
"Ja."
"Okay. Und was ist daran jetzt so schlimm?"
"Der Arzt meinte nach ihrem Koma und dem allen könnte es Komplikationen geben."
"Das kann es bei jeder Geburt."
"Verdammt ich mach mir einfach nur Sorgen um sie!"
"Ich weiß ja, aber das brauchst du wirklich nicht. Natürlich ist immer ein gewisses Risiko dabei, aber keine Sorge. Es passiert ihr schon nichts. Julia ist ganz schön robust. Die kann so einiges ab."
"Meinst du wirklich?"
"Ja. Und notfalls kann ich helfen. Ich hab schon zehn Hundewelpen mit auf die Welt gebracht. Da sind drei Kinder kein Problem."
"Na das ist ja nett, dass du Julia mit einem Hund vergleichst!"
"Vom Prinzip her ist es das Gleiche."
"Ja. Ich weiß ja."
"In welchem Monat ist sie?"
"Fünfte."
"Wow! Man sieht ihr echt nichts an!"
"Ich weiß."
"Wie lange weißt du es schon?"
"Sie hat es mir im Krankenhaus nach dem Spiel gesagt."
"Warum hat sie es so lange geheim gehalten?"
"Sie meinte, dass sie nicht wollte, dass ich mir Sorgen mache."
"Ich kann sie irgendwie verstehen."
"Ich ja auch, aber irgendwie mach ich mir auch Sorgen um sie."
"Sie macht das schon. Keine Sorge."
"Ich hoffe es."
"Hey. Das mit den Zwillingen hat sie doch auch ohne weiteres geschafft. Das ist jetzt halt nur eins mehr."
"Ich weiß nicht. Ich mach mir trotzdem irgendwie Sorgen."
"Es ist ja noch eine ganze Weile Zeit bis da hin. Das wird schon alles."
"Ja. Mit jedem Tag, der vergeht werd ich nervöser. Ich weiß auch nicht. Irgendwie macht mir das Angst."
"Das ist ganz normal, aber du musst wirklich keine Angst davor haben. Das wird schon alles. Keine Sorge. Ich pass schon auf, dass da nichts passiert."
"Danke!"
"Kein Problem. Wenn irgendwas ist sag Bescheid!"
"Mach ich."
"Dann komm. Lass uns wieder zurück."
Wenig später saßen wir dann auch schon auf den Pferden und ritten zurück.
Wieder am Gestüt angekommen versorgten wir noch die Pferde und gingen dann rein, um noch etwas zu essen und schließlich zu Bett zu gehen.

Am nächsten Tag kehrte dann langsam wieder etwas Normalität ein. Jeder ritt, wie nach Plan, das Pferd, was dran war. Den Plan hatte ich in der Nacht noch erstellt und alles auf die Sekunde genau geplant. Dabei hatte ich nur einen Punkt vergessen...

Der falsche Sprung - KorrekturWo Geschichten leben. Entdecke jetzt