Zum Ball

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Hallo, liebe Ladinellos und Ladinchen,



Das hier ist die Fortsetzung zum vorherigen Kapitel ("Jakschenputtel").
Ich habe es auf den besonderen Wunsch zweier lieber Leserinnen geschrieben.


Ich widme es @DieAlina, die mir die Stichworte "Musik, Rauch, Sonnenuntergang" gegeben hat.


Und ich habe etwas zitiert.
Der Satz "Ich bitte meine Offenheit zu entschuldigen, aber ich wurde dazu erzogen!" stammt aus der wunderbaren deutsch-tschechischen Koproduktion "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel". Es ist mein Lieblingssatz aus diesem Märchenfilm, und dessen traumhaft schöne Walzermelodie mag man sich in meiner Geschichte an gegebener Stelle als Soundtrack vorstellen.


Eure Ladi


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Prinz Marti saß auf seinem edlen Sitz zu Seiten des Vaters und überlegte ernsthaft, ob man an Langeweile und Überdruss sterben konnte. Dieser ganze Ball war ein einziges Desaster.
Er hatte mit Beginn des Abends angefangen, und nun war es schon weit nach Sonnenuntergang und Marti konnte das alles nicht mehr ertragen.
Er hatte ja nichts gegen Musik und Tanz. Aber er feierte liebe fröhliche Parties mit Freuden. Das hier jedoch war steif und förmlich, und auch wenn der Ball offiziell unter keinem bestimmten Motto stand, schrie alles geradezu förmlich nach „Prinz Marti will sich verheiraten, schmeißt ihm eure Töchter zu Füßen!"
Und genau das lief hier auch ab. Die reinste Fleischbeschau. Grafen und Herzöge, aber auch reiche Handelsherren und ihre Familien waren geladen, allesamt langweilig, steif, von sich selbst eingenommen, affektiert. Töchter wurden ihm vorgeführt, wie Vieh, das man zum Markte treibt. Der Offenheit des Vaters war es zu verdanken, dass immerhin auch ein paar Söhne dabei waren. Wenigstens etwas. Dennoch: all diese potentiellen Heiratskandidaten waren unerträglich, alle schienen nur darauf aus, den Prinzen zu bekommen, niemandem ging es dabei um ihn. Ihn als Mensch, als Persönlichkeit, seine Macken und seine guten Seiten. Ununterbrochen wurde gelobhudelt, und Marti hasste das.


Diese absolute Abscheu gegen alles und jeden hatte vielleicht allerdings auch noch einen anderen Grund:
Einen ganz bestimmte Person fehlte.
Der Typ von der Parkbank.
Jakaschenputtel.
Jako.


Die Musik hatte einen Moment ausgesetzt. Das war auch der Grund, weshalb er hier saß, und darüber nachdachte, wie wohl die Schlagzeile des „Königlichen Herolds" morgen aussehen würde:
„Gutaussehender Prinz auf Grund von mangelndem geistigen Input verblichen!"
Er grinste.
Dann beschloss er, dem Theater ein Ende zu machen. Er stand auf, trat zu seinem Vater und beugte sich zu ihm herab.
„Vater, das alles hier hat keinen Sinn. Es ist niemand dabei, der mir gefällt."
Der Vater schwieg.
„Lass uns dem hier ein Ende machen. Bitte!"
Des Blick des Königs wandte sich seinem Sohn zu.
"Marti," sagte er leise, „wir werden das hier durchziehen. Ich werde dich nicht zwingen, jemanden zu heiraten, den du nicht magst, das weißt du. Aber den Ball müssen wir dennoch mit Würde hinter uns bringen."
Der jüngere seufzte.
„Ernsthaft, Vater? Müssen wir? Muss ich echt weiter tanzen? Schau sie dir doch an! All das Trockenleder auf Beinen!"
Der Vater schnaubte amüsiert, die Mutter jedoch warf empört dazwischen:
„Junge, das sind die Edlen unseres Reiches, du darfst nicht so von ihnen sprechen!"
Marti straffte sich.
„Ich bitte meine Offenheit zu entschuldigen, aber ich wurde dazu erzogen!"
Der Vater lachte, und auch die Mutter, die in Grunde ihres Herzens ja mit ihm einer Meinung war, schmunzelte.


„Also gut," sagte Marti, „so ein Abend geht auch vorüber."
Er ließ seinen Blick wieder über die Leute schweifen, um sich jemand für den nächsten Tanz auszuwählen.
Die Musik begann zu spielen und schweren Herzens stand er auf, da er wusste, was man von ihm erwartete.


In diesem Augenblick öffnete sich die Tür des Saales und ein neuer Gast wurde eingelassen.
Marti schaute neugierig, wer denn jetzt, so lange nach Beginn des Balles, noch käme, und schlug fast hinten über.
Es war ER.
Jako.
Jakaschenputtel.


Und er trug tatsächlich ein wunderbares Kleid.
Es war ein richtiges Disney-Prinzessinnen-Kleid, ein stoffgewordener Traum aus rosa Seide und Spitze, mit einem weit ausgestellten Rock. Es war ein überaus kitschiges Kleid für sich genommen. Doch an ihm sah es unfassbar gut aus.
Marti errötete.


Jako trug sein langes, seidig glänzendes Haar zu einer eleganten Hochsteckfrisur zusammengefasst.
Sein Gesicht war mit Makeup betont: die Wimpern schwarz und lang, die Lippen geschminkt, die Augen mit Farbe akzentuiert.
Es sah wunderschön aus. Es betonte Jakos weiblichen Ausdruck und wirkte doch zugleich sehr männlich. Er (sie? they? Egal, dachte Marti, und zitierte in Gedanken die Schönheit, die da vor ihm stand: Fuck Genderroles!) sah damit absolut heiß aus.
Martis schluckte.


Jako hatte sich suchend umgesehen, und als sein Blick auf Marti gefallen war, war er ebenfalls errötet. Er fühlte sich ein wenig unsicher, weniger wegen seiner Aufmachung, denn er wusste genau, wie toll er damit aussah.
Eher wegen der Tatsache, dass er, der sonst im alten Hemd und zerrissener schmutziger Jeans die Hausarbeit machte und im Dreck pusselte, nun hier stand auf einem Ball des Prinzen. In einem wunderbaren Kleid und wie eine duftige schöne Blume.


Marti jedoch war sofort auf ihn zugelaufen.
„Du bist gekommen!" sagte er strahlend und streckte Jako vorsichtig die Hände entgegen.
Jako erfasste sie.
„Ja, ich bin gekommen."
Er lächelte.
„Obwohl du mich ja ein bisschen ausgetrickst hast... ich hätte im Leben nicht geglaubt, dass du der Prinz bist. Du sahst so..." er schaute zu Boden.
„Normal aus?" ergänzte Marti und schmunzelte.
„Ja, irgendwie schon." Jako schien verlegen.


„Na ja, das bin ich irgendwie auch. Nicht so wie die alle da," sagte Marti und machte eine Geste, die die umstehenden Leute umschloss.
Jako nickte.
„Das habe ich gemerkt. Ich..." Sie schwiegen beide und wussten nicht so recht, wie weitermachen.


Die Musik begann, ein wunderbares Stück zu spielen.
Eine Walzermelodie, herrliche, tragende Klänge, verspielt und doch klar.
„Tanzt du mit mir?" fragte Marti und machte eine formvollendete Verbeugung.
„Gerne," sagte Jako und machte einen zierlichen Knicks.


Und dann tanzten sie. Die ganze Nacht. Bis in den frühen Morgen.
Sie glitten Arm in Arm über den polierten Marmorboden, erleuchtet von hunderten Kerzen in glänzenden Kandelabern.


Es hätte für sie jedoch keinen Unterschied gemacht, wenn es eine einzige Fackel voller Rauch in der dunklen, staubigen Diele des Stallgebäudes auf dem Hofe der Joikos gewesen wäre.


Sie hatten sich, und die ganze Zukunft, das ganze Leben lag noch vor ihnen.
Das ganze Leben – und ihre gerade erwachende Liebe.

Berliner SammlungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt