Zwanzig Zentimeter.
Heiß ist es in diesem Club, hier auf der Bühne.
Die Luft ist schweißdurchtränkt. Die Temperaturen sind trotz der Tatsache, dass draußen Winter herrscht, hier drin eher tropisch. Schweißtreibend.
Kein Wunder, es sind doch viele Menschen auf engem Raum, unser Publikum, na ja, eigentlich sind sie wegen Fewjar hier, jedenfalls ist die Körperwärme so vieler Menschen einfach aufheizend.
Zumal sie sich in ekstatischer Bewegung befinden.
Die Musik, sie aufpeitschenden Rhythmen, da bleibt keiner still auf der Stelle stehen.
Zuckende Leiber, pochende Herzen, singende Kehlen.
Heiß. So heiß!
Und hier bin ich.
Sinumusic, das ist mein Künstlername, unter dem kennen sie mich, so hat Jako mich angekündigt.
Jako.
Die Tatsache, dass wir, er und ich, uns gegenüberstehen... nein, tanzen, und bewegen, so nah, oh Gott...
diese Tatsache sorgt dafür, dass mir auch auf andere Weise heiß ist.
Ich...
Ich...
stehe auf ihn. Mehr als das.
Er weiß das nicht,soll es auch nicht wissen, aber jetzt, hier, diese Show, die er mit mir abzieht...
dieses Bewegen, so nah beieinander, aufeinander zu...
so... sinnlich, Himmel. Es fällt mir so schwer, professionell zu bleiben.
Ich schaffe es auch nur, weil ich mir im Kopf immer wieder dieses Mantra vorbeten:
Zwanzig Zentimeter.
Egal, was Jako tut, egal, wie er seinen wunderschönen Körper windet und dreht und biegt...
Ich werde dafür sorgen, dass immer mindestens zwanzig Zentimeter Abstand zwischen uns bleiben.
Zwanzig Zentimeter sind zu wenig, viel zu wenig. Wenn man sich so fühlt wie ich und jeder Abstand beinahe schmerzhaft ist.
Zwanzig Zentimeter, das ist viel zu viel, wenn man so fühlt wie ich; ich will ihn an mich ziehen, mich an ihn drücken, mich an ihm reiben... seine Nähe fühlen, seine Haut, seine Hitze...
Herrgott, denke ich, hör auf du Idiot; ich beschimpfe mich selber, weil ich hier kurz davor bin, mir echt Schwierigkeiten einzuhandeln.
Wie gut, dass ich den Song, den wir gemeinsam singen, nein, performen, aus dem FF beherrsche.
Müsste ich mich konzentrieren, hätte ich keine Chance. Aber ich habe die Lyrics, den Rhythmus, die Melodie, das alles im Kopf, im Blut.
Ich singe auf Autopilot, gut, dass das funktioniert, sonst würde ich mich hier blamieren. Vor dem Publikum. Aber vor allem vor Jako.
O mein Gott.
Er kommt mir näher, seine wiegenden Hüften sind so sexy. Sein Haar, das er jetzt kürzer trägt, glänzt seidig und verschwitzt... verschwitzt...
Mein Hals ist trocken, meine Kehle ausgedörrt.
Krächze ich?
Weiß nicht... Aber niemand scheint etwas zu bemerken. Gut. Der Autopilot funktioniert.Verdammt!
Zwanzig Zentimeter, nicht weniger, Oh Gott, Jako, tu mir das doch nicht an, ich weiß, du weißt nichts von meinem Gefühl... aber verdammt noch mal, mach es mir doch nicht so schwer...
Schritte, vorwärts, auf mich zu, rückwärts, von ihm weg...
Ob das für die Leute da unten, die uns zuhören und beobachten, irgendwie... erotisch rüberkommt? Jako legt es darauf an, aber er hat ja auch keine Ahnung, was dabei in mir vorgeht...
Zwanzig Zentimeter...
Om mani padme hum...
Heil dem Juwel in der Lotosblüte...
Zwanzig Zentimeter.
Mein Mantra.
Ich bin bescheuert, oder?
Ich bin verliebt.
Ich bin heiß, heiß, heiß...
Ich bin bescheuert.
Eine weitere Drehung. Ein weiteres Durchbiegen seines Körpers.
Ich weiche zurück.
Gottverdammte zwanzig Zentimeter.
Ist das hier nicht endlich vorbei?
Endlich vorbei.
Wir jubeln dem Publikum zu und die Leute uns.
Wie stehen da, er legt den Arm um mich, als wir uns verbeugen...Oh Scheiße.
Wo sind meine zwanzig Zentimeter? Ich brauche diesen Abstand, sonst sterbe ich! Einen langsamen Herzinfarkt oder so.
Ich weiß doch auch nicht.
Ich muss hier weg.
Runter von der Bühne. Er taumelt in die Arme seiner Hannah.
Ich taumele auch. Müde. Verzweifelt. Habe aber niemanden, der mich auffängt.
Niemanden, nur Kopfschmerz und Trauer.
Aber der Abstand ist jetzt größer, die Bühne liegt hinter uns, die Show auch...
Vielleicht wird es irgendwann irgendjemanden geben, der mir hilft, ihn zu vergessen.
Der es wert ist, dass zwischen demjenigen und mir nicht mal mehr ein T-Shirt passt. Und der das auch will.
Aber bis dahin muss ich klarkommen, dass dieser Jemand nicht Jako sein kann.
Auch wenn ich es noch so sehr wünsche.
Manche Wünsche sind eben unerreichbar.
Es steht ein Graben zwischen dem Wünschenden und der Erfüllung.
Und dieser Graben ist bedeutend.
Auch wenn er nur ... zwanzig Zentimeter breit ist.
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Berliner Sammlung
FanfictionEine kleine Sammlung von Drabbles, Oneshots und ähnlichem über die Berliner Youtuber. Alles, was mir dazu so in den Kopf kommt.