Mizmar

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Marti hat es tatsächlich fertiggebracht.
Dass er ziemlich verrückt ist, ideenreich, fantasievoll, und sein Kopf immer wieder etwas ausbrütet, ist ja nichts neues.
Aber das...
Das hat Jako dann doch sprachlos gemacht.


Eine kleine Alberei ist es gewesen, vor ein paar Woche. Bedeutungslos, etwas, was man so daher sagt, wenn man sich neckt und flirtet...
Jako hat ihn mit türkischem Honig gefüttert.
„Nicht dass ich noch Bauchtanz machen muss," hat Marti gekichert.
„Du bringst mich da auf Ideen..." hat Jako grinsend geantwortet.


Die Ideen hatte dann aber Marti. Und wenn er so was macht, dann richtig. Er hat seine Kontakte spielen lassen und hat jemanden ausfindig gemacht, nämlich eine junge Frau aus dem Bekanntenkreis eines seiner Kollegen, die ihm ein bisschen Bauchtanz beigebracht hat.
Und ihm erklärt hat, das es gar nicht so unüblich ist oder zumindest früher war, dass auch Männer das, was ein wenig unkorrekt als Bauchtanz bezeichnet wird, ausführen...


Drei Abende ist Marti in jeder der letzten paar Wochen noch außer Haus gewesen und hat auf Jakos Frage hin nur geantwortet: „Wird eine Überraschung."
Gut, hat Jako gedacht, dann lass ich ihn mal machen.


Und jetzt ist es tatsächlich soweit.
Als er die Wohnung betritt, findet er auf der Kommode im Flur einen Zettel mit der Anweisung:
„Geh duschen, zieh dir was bequemes an und dann komm ins Wohnzimmer. Mach es dir auf dem Sofa bequem."
Okay, denkt er sich. Wenn Marti das so möchte, dass bin ich mal brav und mach das so.
Ein bisschen muss er schmunzeln. Marti ist doch immer wieder für eine Überraschung gut.


Als er schließlich in bequemer Jeans und zu großem Shirt das Wohnzimmer betritt, empfängt ihn Dämmerlicht und Musik. Unbekannte Musik, die Klänge wirken orientalisch.
Auf dem Tisch befinden sich ein paar Platten mit Fingerfood. Da wird Marti sich Hilfe geholt haben, denkt Jako und grinst, wenn er an Martis absolute Küchenuntauglichkeit denkt...
Kleine leckere Happen.
Brot- und- Schafskäse-Spiesschen.
Gefüllte Blätterteighappen.
Marinierte Gemüsestückchen.
Dazu Dips und Fladenbrot.
Auch das alles orientalisch.


Jako setzt sich.
„Lass es dir schmecken", sagt eine Karte, die sich an die Kanne mit dem Tee gelehnt ist. Jako schnuppert- türkischer Apfeltee. Mmhh, den mag er besonders.
Er gießt sich Tee in ein Glas und macht sich einen Teller mit Häppchen zurecht.
Es ist tatsächlich köstlich.


Er genießt die Atmosphäre und das gemütliche Sofa und das gute Essen.
Nach etwa einer halben Stunde dann stellt er den Teller gesättigt zur Seite und nimmt sich noch mal Tee.


Die Musik wird leiser. Verstummt.
Erklingt von neuem, lauter, ein besonders rhythmisches Lied, Trommeln, Gesang, eine Art Blasinstrument mit etwas quäkendem Klang – eine Mizmar? Könnte sein.
Es ist ein eindringliches Lied.


Und dann öffnet sich die Tür und Marti betritt den Raum.
Er wiegt sich zu dem Klang, geht in die Mitte das Raumes.
Und er beginnt zu tanzen.


Es ist schön.
Geschmeidige Bewegungen, den Klängen angepasst, sie begleitend, sie umzeichnend...
Raumgreifend, dann wieder auf sich selbst zentriert...
Lockend, dann wieder entrückt, ätherisch, dann wieder erdig...


Und es ist nicht albern, oder peinlich...
Es passt einfach, es wirkt, als wäre es schon immer genau so gewesen, nie anders gedacht gewesen.
Und Marti macht seine Sache gut.
Sicher, es ist nicht professionell, dafür sind ein paar Wochen nicht genug.
Aber für jemanden, der so etwas vorher noch nie gemacht hat, macht er seine Sache verdammt gut.


Jako ist atemlos.
Das, was ihm hier geboten wird, spricht seine künstlerischen Sinne auf der ganzen Linie an.
Er versinkt in Musik und Bewegung, in Klang und Tanz.
Seine Augen glühen, sein Herz klopft den Rhythmus mit.


Schließlich klingt das Lied aus, wehmütig fast.
Marti gleitet vor Jako auf die Knie, nimmt seine Hände, küsst sie sanft.
Schaut ihn an, und jetzt, da er es hinter sich hat, wird er rot und ein kleines bisschen verlegen.
Doch dazu besteht kein Grund.
Jako küsst ihn. Die Musik ist nun verklungen.
Es ist still.


„Das war..." will Jako sagen, doch Martis Blick bittet ihn zu schweigen.
Die Stimmung ist ganz speziell, man kann sie mit Händen greifen...
Worte würden nur stören.
Also schweigen sie, noch ganz gefangen vom gerade erlebten.
Sich selbst ganz nah und nur sie zwei.
Ein winziger Punkt im großen Universum.
Und doch alles, was für sie beide in diesem Moment überhaupt von Bedeutung ist.

Berliner SammlungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt